Leichte Sprache :
Menschenunwürdig

Das Winternotprogramm in der Friesenstraße. Foto: Mauricio Bustamante.

Mitarbeiter von „Hinz und Kunzt“ besuchen einen Verkäufer
in einer Unterkunft für kranke, obdachlose Menschen.
Der Mann liegt hilflos in einem Bett,
es geht ihm sehr schlecht.
Er kommt sofort in ein Krankenhaus.
Die Ärzt:innen bringen ihn in ein künstliches Koma.
Wie konnte es dazu kommen?

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Ein schrecklicher Anblick

Gabor Domokos ist Mitarbeiter bei „Hinz und Kunzt“.
Er erinnert sich seit Tagen an ein schreckliches Bild:
Milan war einmal Verkäufer von „Hinz und Kunzt“.
Er ist über 50 Jahre alt.
Jetzt liegt er nackt auf einem Bett und ist sehr dünn.
Er hat Wunden am ganzen Körper,
da sind viele Läuse und Fliegen.
Milan war völlig alleine in einem Zimmer der Unterkunft Friesenstraße,
er konnte sich selbst nicht helfen.
Gabor und die Sozial-Arbeiterin Isabel Kohler fragen sich:

• Wann hat Milan zuletzt getrunken?

• Wann hat Milan zuletzt gegessen?

• Wann hatte Milan zuletzt Medizin gegen seine Zucker-Krankheit?

In der Unterkunft von „Fördern und Wohnen“

Gabor und Isabel sind eigentlich zu Milan gegangen,
weil „Hinz und Kunzt“ eine gute Nachricht für ihn hat:
Milan hat jetzt endlich eine Kranken-Versicherung!
Wenn alles gut mit den Ämtern läuft,
kann er bald in ein Pflegeheim ziehen.
Doch in diesem Moment Ende April war das alles egal,
erinnert sich Isabel.

Isabel und Gabor betreten Ende April das Zimmer von Milan,
ein starker Gestank ist in der Luft.
Isabel und Gabor sind sehr schockiert.
Gabor stellt sich zu Milan und nimmt seine Hand.
Er sagt, dass alles gut wird.
Milan kann nicht sprechen.
„Er hat uns aber erkannt“, sagt Gabor.

Die Unterkunft gehört zu „Fördern und Wohnen“,
das ist eine soziale Firma der Stadt Hamburg.
Dort arbeiten auch Sozial-Arbeiter.
Isabel und Gabor fordern einen Sozial-Arbeiter auf,
er soll einen Rettungs-Wagen rufen.
Zwei Sanitäter kommen Minuten später in das Zimmer.
Die Sanitäter sind auch schockiert.
So etwas haben sie selten gesehen, sagen sie.
Und dass Milan schon einige Zeit so aussehen muss.
Vielleicht hat seit Tagen niemand nach Milan gesehen.

„Hinz und Kunzt“ darf im Moment nicht mit den Sanitätern reden.
Denn Aussagen von Zeugen sind nur erlaubt,
wenn es eine Untersuchung von einem Gericht gibt.
„Hinz und Kunzt“ hat aber den Bericht von dem Krankenhaus.

Der Notfall-Bericht

Die Ärzt:innen schreiben in dem Notfall-Bericht:

·      Milan hat eine Blut-Vergiftung.

·      Seine Nieren arbeiten nicht mehr.

·      Er hat viel zu viel Blutzucker.

·      Er hatte wohl auch einen Schlaganfall.

·      Sein Körper hat viele Geschwüre.

·      Er ist von Kleider-Läusen befallen.

·      Außerdem hat er eine Wunde am Bein.

Milan braucht sofort eine Operation.
Die Ärzte müssen Milan in ein künstliches Koma bringen,
damit er langsam wieder gesund werden kann.
Milan bleibt zwei Wochen im Koma.

Die Unterkunft von Milan ist ein altes Büro-Haus in der Friesenstraße,
das Haus liegt im Stadt-Teil Hammerbrook.
Das Haus sollte eine Unterkunft für Menschen sein,
die im Winter keine Wohnung haben.
Aber viele Obdachlose sind krank und brauchen Hilfe.
Das Haus ist deshalb auch im Sommer für die Menschen offen.
Viele Obdachlose hat das Leben auf der Straße krank gemacht.
Diese Menschen können kaum noch gehen.
Sie brauchen oft Rollatoren oder Rollstühle.
Manche können nur noch im Bett liegen.
Ein Beispiel dafür ist Milan.

Die Geschichte von Milan

Milan ist aus dem Osten von Europa und
er hat lange Zeit auf der Straße gelebt.
Er bekommt wenig Hilfe von der Stadt Hamburg,
so wie viele andere obdachlose Menschen ohne deutschen Pass.
Viele Hilfs-Angebote kennt er nicht,
weil er zu wenig Deutsch versteht.

Er ist im Sommer vor 6 Jahren zu „Hinz und Kunzt“ gekommen.
Er hatte davor schon über ein Jahr in Deutschland gearbeitet,
zum Beispiel in einem Schnell-Imbiss in Süd-Deutschland.
Gabor Domokos kennt Milan als ruhig und freundlich.
Viele Jahre lebt Milan auf der Straße.
Mit Beginn von Corona wohnt er in einem Hotel,
das von Spenden lebt.
Danach verkauft er „Hinz und Kunzt“ im Stadt-Teil Winterhude.

Milan hat dann aber mehrere Schlaganfälle und Diabetes.
Er braucht deshalb immer mehr Pflege.
Das Hotel-Zimmer muss er im Dezember 2023 verlassen,
denn das Haus wird abgerissen.
Er landet krank wieder auf der Straße.
„Hinz und Kunzt“ findet zwei Krankenhäuser für Milan.
Aber er kann nie lange bleiben.
Milan braucht eigentlich einen Pflege-Platz.

Für die Pflege gibt es ein Problem:
Milan bekommt kein Bürger-Geld vom Staat,
deshalb zahlt der Staat auch keine Pflege.
Isabel Kohler arbeitet als Sozial-Arbeiterin bei „Hinz und Kunzt“.
Sie findet dann in einer langen Suche heraus,
dass Milan doch Hilfe vom Staat für die Pflege bekommen muss.
Denn Milan hat in Deutschland gearbeitet.
Er weiß aber leider nicht mehr,
wo er überall gearbeitet hat.
Milan hat inzwischen so viel vergessen.

Viele Fragen an „Fördern und Wohnen“

Wer hat sich in der Unterkunft um Milan gekümmert?
Wann war das zum letzten Mal?
Milan sollte schon lange in einer anderen Unterkunft leben,
in einem Haus im Stadt-Teil Niendorf.
Die Stadt Hamburg hat die Unterkunft im April eröffnet.
Warum war Milan nicht in der neuen Unterkunft?
Fördern & Wohnen antwortet uns nicht.
Wegen Datenschutz können sie „Hinz und Kunzt“ nichts sagen.

„Fördern und Wohnen“ sagt aber:
„Jeden Tag fragen Mitarbeiter:innen von unserer Firma,
wie es den Menschen in der Unterkunft geht.
Wenn es einem Menschen schlecht geht,
sagen die Mitarbeiter das den Pfleger:innen.
Das war auch an dem Tag so,
als Goran und Isabel den kranken Milan gefunden haben.
Die Pfleger:innen machen auch in den Zimmern die Grund-Pflege.“
Niemand hat sich aber um Milan gekümmert.

Und niemand sagt uns,
warum das so war.

Eine neue Unterkunft

156 Menschen wohnen in der Unterkunft Friesenstraße.
Weitere 78 Menschen brauchen besonderen Schutz und Pflege,
weil sie sehr krank sind.
„Normalerweise sind immer 1-2 Pfleger:innen in der Unterkunft“,
sagt Fördern und Wohnen.
In Niendorf wohnen im Moment 26 Menschen.
Bald werden es aber mehr als 100 sein.
Es gibt dort so viele Pfleger:innen wie in der Friesenstraße.

In der Friesenstraße ist jetzt etwas neu:
Die Mitarbeiter:innen von „Fördern und Wohnen“ fragen jetzt
jeden Morgen die Menschen gemeinsam mit den Pfleger:innen.
Die Pfleger:innen können die Gesundheit der Menschen sehen
und viel schneller helfen.

Milan ist Ende Mai 2024 immer noch im Krankenhaus.
Die Sozial-Arbeiterin Isabel besucht ihn sehr oft.
Isabel sagt,
es geht ihm immer noch schlecht.
Die Ärzt:innen können nicht sagen,
ob Milan wieder richtig gesund wird.

Jörn Sturm ist der Chef von „Hinz und Kunzt“.
Er möchte etwas zu dem Fall sagen.

Es darf nicht einfach „weiter so“ gehen

Unser Verkäufer Milan hat sehr schlecht in der Unterkunft gelebt.
Das ist ein Skandal.
Die Friesenstraße ist eine Unterkunft für kranke Obdachlose.
Besonders deshalb ist es ein Skandal.

Wie kann Hamburg es erlauben,
dass schwer kranke Menschen so schrecklich leben müssen?
Obdachlose verdienen Würde und Schutz.
Das gilt für alle Menschen,
egal ob sie einen deutschen oder anderen Pass haben.

Die traurige Geschichte von Milan zeigt,
dass die Regeln nicht in Ordnung sind.
Es gibt für die Menschen Hilfe,
aber die Hilfe ist viel zu wenig.
Viele Obdachlose bekommen diese Hilfe nicht,
weil sie das angeblich nicht dürfen.
Viele Menschen arbeiten aber lange Zeit in Deutschland,
erst dann werden sie obdachlos.
Dann müssen die Menschen beweisen,
dass sie wirklich gearbeitet haben.
Wenn sie es nicht beweisen können,
sind die Menschen dann völlig hilflos.

Die Stadt Hamburg hat eine neue Unterkunft
besonders für pflegebedürftige Obdachlose eröffnet.
Das ist gut.
Aber viele Menschen leben immer noch auf der Straße.
Und es gibt viel zu wenig Pflege-Plätze für Obdachlose.
Die Menschen brauchen mehr Pfleger:innen und Sozial-Arbeiter:innen.
Die Politiker:innen von Hamburg müssen dafür sorgen,
dass alle Menschen in der Stadt ein gutes Leben haben.
„Hinz und Kunzt“ prüft,
ob man wegen Milan vor einem Gericht klagen kann.
Es darf auf keinen Fall einfach so weiter gehen.

Übersetzung in leichte Sprache: capito Hamburg

Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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