Leben in Angst

Wie sich Harald-Heinz (48) in Thailand und Deutschland vor der Polizei versteckte

(aus Hinz&Kunzt 126/August 2003)

Am Flughafen Frankfurt erreichte meine Panik ihren Höhepunkt. Ich war mir sicher, dass ich vom Plastikgeschirr der Airline meine letzte Mahlzeit in Freiheit gegessen hatte. Spätestens bei der Passkontrolle vom Zoll würde meine Flucht zu Ende sein: Vor meinem inneren Auge sah ich die Polizei um die Ecke kommen, konnte das Einrasten der Handschellen hören. Mit Schweiß auf der Stirn stand ich vor dem Zollbeamten, kurzer Blick in meinen Pass – und er winkte mich durch. Ich konnte mein Glück nicht fassen: Ich hatte es unbehelligt nach Deutschland geschafft.

Auf einen Schlag war ich vom Touristen zum Flüchtling geworden. Eigentlich wollte ich mich während meines Thailandurlaubs von Deutschland erholen. Über acht Jahre hatte ich im Knast gesessen, mein sehnlichster Wunsch war es, dem Land und vor allem seinen Polizisten den Rücken zuzukehren. Weil ein alter Freund mit einer Thailänderin verheiratet ist, konnte ich in ihrem Heimatdorf im Norden Thailands billig wohnen, ein einfaches und ruhiges Leben. Alle paar Wochen rief ich meinen Bruder an, um Kontakt nach Deutschland zu halten.

Eines Tages hatte er eine wichtige Nachricht für mich: Beim Durchsehen der Post in meiner Wohnung hatte er eine Vorladung gefunden, der Gerichtstermin war längst verstrichen. Mittlerweile, so hatte mein Anwalt herausgefunden, lag ein Haftbefehl vor. Panisch dachte ich nach, weswegen ich wohl gesucht werde. Dann fiel mir der Schmuck ein: Ein Bekannter aus dem Milieu hatte ihn mir verkauft, zu einem Bruchteil des Wertes. Ein Riesengeschäft. Da stellst du keine Fragen, wo der herkommt.

Jetzt aber begannen die Fragen durch mein Gehirn zu schwirren: Was, wenn der Schmuck geklaut wäre? Ein Einbruch oder Überfall? Was, wenn bei dem Bruch jemand verletzt oder sogar getötet worden war? Wäre ich dann sogar verdächtig? Ich war gerade erst raus aus dem Knast, und zurückgehen war das Letzte, was ich wollte. Während ich in Thailand nicht wusste, was ich machen sollte, machte mein Anwalt einen Deal mit dem Staatsanwalt: Ein neuer Gerichtstermin wurde anberaumt, da ich den ersten wegen meines Thailand-Urlaubs nicht wahrnehmen konnte, der Haftbefehl sei so lange ausgesetzt.

Aber ich traute dem Frieden nicht. Ich hatte Angst, dass mich der Staatsanwalt reinlegt und ich trotzdem noch gesucht werde. Jetzt wusste er auch, wo ich zu finden bin, und bei Raubmord wäre schnell ein internationaler Haftbefehl ausgestellt. Und in den thailändischen Knast wollte ich schon gar nicht. Auf jeden Fall musste ich zurück nach Deutschland, denn mein Geld war aufgebraucht. Und in Thailand hatte ich niemanden, der mir helfen konnte.

Erst mal nach Bangkok. Mit klapprigen Bussen fuhr ich aus der Provinz zurück in die Großstadt. Jeder Dorfpolizist, den ich sah, ließ meinen Puls in die Höhe schnellen. In Bangkok brauchte ich drei bis vier Tage, um mir ein Flugticket zu besorgen. In dieser Zeit lebte ich im Hotel. Natürlich nicht unter meinem richtigen Namen. Der Rezeptionist ließ es sich teuer bezahlen, dass er meinen Pass nicht sehen wollte.

Als ich wieder in Deutschland war, blieb das Leben auf der Flucht teuer. In meine Wohnung konnte ich natürlich nicht, ich wohnte mal bei dem einen und mal bei dem anderen Freund. Dafür steuerte ich immer etwas zur Miete bei. In meine Wohnung traute ich mich nur nachts, um nach dem Rechten zu sehen und die Post zu holen. Ich konnte auch nicht billig einkaufen, einfach mal den Kühlschrank voll machen, das ging nicht. Schließlich war ich am nächsten Tag schon woanders. Und bei jedem Türklingeln erwartete ich die Polizei.

„In meine Wohnung traute ich mich nur nachts“

Besonders ärgerte mich, dass ich nicht mehr Auto fahren konnte. Das Risiko, in eine Kontrolle zu geraten, war einfach viel zu groß. Deswegen war ich immer auf meine Freunde angewiesen, damit sie mich in der Gegend he-rumchauffierten. Immer wieder war ich kurz davor, mich bei der Polizei zu stellen. Dann aber erinnerte ich mich an die achteinhalb Jahre im Knast, und ich war sicher: Dahin gehe ich nicht zurück. Dem Leben im Bau zog ich ein Leben in Angst vor.

Etwa fünf Wochen ging das so, dann bekam ich den Brief mit dem neuen Verhandlungstermin. Vor allem aber stand in der Benachrichtigung, warum ich vor Gericht sollte. Als ich das gelesen hatte, fiel alle Last von mir ab. Genauso schnell wie ich es verloren hatte, bekam ich mein normales Leben auch zurück. Ich zog wieder in meine Wohnung, ging essen, konnte wieder Auto fahren. Feierte meine neu gewonnene Freiheit. Denn gesucht wurde ich nicht wegen dem Schmuck, nicht wegen Hehlerei, Überfall oder Raubmord. Verhandelt werden sollte ein Ladendiebstahl, den ich nicht begangen hatte.

Vor meinem Thailandurlaub hatte ich gemeinsam mit meinem Bruder als kleinen Nebenverdienst Bohrmaschinen nach Polen geschmuggelt. Wir kauften sie in Deutschland billig ein, in Polen verkaufte sie ein Bekannter. In einem Baumarkt verdächtigte uns ein Ladendedektiv, dass wir eine Bohrmaschine geklaut hätten.

Als die Polizei unser Auto kontrollierte, fand sie natürlich eine Menge Bohrmaschinen – wir wollten gerade wieder nach Polen. Meine Vorstrafe tat ihr übriges, um den Verdacht zu erhärten. In der Verhandlung wurde ich dann freigesprochen. Ich ärgere mich noch heute über die Wochen, die ich verloren habe, nur weil ich meinen Anwalt nicht gefragt hatte, warum ich damals vor Gericht sollte.

Protokoll: Marc-André Rüssau

„Exotisches Mitbringsel“

Wie sich deutsche Männer eine gehorsame Ehefrau suchen

(aus Hinz&Kunzt 120/Februar 2003)

Die Wochenenden sind am Schlimmsten“, sagt Malee Khenchan*. Dann muss Günther* nicht zur Arbeit, und beide sitzen lange 48 Stunden zusammen in der Wohnung. An guten Wochenenden langweilen sie sich nur. An schlechten lässt er seinen Ärger an der Thailänderin aus. „Hinterher geht es ihm besser“, sagt die 25-Jährige. „Er ist den aufgestauten Stress los.“ Dann umarmt er sie und beteuert, wie sehr er sie liebt. Vorher braust Günther auf, schreit und schimpft. Die zierliche Frau versucht ihn dann zu besänftigen – auf Englisch, denn Deutsch kann sie noch nicht. Der 40-Jährige hat seine „Urlaubsbekanntschaft“ erst vor einem halben Jahr geheiratet und nach Hamburg gebracht.

„Malee gehört zu einer Gruppe sehr junger Thailänderinnen, die erst seit ein paar Jahren verstärkt nach Deutschland kommen“, erklärt Pat Mix von der Organisation „Amnesty for Women“. Die 46-Jährige ist selbst Thailänderin, mit einem Deutschen glücklich verheiratet und berät ihre Landsleute in Rechts- und Lebensfragen. Außerdem gibt sie Deutschkurse. „Noch vor kurzem begegneten mir bei meiner Arbeit hauptsächlich Frauen über 30, die bereits Kinder in Thailand haben.“ Jetzt berät sie auch 19-Jährige. Der Leidensdruck in Thailand lässt immer jüngere Frauen das Glück mit einem deutschen Ehemann suchen.

„Amnesty for Women“ kümmert sich um Frauen, die als Migrantinnen nach Deutschland kommen. Meist aus Mittel- und Osteuropa, Südostasien oder Lateinamerika. Im Vordergrund steht dabei der Kampf gegen den Frauenhandel. Denn viele Frauen kommen durch „Heiratsmigration“ nach Deutschland. Vermittelt durch Verwandte und Agenturen oder als exotisches „Mitbringsel“ aus dem Urlaub. Über mangelnde Arbeit kann sich der Verein nicht beschweren. Denn die Lust deutscher Männer auf ausländische Frauen ist ungebrochen.

Bernd Lury von der Hamburger Partnervermittlung „www.lsf-pv.de“, der hauptsächlich Frauen aus St. Petersburg vermittelt, erklärt, warum seine Kunden ihr Liebes- heil im Ausland suchen: „Die Frauen in Deutschland sind zu emanzipiert. Bei denen geht Karriere erst mal vor Familie. Und der Mann muss Geld haben, viel Zeit für die Frau und dann noch gut im Bett sein.“ Natürlich hat die ausländische Frau auch etwas davon: „In Russland empfehlen die Mütter ihren Töchtern: such dir einen deutschen Mann!“, plaudert Bernd Lury. „Denn viele russische Männer sind Alkoholiker oder gehen fremd. Man kann sagen, dass es für eine Russin genauso schwierig ist, daheim einen vernünftigen Mann zu finden wie für einen deutschen Mann eine vernünftige deutsche Frau.“ Und auch das Angebot stimmt, findet er, seit er die 600 Frauen umfassende Kartei seiner St. Petersburger Partneragentur durchforstet hat: „Etwa 400 habe ich erst mal aussortiert – zu alt, nicht hübsch genug, zwei Kinder, nur russisch sprechend, nicht vermittelbar.“

Pat Mix von „Amnesty for Women“ bezeichnet den Grund, warum deutsche Männer ausländische Frauen wollen, mit einem englischen Wort: „Obedience“ – Gehorsam. „Viele deutsche Männer denken, im Ausland muss die Frau dem Mann gehorchen“, erklärt Mix. Ein Frauenbild, das mancher gerne importieren möchte. Viele Männer, die bereits eine Scheidung hinter sich haben, wollen sich endlich wieder als König im eigenen Reich fühlen.

Günther beschützt sein Reich. Malee muss zu Hause sein, wenn er um sechs Uhr von der Arbeit kommt. Als sie sich nach einem Sprachkurs verspätete, führte das zu einem langen Streit mit viel Geschrei. Wenn Malee telefoniert, will Günther genau wissen, mit wem und worüber sie spricht. Was sie den Tag über gemacht hat, Günther will genaue Informationen. Viele bohrende Fragen. Ihn treibt eine Ahnung, die er Malee manchmal entgegen schreit: „Du liebst mich nicht!“ Malee war noch nie in einen Mann verliebt. Einmal hatte sie eine Liebesbeziehung zu einer Frau. Männer bedeuteten immer nur Arbeit. Schon ihre Tante, bei der Malee aufwuchs, verdiente ihr Geld mit Männern. Manche brachte sie mit nach Hause, die musste Malee dann „Papa“ nennen. Einige Freier schlugen ihre Tante. „Ich hasse meinen Vater“, sagt Malee und meint damit jeden Einzelnen. Den, der sie zeugte, kennt sie nicht.

Günther lernte Malee auf der südthailändischen Insel Samui kennen. Lange Zeit ein Geheimtipp für Aussteiger und Rucksacktouristen, bis die allein reisenden Herren kamen. Für sie zimmerte man Bars direkt am Strand zusammen. Hier sitzen sie und gönnen ihrer von der ungewohnten Sonne verbrannten Haut Schatten. Etwas trinken, locker werden. Hier saß auch Malee Tag für Tag und ließ sich von Männern von dem Schlag, den sie bis jetzt „Papa“ nennen musste, Getränke ausgeben. Danach ging sie mit ihnen.

Auch mit Günther. Für eine Pauschalreise und ein paar Mark extra genoss es der frisch geschiedene Techniker aus Hamburg, für die einheimischen Mädchen den „Big Spender“ zu geben. An Malee hatte er mehr Interesse. Er bat sie, mit nach Deutschland zu kommen. Die junge Thailänderin sah eine Chance, die sie sich nicht entgehen lassen konnte.

„Viele Männer sparen mehrere Jahre für ihren Thailand-Urlaub“, berichtet Pat Mix. „So können sie in Thailand als wohlhabende Leute auftreten.“ Bei vielen Frauen weckt das falsche Hoffnungen auf das Traumland Germany. In Deutschland finden sie sich in einer Ein-Zimmer-Wohnung wieder und müssen feststellen, dass das Geld auch hier nicht über den Monat reicht.

Pat Mix fährt oft nach Thailand, um gegen diese Illusionen anzugehen. Sie hält Pressekonferenzen und verteilt Broschüren von „Amnesty for Women“, um Frauen über ihre Rechte und die Situation in Deutschland aufzuklären. „Vor allem müssen Frauen ihre Rechte in Deutschland kennen lernen, und wissen, an wen sie sich wenden können“, so die Beraterin. Sonst seien sie hier völlig vom Willen ihres Mannes abhängig.

Ein Druckmittel, das viele Männer einsetzen, ist Isolation. Kontakt zu anderen Thailändern wird verboten. „Viele Männer verbieten ihren Frauen, Deutsch zu lernen“, sagt Mix. „Die Frau kann dann keine Kontakte knüpfen, und um sich in Deutschland zurechtzufinden, ist sie auf ihren Mann angewiesen.“ Von den eigenen Rechten wisse sie nur, was der Mann ihr erzählt. „Ich kenne eine Frau, die zwölf Jahre bei ihrem Mann blieb, obwohl er sie schlug“, so Mix, „denn das einzige, was sie auf Deutsch sagen konnte war ,Mein Gott‘.“

Das andere Druckmittel, das die deutschen Ehemänner einsetzen können, ist ein Satz: „Wenn du nicht tust, was ich will, schicke ich dich nach Hause.“ Erst nach zwei Jahren Ehe hat die Frau eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Deutschland – vorher ist ihr Bleiberecht vom Mann abhängig. Aber auch nach dieser Zeit bleiben viele bei ihrem Ehemann. Aus Angst, es in Deutschland nicht allein zu schaffen. Und weil er meist auch die Familie in Thailand finanziell unterstützt. Oft kommen Frauen zu „Amnesty for Women“ und klagen, dass sie ihren Mann gerne verlassen würden, die Familie aber auf die 200 Euro angewiesen ist, die er nach Hause schickt. „Mensch“, sagt die Beraterin dann, „was sind 200 Euro, dafür machst du ihm den ganzen Haushalt! Das Geld kannst du auch selbst verdienen, wenn du putzen gehst!“

Malee will mit Günther nicht alt werden. In eineinhalb Jahren darf sie ohne ihn in Deutschland bleiben. Dann will sie ihren Mann verlassen. Sie hofft, bis dahin so gut Deutsch zu sprechen, dass es für einen Job reicht.

Marc-André Rüssau

*Namen geändert