Wasserverschmutzer beim Kadi

Wie Tribunale sogar Konzerne zum Umdenken zwingen

(aus Hinz&Kunzt 125/Juli 2003)

Costa Rica, im März 2003

Im „Macondo“, einer Kulturbar in einer kleinen Stadt in den Bergen von Costa Rica (Mittelamerika), knien eifrige Kinder im Hof über riesigen weißen Bettlaken und bemalen sie mit gelben Sonnen, blauen Wellen und grünen Buchstaben. Alles, was ihnen einfällt zum Thema Wasser. Ein Gang auf die Toilette der Bar offenbart einen unerwarteten Teil des Hauses. In einem Hinterzimmer stapeln sich Infobroschüren, Flyer und Poster auf einem Tisch, Plakatwände informieren über weltweite Aktionen zum Schutz des Wassers. Durch eine weitere Tür gelangt man in einige holzgetäfelte Büroräume. Hier stehen jede Menge graue Aktenordner in den Regalen, an den Wänden hängen Plakate mit Wasserfällen und Seen, umgeben von dichtem Regenwald. Das ist das Reich von Javier Bogantes Díaz, von Beruf Anwalt und Philosoph.

Er ist der Koordinator des Tribunal Centroamericano del Agua. Ein Gerichtshof, der im Namen der Bürger mutwillig herbeigeführte oder in Kauf genommene Schäden am Wasser anklagt, die im Alleingang durch private Firmen, aber auch unter Billigung von Regierungsinstitutionen entstanden sind. Rechtlich bindend sind die gefällten Urteile nicht, aber sie bringen Skandale an die Öffentlichkeit. Viele Firmen scheuen die negative Werbung und sind plötzlich zu Lösungen bereit. Oft sind auch Regierungen in die Fälle verwickelt und sichern die angeklagten Firmen rechtlich ab.

Weltweite Kooperation

Die Idee eines ethischen Gerichtshofes hat der 47-jährige Bogantes aus Amsterdam mitgebracht. Dort wurde 1991 ein internationales Wassertribunal inszeniert, auf dem weltweit arbeitende Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) zwölf Fälle von Wasserverschmutzung einbringen konnten, die von neun ehrenamtlichen Richtern in einer Woche verhandelt wurden. Javier Bogantes arbeitet seit mehr als 15 Jahren in unterschiedlichen Organisationen für den Schutz des Wassers.

Zusammen mit anderen Umweltorganisationen aus Lateinamerika brachte er eine Forderung gegen die Standard Fruit Company nach Amsterdam: Über die Marke Dole kontrolliert das Unternehmen ein Drittel des Bananenexports Costa Ricas und ist unter anderem für großflächige Wasserverschmutzungen durch Pestizide im Valle de la Estrella in Costa Rica verantwortlich. Der Fall wurde behandelt und das Unternehmen verurteilt, die umweltschädigenden Praktiken umzustellen. Angeregt durch diese Erfahrung, schlossen sich die lateinamerikanischen NGOs in der Gruppe „Rios Vivientes“ (lebendige Flüsse) zusammen mit dem Ziel, auch in Lateinamerika ein solches Tribunal zu veranstalten. 1993 verwirklichten sie ihre Vision in Brasilien und im Jahr 2000 in Costa Rica. Für das nächste Jahr planen die Gruppen eine weitere Anhörung von Fällen in Costa Rica, langfristig sollen die Umweltrichter alle drei bis vier Jahre zusammenkommen.

Madre Selva

Vor Gericht werden nur Fälle zugelassen, die schon seit einigen Jahren die Gemüter erhitzen und für die noch keine offizielle Lösung gefunden wurde, sei es auf politischer, juristischer oder ökonomischer Ebene. Für die Organisationen, die die Fälle als Ankläger vertreten und präsentieren, bedeutet die Anhörung und Verurteilung eine große Hilfe. Mit dem Urteil und der damit verbundenen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit können sie viel besser Druck auf die Firmen ausüben.

Im Jahr 2000 beispielsweise klagte die Umweltschutzorganisation „Madre Selva“ (Mutter Urwald) die US-Ölfirmen Basic Resources und Anadarko Petroleum Company an, durch Ölförderung in einem Naturschutzgebiet in El Petén, Guatemala, die Lagune Del Tigre vergiftet zu haben. Fünf Jahre lang hatten die Aktivisten protestiert und verhandelt, aber eine Einigung mit der Industrie war nicht in Sicht. Sobald jedoch bekannt wurde, dass die Organisation den Fall vor dem Tribunal in Costa Rica öffentlich machen wollte, kam ein Abgeordneter der Regierung Guatemalas, die ebenfalls angeklagt war, und war bereit, die Rückendeckung der Regierung gegenüber den Ölfirmen zu beenden. Im Gegenzug sollte der Fall nicht öffentlich verhandelt werden.

„Madre Selva“ ließ sich nicht auf den Deal ein und brachte den Fall vor das Tribunal. Die ehrenamtlichen, aber neutralen Richter verurteilten das Vorgehen der Ölfirmen. Sie verlangten den sofortigen Rückzug aus dem Naturschutzgebiet, Schadenersatz für die verursachten Umweltschäden, und sie mahnten die Regierung Guatemalas, in Zukunft für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen. Reporter aus Lateinamerika und der Welt berichteten über die Verhandlung. Der öffentliche Druck führte schließlich dazu, dass sich die Fördergesellschaften aus dem Gebiet der Lagune zurückzogen und auf benachbarte Ölquellen auswichen. Ein Teilerfolg, der ohne die Arbeit des Gerichts und dessen Helfer kaum vorstellbar schien.

Vor den medienwirksamen Urteilssprüchen liegen allerdings fast zwei Jahre aufwändiger Fallrecherchen. Die angezeigten Vergehen müssen vor Ort überprüft und Beweise gesammelt werden. Naturwissenschaftler nehmen Proben und werten sie im Labor aus, die Schäden werden dokumentiert, dann wird erst entschieden, ob der Fall zur Anhörung kommt. Wichtig ist dabei auch, wie viele Menschen betroffen sind und wie groß der Schaden für das Ökosystem ist.

Auch Javier Bogantes ist in der heißen Vorbereitungsphase viel unterwegs, reist nach Honduras, Panama und Guatemala, um Fälle zu sichten und Werbung für das Tribunal zu machen. Wo es möglich ist, löst er die Konflikte schon im Vorfeld auf friedlicher Basis. In Guatemala konnte er die verfeindeten Parteien im Streit um die Abholzung eines Gebiets in Sierra de las Minas an den Verhandlungstisch bringen: Eine Holzfirma blockierte den Zugang zum Wasser, nach 40 trockenen Tagen rebellierte die Bevölkerung dagegen und versperrte die Zufahrtswege für die Firmenfahrzeuge. Durch Bogantes’ Vermittlung einigten sich die Beteiligten und gaben die blockierten Wege und Ressourcen frei.

Menschenrecht oder Bedürfnis?

Neben der ethischen Rechtsprechung will Javier Bogantes mit seiner Arbeit aber auch die Menschen aufklären und ihnen bewusst machen, dass Wasser ein Menschenrecht ist. „Das Recht auf Wasser ist genauso wichtig wie das Recht auf freie Meinungsäußerung“, sagt der Anwalt. Das sehen die globalen Wasserunternehmen allerdings anders. Auf dem Weltwasserforum in Den Haag 2000 reduzierten die weltgrößten Wasserkonzerne wie Vivendi und Suez gemeinsam mit Vertretern der Vereinten Nationen und Ministern aus 140 Ländern das Recht auf Wasser auf ein Bedürfnis. Das bedeutet: Trinkwasser darf ein Handelsgut sein. Der Beschluss ist eine der Grundlagen für die aktuelle Politik der weltweiten Privatisierung der Wasserversorgung. Dagegen schreibt Bogantes an: Broschüren, Bücher und Ausstellungen warnen vor den Gefahren, wenn die öffentlichen Wasserversorger verkauft werden, sie informieren über das Tribunal und andere Umweltthemen.

Unterstützung und Erfolg

Finanziert wird das Wassertribunal über internationale Spenden. Von der Regierung Costa Ricas bekommt Bogantes keine Unterstützung. Kein Wunder: Im Jahr 2000 stand das Gesundheitsministerium in der Rolle eines Angeklagten vor Gericht. Das habe die Zusammenarbeit nicht gerade erleichtert, sagt der Anwalt. Doch die Erfolge geben der Arbeit des Tribunals recht. In Lateinamerika arbeitende Weltfirmen wie Del Monte oder Kimberly Clark respektieren inzwischen die Schuldsprüche als ethische Urteilsinstanz und ändern teilweise ihre Haltung. Doch der größte Erfolg bleibt, dass die Umweltschutzorganisationen „ein Forum erhalten, um die Fälle von Wasserverschmutzung öffentlich zu machen“, so Bogantes. Denn der Zugang zu sauberem Wasser ist so lebensnotwendig wie das Scheinen der gelben Sonne, die die kleine Alexa gerade auf das große Tuch malt.

Rolle der UNO

Schon heute haben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mehr als 1,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, das entspricht etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung. Alle 14 Sekunden stirbt ein Mensch infolge verschmutzten Wassers, die meisten davon sind Kinder in Entwicklungsländern.

Die UNO hat daher das Jahr 2003 zum Jahr des Frischwas-sers erklärt und sich vorgenommen, die Zahlen bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Ein gewagtes Ziel, wenn man den weltweiten Trend zur Privatisierung des Wassers bedenkt und den damit einhergehenden Kontrollverlust der Regierungen über Qualität, Menge und Zugang zum lebenswichtigen Nass.

Dazu kommt: Zahlreiche Unternehmen zerstören Wasserressourcen, zum Beispiel bei Landwirtschaft, Bergbau, Holzhandel oder Ölförderung. Der Planet Erde ist zu mehr als drei Vierteln mit Wasser bedeckt. 97 Prozent davon sind Salzwasser, 3 Prozent Süßwasser, davon ist ein Prozent Trinkwasser.

Sonja Norgall