„Meine Tochter war nicht schlecht“

Vor neun Jahren wurde die Hinz&Kunzt-Verkäuferin Annett ermordet. Ihre Mutter spricht in Hinz&Kunzt über den Tod und die Drogensucht ihrer Tochter

(aus Hinz&Kunzt 199/September 2009)

Auf den ersten Blick traut man ihr all das gar nicht zu. Die 67 Jahre alte Ingrid Jöhrendt wirkt fast zerbrechlich, so wie sie unter dem Bild ihrer toten Tochter im Sessel sitzt. Ein bisschen müde, mitgenommen von drei Schlaganfällen. Und dem Schmerz um die ermordete Tochter. Man traut es ihr wirklich nicht zu, und doch hat diese zerbrechliche Frau mit einem Zuhälter um die Tochter verhandelt, nächtelang Drogendealer verfolgt und gegen die Sucht ihres Kindes gekämpft.

Die Kinder sind dann mal weg

Frau T. wurden die Kinder weggenommen, sie will sie wiederhaben, aber das ist gar nicht so leicht. Frank Keil hat die Geschichte aus ihrer Sicht aufgeschrieben

(aus Hinz&Kunzt 190/Dezember 2008)

Am Anfang hat sie immer geweint. Nicht vor den Kindern! Da hat sie sich immer zusammengerissen. Sondern auf dem Weg vom Kinderheim nach Hause. Frau T. sagt: „Ich wusste ja, ich sehe meine Kinder erst in drei Wochen wieder; vorher nicht.“ Frau T.s beiden jüngsten Kinder Robin (5) (Namen der Kinder geändert, die Red.) und Marvin (4) sind seit 13 Monaten in einem Kinderheim in einer Familiengruppe untergebracht.

Irgendwo ist Afrika

Sechs Jahre lebte Olivia in einem Bauwagen. Wegen der Geburt ihres Kindes zog sie in ein Haus, doch sie kann die Rückkehr zum Leben auf Rädern kaum erwarten

(aus Hinz&Kunzt 156/Februar 2006)

Ihr kleines Zimmer leert sich langsam. Die Klamotten verschwinden im alten Koffer, das Spielzeug in der Kiste. Das Chaos der letzten Tage und Wochen lichtet sich ein wenig. Stehen bleibt, was eh ins Zimmer gehört. Ein Schrank, die dünne Matratze, Sofa, Tisch und Sessel. Luis krabbelt auf dem Holzfußboden herum und scheint munter in seiner eigenen Sprache zu erzählen, was sich in seinem kleinen Leben demnächst alles verändern wird.

Der Totschlag

Die Wirklichkeit kann so tragisch sein, dass Strafe ihren Sinn verliert. Richter Claus Rabe und die Mutter, die ihr Baby tötete.

(aus Hinz&Kunzt 134/April 2004)

Der Richter sucht den Blick der Angeklagten. „Vielleicht wäre es sinnvoll, mit der Geburt zu beginnen“, formuliert er vorsichtig. Die Angeklagte nickt und fängt an zu sprechen. Vor wenigen Wochen leitete Claus Rabe, Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg, den Prozess gegen eine junge Frau, die ihr kleines Kind getötet hat. „Todes-Mutter“ hieß die Angeklagte in der „Morgenpost“. Die Anklage lautete Totschlag. Während der Ermittlungen hatte die Angeklagte behauptet, dass es ein Unfall gewesen sei.

„Wie eine kleine Puppe“

Wenn Minderjährige Kinder bekommen

(aus Hinz&Kunzt 130/Dezember 2003)

Verhütet? Nein, das haben sie nicht, sagt Jennifer Jordan. Keine Ahnung warum, ehrlich gesagt. Wahrscheinlich keine Zeit gehabt, sagt die 19-Jährige und lacht. Sie waren halt total verknallt, sie und ihr Maxim Ladner. Damals. Sie war gerade 15, er 16 Jahre alt. Beide durchlebten eine „null Bock auf gar nichts“-Phase. Hauptsache Fun haben, Schule abbrechen, kiffen, Partys… Tja. Und dann ist es passiert. Jenny wurde schwanger.

Angst hatte ich, sagt Jenny. Vor der Zukunft. Aber eine Abtreibung kam für sie nicht in Frage. Also verdrängte sie das „Problem“ und erzählte zu Hause nichts von der Schwangerschaft. Fünf Monate lang. Dabei wusste sie, dass die Eltern ihr nicht den Kopf abreißen. Und, weißt du noch?, fragt Jennys Mutter, Siegrid Jordan, wie wir beiden uns in den Armen gelegen und geheult haben, als es endlich raus war? Die heute 44-Jährige ahnte ohnehin, was mit ihrer Tochter los war. Für sie stand sofort fest: Die Familie meistert zusammen, was zu meistern ist.

Während Jenny ihren Eltern von der Schwangerschaft erzählte, lag Maxim auf dem Jordanschen Sofa und zog sich eine Decke über den Kopf. Zu viel Gefühl. Er hatte seiner Freundin von Anfang an nicht in die Entscheidung reingeredet. Klar, sagt er, auch er musste erst mal lange nachdenken über sein Leben. Schließlich hatten weder er noch Jenny einen Schulabschluss. Aber jetzt freute er sich richtig darauf, Vater zu werden. Maxim zog bei Familie Jordan ein. Jenny konnte endlich aufatmen.

„Mein Vater hat viel Alkohol getrunken und meine Mutter und uns geschlagen – mit Händen, Füßen und Kabeln. Ich wollte nur weg, heiraten und eine eigene Familie haben. Als ich schwanger war, war ich unbeschreiblich glücklich.“ Svea (Name geändert) ist 17 Jahre alt. Mit 15 brachte sie einen Jungen zur Welt. Seit eineinhalb Jahren leben die beiden in einem Wohnhaus der Alida Schmidt-Stiftung. Die Betreuerinnen dort sind ihr Familienersatz.

Viele minderjährige Mütter stammen aus zerrütteten Familien, sagt Einrichtungsleiterin Martina Feistritzer. Etliche hatten Kontakt zur Jugendhilfe, da sie Missbrauchs- und Gewalterfahrungen haben, ihre Eltern nicht mehr leben oder unter psychischen oder Suchterkrankungen leiden. Der Wunsch nach einem eigenen Kind entspringt der Hoffnung auf Geborgenheit. „Liebe geben können wird verwechselt mit Liebe bekommen“, so Feistritzer. Auch fehlende Zukunftsperspektiven nennt die Diplompädagogin als Grund für eine frühe Schwangerschaft. Vor allem für schlecht Ausgebildete sinken die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Feistritzer: „Wenn die Mädchen ein Kind bekommen, haben sie plötzlich eine Perspektive: das Muttersein.“

Von 1995 bis 2002 brachten 1115 Hamburgerinnen unter 18 Jahren ein Kind zur Welt. Doch das Familienglück bleibt häufig aus. Svea: „Als ich meinem Freund erzählte, dass ich ein Baby bekomme, wurde er wütend und hat mich geschlagen. Ich sollte das Kind abtreiben.“ Das hat sie nicht gemacht. „Das Kind bleibt immer bei mir. Es ist doch ein Teil von mir. Aber ich wünsche mir so, nicht die ganze Verantwortung alleine tragen zu müssen.“

Sie sei Jenny und Maxim fürchterlich auf die Nerven gegangen, meint Siegrid Jordan. Die jungen Eltern lachen. Es stimmt. Schon während der Schwangerschaft wollte Mutter Jordan partout, dass das junge Paar zur Geburtsvorbereitung geht. Beide hatten keine Lust darauf. Albern fand Jenny das „Geatme“ dort. Und als Minderjährige unter all den älteren Paaren – die Vorstellung war gruselig. Sie sollten wissen, was auf sie zukommt, fand Siegrid Jordan. Heute geben Maxim und Jenny zu, dass der Kurs sehr hilfreich war. Aber Siegrid Jordan, die als Tagesmutter auch beruflich etliche Kinder betreut, nervt die Tochter auch heute noch: Hast du die Schnullis ordentlich gesäubert? Hast du deine Tochter eingecremt? Du willst doch so nicht mit Maya raus – es ist doch viel zu kalt! Jenny sagt: Jaaa, Mama…

Siegrid Jordan fühlte sich verantwortlich, den jungen Leuten das Elternsein beizubringen. Aber auch sie musste lernen. Lernen, Maxim und Jenny nicht alles vorzuschreiben, die jungen Eltern einfach mal machen zu lassen. Jenny und Maxim wissen heute freilich genau, dass Siegrid Jordan meistens Recht hatte. Maxim erinnert sich, wie er erst mal einsehen musste, dass er sich körperlich ruinierte. Morgens früh raus zum Arbeiten, abends auf Piste und nachts weint das Baby – das hält keiner aus. Und auch Jenny kann sich noch an eine Situation erinnern, in der sie sich völlig überfordert fühlte. Die kleine Maya hatte starke Bronchitis, und Mutter und Vater Jordan waren nicht da. Ich hab tierische Angst gehabt, sagt Jenny, ich wusste überhaupt nicht, was ich machen soll. In solchen Momenten war ihr mehr denn je bewusst, wie wichtig der familiäre Rückhalt war. Jenny sagt: Verantwortung zu haben muss man eben auch erst lernen.

Manchmal denkt Jenny, sie sei eine schlechte Mutter. Heute zum Beispiel. Da hatte sie frei und ließ sich trotzdem den ganzen Tag nicht bei der Tochter blicken. Sie ging lieber shoppen. Balsam für die Seele muss auch mal sein, beruhigt Siegrid Jordan. Sie will, dass ihre Tochter sich nicht grämt, eine so junge Mutter zu sein. Deshalb nimmt sie Maya auch dann ab und zu, wenn Jenny mal ausgehen will. Jenny sagt: Meine Mutter ermöglicht es mir, trotz allem jung zu sein.

„Ich habe gedacht, ein Kind ist wie eine kleine Puppe – so einfach. Wenn man Lust hat, kann man schön damit spielen. Wenn man keine Lust hat, ist das Spiel eben zu Ende. Ich wusste nicht, dass es so schwer ist, für ein Kind da zu sein.“ Svea steckt in einem Konflikt: Oft ist sie eifersüchtig auf die Mädchen, die keine Verantwortung tragen. Sie müssen an nichts denken: Hat er genug gegessen? Muss er ins Bett? Ist die Frau, der sie ihr Kind anvertraut, gut zu ihm? Wenn Svea solche Gedanken beschleichen, fühlt sie sich sofort schlecht. Schließlich war es ihre Entscheidung, das Kind zu bekommen.

Minderjährige überblicken oft die Konsequenzen ihres Handelns nicht, sagt Anne Trumm, Leiterin des Bereichs stationäre Hilfen für Mütter und ihre Kinder im Abendroth-Haus. Sie leben eher für den Augenblick. Bekommen sie ein Baby, verpassen die jungen Mädchen die wichtige Entwicklungszeit der Pubertät, so die 50-Jährige.

„Die Mädchen wollen unbedingt gute Mütter sein und überfordern sich dabei maßlos“, so Anne Trumm. Da Kritik und gute Ratschläge ihnen suggerieren, ihrer Aufgabe nicht gerecht zu werden, lassen sie oft niemanden an sich heran. Eigene Entwicklungsverzögerungen bedingen aber, Entwicklungsverzögerungen beim Kind nicht zu erkennen. Besonders bei jungen Frauen, die die Schule abgebrochen haben, hat das zum Teil fatale Folgen: „Die Mädchen können die Anweisungen auf der Babynahrung nicht richtig lesen und pappen irgendeinen Brei zusammen“, erzählt Trumm. „Die Babys sind dann oft solche Wonneproppen, dass sie sich kaum bewegen können.“

Anne Trumm und Martina Feistritzer finden, dass jede Mutter die Chance haben sollte, mit ihrem Kind zu leben. Dazu wollen sie auch die Minderjährigen befähigen. Doch manchmal müssen sie eine schwere Entscheidung treffen und feststellen: Das Kind wäre besser woanders aufgehoben.

Svea liebt ihr Kind. Und sie managt ihre Mutterrolle. Aber wenn sie sich nochmal entscheiden dürfte, würde sie alles anders machen: „Erst Schule, dann eine Ausbildung, viel Geld sparen, ein Haus und ein Auto kaufen, heiraten und dann ein Kind bekommen. Ich habe ja noch nicht mal das Sorgerecht für meinen Kleinen. Ich habe die ganze Verantwortung, aber entscheiden kann ich nichts.“

Inzwischen ist Maya zweieinhalb Jahre alt. Jenny hat ihren Hauptschulabschluss nachgemacht und lernt Zahnarzthelferin. Maxim macht eine Ausbildung zum Zerspaner. Mit der Verantwortung für das Kind wuchs auch die Verantwortung für das eigene Leben. Die große Liebe von damals hat zwar nicht gehalten – trotzdem geht Vater Maxim selbstverständlich bei den Jordans ein und aus. Er ist schließlich eine wichtige Person für Maya, stellt Jenny klar.

Sie selbst wohnt in einer eigenen kleinen Wohnung. Eigentlich plante sie, dort mit ihrer Tochter ständig zusammenzuleben. Aber sie muss auch ihr eigenes Leben noch regeln. Eine Ausbildung schaffen und ein Kind erziehen – das war doch zu viel. Also lebt Maya nur am Wochenende bei Jenny, während der Woche passen Oma und Opa auf die Kleine auf. Jenny kommt nach der Arbeit und bringt ihr Kind ins Bett. Es herrschen klare Regeln. Für Jenny und ihr Kind. Maxim ist sich bewusst, dass Familie Jordan auch viel für ihn getan hat. Dafür, sagt er, bin ich sehr dankbar. So hat er keinen Grund zu bereuen, mit 17 Vater geworden zu sein.

Auf welche Schule Maya mal gehen soll – darüber macht er sich noch keine Gedanken. Bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit. Jenny sieht das anders. Eine Schule soll es sein, auf der die Talente der Kleinen gefördert werden. Denn die hat sie eindeutig, sagt die stolze Mutter. Und was, wenn auch Maya mal eine Null-Bock-Phase durchleben sollte? Jenny atmet tief durch. Dann sagt sie: Also wenn sie 13 ist, schlepp ich sie zum Frauenarzt. Das ist schon mal klar.

Annette Woywode

Mütter hinter Gittern

Richter kritisiert harten Kurs im Strafvollzug

(aus Hinz&Kunzt 118/Dezember 220)

Hochschwangere kommen wegen kleiner Delikte ins Gefängnis – und müssen während der Haft entbinden. Junge Mütter, die Geldstrafen nicht bezahlt haben, werden von ihren Babys getrennt und eingesperrt. Horst Becker, Vorsitzender Richter am Landgericht und ehemaliger Leiter der Gnadenabteilung, hält diese neue Praxis in Hamburg für unangemessen und herzlos.

Marianne K.* hatte sich gefreut auf ihr Baby. Trotz allem. Denn die junge Frau ist drogenabhängig. Sie wird substituiert, kann aber noch nicht ohne eine Zusatzdroge leben. Aber sie hat Unterstützung: vom Jugendamt und von IGLU, die sich um drogenabhängige Mütter und ihre Kinder kümmern. Für die Zeit nach der Geburt war alles geplant. Das Baby sollte in einem Kinderschutzhaus leben, Marianne in der Nähe. Sie wollte es immer besuchen, bis sie soweit wäre, sich alleine um ihr Kind zu kümmern.

Auch Bea W.* ist drogenabhängig und wird substituiert. Auch sie entband im Oktober. IGLU und das Jugendamt halten sie für so stabil, dass sie – betreut – mit ihrem Baby zusammenleben kann.

Die Kinder kamen – wie häufig bei drogenabhängigen Müttern – zu früh auf die Welt und litten unter Entzugserscheinungen. Im Kinderkrankenhaus Altona, das spezialisiert ist auf diese Symptome, mussten sie stationär behandelt werden. Die Mütter besuchten sie. Eine Phase, die für die Mutter-Kind- Bindung entscheidend ist.

Noch in dieser Zeit wurden beide Frauen bei einer Personenkontrolle festgenommen. Gegen beide lag ein Haftbefehl vor – weil sie Geldstrafen nicht bezahlt hatten. Nicht bezahlen konnten. Obwohl sie frisch entbunden hatten und obwohl ihre Babys noch im Krankenhaus waren, wurden sie im Oktober – nur wenige Tage nacheinander – ins Untersuchungsgefängnis gebracht.

Inzwischen sind beide Frauen in den Frauenknast Hahnöfersand überstellt worden. Noch im UG stellten sie ein Gnadengesuch, die erst Ende November positiv entschieden wurden.

„Ich kann mich nicht entsinnen, dass eine Frau, deren Baby bei uns stationär behandelt wurde, einfach verhaftet worden wäre“, sagt Dr. Michael Bentfeld vom Kinderkrankenhaus Altona. Schließlich sei man doch dabei gewesen, gemeinsam Perspektiven zu entwickeln, auch wenn die Situation an sich schon schwierig sei.

Fast zeitgleich wurden drei hochschwangere Frauen in Untersuchungshaft genommen. Während ihrer Haftzeit entbanden sie und saßen dann mit ihren Babys im Knast. Eine von ihnen war auf frischer Tat beim Dealen erwischt worden, die andere hatte wiederholt Diebstähle begangen. Eine konnte ebenfalls ihre Geldstrafe nicht bezahlen, wie Kai Nitschke, Sprecher der Justizbehörde, bestätigte. Weil sie keinen festen Wohnsitz hatten, bestand nach Meinung des Haftrichters Fluchtgefahr.

Regelrecht „gefährlich“ findet IGLU-Mitarbeiterin Birgit Meyer die Situation der Frauen, die während ihrer Untersuchungshaftzeit entbunden haben und ihre Babys mit in die Zelle nehmen durften. „Natürlich ist das besser, als von den Babys getrennt zu werden“, sagt sie. „Aber die Behandlung von Säuglingen, die einen Entzug durchmachen, erfordert ganz besondere Bedingungen.“

Immerhin so besonders, dass es in Hamburg nur drei Kliniken gibt, die auf diese Behandlung spezialisiert sind, bestätigt Dr. Bentfeld. „Die Babys sind sehr empfindlich. Sie brauchen aufwändige medikamentöse und pflegerische Betreuung. Das kostet sehr viel Kraft“, so der Arzt. „Bis hin zu den Lichtverhältnissen muss alles stimmen – und sie brauchen viel Ruhe.“

„Ich erwarte ja gar nicht, dass den Frauen ihre Strafe erlassen wird, aber man könnte sie doch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben“, so IGLU-Mitarbeiterin Birgit Meyer.

Natürlich gab’s auch früher schon werdende Mütter im Knast. Nur ging man damals anders mit dem Problem um. „Selbstverständlich haben wir werdende Mütter vor der Entbindung entlassen, und selbstverständlich mussten werdende Mütter oder Mütter mit Kleinstkindern nicht in den Knast“, sagt Horst Becker, ehemaliger Leiter der Gnadenabteilung und der Sozialen Dienste der Justiz. Die Gnadengesuche seien innerhalb von ein bis drei Tagen, manchmal noch am selben Tag entschieden worden. „Wir haben immer eine Lösung gefunden, die sich am Wohl des Kindes orientiert hat, und zwar immer im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft und der Strafanstalt.“ In Hamburg habe die Gnadenabteilung übrigens nicht anders gehandelt als in anderen Bundesländern.

Worauf die Richter allerdings penibel achteten: „Dass Mutter und Kind nach der Strafunterbrechung oder der einstweiligen Einstellung der Strafvollstreckung intensiv sozialpädagogisch betreut werden.“ Wie heute auch habe es sich „meist um randständige Frauen“ gehandelt, die ihre Geldstrafen nicht zahlen konnten oder eine kurze Freiheitsstrafe wegen Bagatell- oder Beschaffungskriminalität verbüßen mussten.

Seine Entscheidungen habe er nie bereut. „Ich habe nie gehört, dass wir eine Fehlentscheidung getroffen haben“, sagt der 53-Jährige. Der jetzige Senat reagiere selbst in diesen Fällen mit gnadenloser Härte. „Dass jetzt bereits Kleinkinder zu Opfern der Strafvollstreckung werden, zeigt, wie wenig Herz der Senat für Kinder hat.“

Der jetzige Vorsitzende der Großen Strafkammer 7 ist froh, dass er im April die Leitung der Gnadenabteilung niedergelegt hat. „Ich konnte das alles nicht mehr mitmachen.“ Gnade, so seine Meinung, „gibt es in Hamburg nur noch auf dem Papier“.

Birgit Müller

* Name geändert