Leichte Sprache : Mit einem Auge wach

„Ich habe viele beschissene Dinge auf der Straße erlebt“, sagt Annie. Da sei es schwer, abzuschalten. Foto: Mauricio Bustamante

Der Mensch braucht etwa 7,5 Stunden Schlaf.
Wie wenig bekommt mach draußen auf der Straße?
3 Obdachlose haben 3 Nächten ihren Schlaf beobachtet.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Wie schläft man auf der Platte?
Sven und Esra machen seit 2 Jahren zusammen Platte.
Platte heißt:
Sie schlafen draußen auf der Straße.
Sie legen eine Pappe auf den Boden und darauf kommt:

• eine Plane,

• 2 Isomatten,

• Decken,

• Schlafsäcke,

• Kissen.

Das dauert 5 Minuten.

Sie schlafen in der Innenstadt unter einem Vor-Dach.
Die Lampen leuchten hell.
Sven zieht den Schlaf-Sack bis über das Gesicht,
so kann er schlafen.
Esra zeigt auf eine Ratte und sagt:
„Diese Tiere sind überall.
Einschlafen ist nicht leicht mit denen.“

Sven und Esra gehen kurz vor 21 Uhr in ihre Schlafsäcke.
So bekommen sie etwas Schlaf vor dem Lärm in der Stadt.
Sie wissen nicht genau, wie viel sie in der Nacht schlafen.
Sie sind aber sicher, dass es nicht viel ist.

Uhren für den Schlaf
Sven und Esra tragen besondere Uhren.
Diese Uhren beobachten genau den Schlaf von beiden.
Sie tragen diese Uhren 3 Nächte lang.
Die Uhren messen auch die Temperatur.
An diesem Abend im März zeigt die Uhr von Sven 8 Grad an.
Er sagt: „Na zum Glück nicht so kalt.“
Die Nächte davor waren sehr kalt.
Aber auch wenn es wärmer wird, schlafen sie unruhig.
Sie sagen: „Aber was sollen wir machen?
Wir haben keinen anderen Schlaf-Platz.“
Sie sind beide 43 Jahre alt.

Annie ist 46 Jahre alt und verkauft die Zeitung Hinz und Kunzt.
Sie möchte auch eine Uhr tragen.
Sie schläft unter einer Kanal-Brücke.
Sie wollte im Winter eine Unterkunft finden.
Sie hat ein Programm für Not-Unterkünfte im Winter ausprobiert,
aber es hat nicht geklappt.
Sie sagt: „Mich interessiert es,
wie viel Erholung ich in meinem Schlaf-Sack bekomme“.
Sie liest oder spielt auf ihrem Handy,
bis sie einschlafen kann.
„Jede Nacht ist anders“, sagt sie.
Sie weiß nicht,
was ihre Uhr zeigen wird.

Der Schlaf-Mediziner
Robert Göder ist Schlaf-Mediziner und Psychiater.
Er kennt die Probleme von Menschen,
die zu wenig oder schlecht schlafen.
Er sagt: „Die Uhren sind eigentlich zu wenig.
Doch man kann in 3 Nächten schon sehen,
ob die Menschen gut oder schlecht schlafen.“

Robert Göder arbeitet sonst in einem Schlaf-Labor.
Er beobachtet dort die Menschen sehr genau.
Das Labor ist aber nicht der richtige Ort,
wo er den Schlaf von Obdachlosen untersuchen kann.
Er hat deshalb die Uhren vorgeschlagen.
Sven, Esra und Anna sollen die Uhren die ganze Zeit tragen,
vor allem in der Nacht zum Schlafen.
Die Uhren beobachten dann ganz gut den Schlaf.
Sie sehen leider nur,
ob eine Person schläft oder nicht.
Aber das ist für Hinz und Kunzt ja schon sehr viel.

Die erste Nacht
Annie hat in der ersten Nacht 6 Stunden und 13 Minuten geschlafen.
Sie hat 4 Stunden unruhig geschlafen und
sie war fast eine halbe Stunde wach.
Robert Göder sagt: „Diese Nacht war nicht erholsam.“
Annie hat die meiste Zeit nur gedöst.
Die Uhr kann das messen.
Der Mediziner sagt:
„Ein Mensch braucht 7,5 Stunden Schlaf in der Nacht.
Der Körper braucht ab ungefähr 70 Jahren nur noch 6 Stunden.“

Esra und Sven haben in der ersten Nacht gar nicht geschlafen.
Sie sitzen müde vor einem Geschäft in der Innenstadt und betteln.
Sicherheits-Leute haben sie von dem Vor-Dach weggeschickt.
Aber sie dürfen dort liegen und schlafen.
Sven hat das mit den Mietern besprochen.
Er sagt: „Die wissen, wie sauber wir sind.“
Sie haben dann lange einen neuen Schlaf-Platz gesucht.
Esra sagt: „Hier gibt es wenig freie Plätze.
Und der Weck-Dienst kommt auch schon um 6.30 Uhr.“
Der Weck-Dienst sind Polizist:innen.
Sie bitten die Obdachlosen,
dass die ihre Sachen wegräumen.

Robert Göder sagt:
„Esra und Sven haben in dieser Nacht sehr wenig geschlafen.
Die Uhr hat gar keinen Schlaf erkannt.“
Göder erkennt für beide große Probleme beim Schlafen.
„Die Probleme sind noch größer,
als ich gedacht habe.“
Das ist sehr gefährlich für das obdachlose Paar.
Das Immun-System funktioniert nicht mehr gut,
wenn man länger als 3 Monate zu wenig schläft.
Das bedeutet:

·      Die Menschen werden viel schneller krank,

·      Schmerzen sind oft viel stärker,

·      der Blut-Druck ist sehr hoch,

·      die Gefahr für einen Herz-Infarkt ist höher.

·      Viele Menschen fühlen sich schlecht und haben Angst.

„Menschen mit Schlaf-Mangel sterben früher“,
sagt der Schlaf-Mediziner Göber.
Die Klinik der Universität Hamburg-Eppendorf
hat eine Studie gemacht.
Die Studie zeigt,
dass Obdachlose in Hamburg nur etwa 49 Jahre alt werden.
Eine andere Studie von der Klinik zeigt,
dass viele Obdachlose psychisch krank sind.
Das heißt:
Sie fühlen sich sehr schlecht und haben viel Angst.

Die zweite Nacht
Annie hat in der zweiten Nacht nur 84 Minuten geschlafen.
Das ist viel zu wenig, sagt Robert Göder.
Annie hat schon viele schlimme Dinge erlebt.
Deshalb kommt sie nur schwer zur Ruhe.
Personen haben Annie schon oft bestohlen
oder in der Nacht gestört, getreten, geärgert.

Sven und Esra haben in der Nacht etwas mehr geschlafen.
Es waren jetzt fast 2,5 Stunden.
Sven findet das okay.
Esra ist aber genervt.
Es war kalt und windig.
Sie ist auch müde und gähnt:
„Ein Auge ist zu und ein Auge ist immer offen.
So ist das auf der Straße.“

Sie fürchtet,
dass jemand ihre Sachen stiehlt.
Die Papiere hat sie deshalb bei einem Ort,
wo sie am Tag sein kann.
Dort passt man auf die Papiere gut auf.
Jemand hat ihr aber in der Nacht schon Schuhe geklaut.
Die Angst ist immer da.

Und wieder zu wenig
Annie hat in der dritten Nacht nur etwas mehr als 3 Stunden geschlafen.
Robert Göder sagt:
„Das ist wieder viel zu wenig“.
Annie hat wieder lange und oft unruhig geschlafen.
Aber es ist sehr ungesund,
wenn man mit Angst und vielen Pausen schläft.

Esra und Sven waren in der 3. Nacht in einem Hotel.
Sie können dort für 2 Wochen bleiben.
Sven sagt: „Ich war seit 2 Jahren in einem Bett und
in einem warmen, trockenen Raum!“
Esra sagt, dass sie trotzdem immer wach war.
Die Uhren zeigen nur 1 Stunde und 44 Minuten Schlaf.

Robert Göder sagt:
„Das ist sehr wenig, aber verständlich.
Man muss sich erst an den neuen Schlaf-Ort gewöhnen.
Im Schlaf-Labor gibt es eine Nacht,
in der man sich an das Labor gewöhnen kann.
Erst in der 2. Nacht kann man den Schlaf beobachten.
Die 1. Nacht ist immer sehr viel schlechter.“

Sven und Esra haben in 3 Nächten viel zu wenig geschlafen.
„Das ist überhaupt nicht gut“,
sagt der Schlaf-Mediziner.
Auch Annie hat nicht genug geschlafen.
Esra und Sven haben aber im Hotel besser geschlafen.
Sie waren nicht mehr so oft wach.
Esra sagt, dass die nächsten Nächte nur besser werden können.
Sie lächelt müde.

Übersetzung in leichte Sprache: capito Hamburg

Autor:in
Luca Wiggers
Luca Wiggers
1999 in Hannover geboren, hat dort Germanistik und Anglistik studiert und ist Anfang 2022 nach Hamburg gezogen. Seit Juni 2023 Volontärin bei Hinz&Kunzt.

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