Wilhelmsburg

Migrantenmedizin sucht Frauenärztin

Die Migrantenmedizin in Wilhelmsburg sucht eine Frauenärztin. Die Beratungsstelle bietet seit 2011 Sprechstunden für Menschen ohne Krankenversicherung an. Die Ärzte sind ehrenamtlich tätig, nun soll das Angebot ausgebaut werden.

Bulgaren und Rumänen

Grenzkontrollen bleiben

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich will die Aufhebung der Kontrollen an den Grenzen zu Rumänien und Bulgarien verhindern. Die Diakonie Deutschland kritisiert die Blockadehaltung und wirft dem Minister Polemik gegen Zuwanderer vor.

Fremdgänger

Ausländische Jugendliche über ihr Leben mit den Deutschen

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Barbaras Blick ist schüchtern und stark zugleich, eine Spur fragend aus dunklen Augen. José grinst breit und guckt sein Gegenüber direkt an, eindringlich und intensiv. Die beiden würden auf die Oberstufe eines Gymnasiums passen oder in einen Uni-Kurs. Sie tragen Strickpullis gegen die unfreund-liche Winter-Nässe und schieben sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Beide sind 18, sie kommen aus Eldorado Misiones, einer Stadt im argentinischen Urwald. Ihre Vorfah-en waren deutsche Einwanderer.

Gekommen, geblieben

Der Lebenslauf einer türkischen „Gastarbeiterin“ in Hamburg

(aus Hinz&Kunzt 128/Oktober 2003)

Vor 30 Jahren kam Nermin Özdil – wie so viele Landsleute – nach Deutschland. Ursprünglich wollte sie schnell wieder in die Türkei zurück. Jetzt ist sie 60 Jahre alt, lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Der Autor und Regisseur Michael Richter hat sie für sein Buch „gekommen und geblieben“ interviewt.

„In München holten sie uns in einen großen Raum. Jeder von uns hatte eine Startnummer bekommen, ich hatte die Nummer 311, und jetzt drückte man uns einen Zettel in die Hand, auf dem das Ziel stand, wo wir hinfahren sollten. Alle in diesem Raum waren Türken, die nach Deutschland gekommen waren, um zu arbeiten.“

Nermin Özdil erinnert sich an jedes Detail dieser Situation, die immerhin schon 30 Jahre zurück liegt. Jetzt sitzt sie gelassen in ihrer Wohnung in Altona, ihre Augen ruhen auf dem Gesprächspartner. Sie nippt an ihrem Tee und ihre volle, warme Stimme füllt den Raum. Sie hat diese Geschichte sicher schon oft erzählt, und trotzdem spürt man intensiv dieses Gemisch aus Angst, Anspannung und Vorfreude, das sie damals empfunden haben muss.

„Ich war sehr aufgeregt. Die meisten anderen meiner Landsleute waren in Gruppen zu viert oder zu fünft unterwegs. Ich war die einzige, die alleine gekommen war. Man hatte mir eine Arbeit in einem Hotel als Köchin versprochen. Aber jetzt hieß es plötzlich, es gäbe Arbeit in einer Stoßdämpferfabrik für mich – in einer Stadt in Norddeutschland, in Uelzen.“

Ein Schock für die junge Türkin, die gerade ihre ersten Stunden im fremden Land Deutschland erlebte. Sie soll nicht in einem Hotel arbeiten? Sie soll in einer Fabrik arbeiten? Alles, was man ihr in der Türkei versprochen hatte, ist auf einmal anders. Was soll sie jetzt tun – aufgeben? Umkehren? Aber Nermin Özdil ist keine Frau, die sich leicht unterkriegen lässt. Sie nimmt die Herausforderung an und setzt sich in einen Zug nach Norden.

„In meinem Abteil fand ich einen Plan, den blätterte ich durch und schaute nach dem Namen „Uelzen“. Das war das einzige, was ich verstanden hatte: Ich werde in Uelzen arbeiten. Auf dem Fahrplan stand: 9 Uhr Uelzen. Ich schlief nicht, weil ich Angst hatte, die Station zu verpassen. Ich schaute immer aus dem Fenster, achtete auf die Uhr und stieg da aus, wo der Zug um 9 Uhr hielt.“

Man schreibt das Jahr 1973, und Nermin Özdil ist 30 Jahre alt. Sie hat ihren Mann und drei Kinder vorläufig in der Türkei zurückgelassen, um voller Abenteuerlust das sagenhaft reiche Land im Norden zu erkunden. Seit 1961 besteht das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei, mit dem hunderttausende „Gastarbeiter“ für die boomende deutsche Wirtschaft angeworben werden.

In der Türkei staunt man über diejenigen, die in Deutschland arbeiten. „Eines Tages kam ein früherer Arbeitskollege meines Mannes aus Deutschland auf Urlaub nach Hause. Er kaufte sich ein Haus und heiratete. Mein Mann wunderte sich: ‚Wie kann der sich das leisten, der war doch auch nur ein kleiner Beamter wie ich?‘ Allmählich gingen immer mehr Leute aus unserer Umgebung nach Deutschland. Schließlich bat mich eine Nachbarin, die weder lesen noch schreiben konnte, sie zu der Vermittlungsstelle zu begleiten, wo man sich um Jobs in Deutschland bewerben konnte. Aber dort sagten sie, nein, für solche Leute gibt es keine Arbeit mehr. Und dann fragten sie mich: Willst du nicht nach Deutschland gehen? Wenn du als Schneiderin ausgebildet bist, findet sich immer etwas. Und drei Tage später hatte ich ein Angebot im Briefkasten.“

Dann ging alles sehr schnell. Nermin Özdil hatte immer gerne in ihrem Beruf als Hauswirtschaftslehrerin arbeiten wollen, aber ihr Mann war dagegen: „Kümmere dich lieber um die Kinder“, hatte er gemeint. Dass sie damals nach Deutschland ging, war vielleicht auch eine Möglichkeit, diesem Druck zu entkommen. Aber auch für eine abenteuerlustige Frau wie Nermin Özdil verliert das gelobte Land Deutschland schon nach wenigen Wochen den Geschmack des Paradieses.

„In der ersten Zeit wohnte ich in einem Dorf in der Nähe des Betriebs, in einem kleinen Raum mit zwei jungen Mädchen. Wir waren die einzigen Türkinnen im Ort. Eine ging frühmorgens, eine nachmittags und eine um Mitternacht in die Fabrik. Wir konnten nie zusammen zur Arbeit gehen oder zusammen nach Hause kommen. Das Zimmer war ganz einfach eingerichtet, drei Betten, das war’s. Der Herd funktionierte nicht, und wir konnten uns nicht einmal einen Tee kochen.“

Ihr Mann will eigentlich nicht nach Deutschland, und auch Nermin Özdils Schwiegermutter schreibt in einem Brief: „Weißt du nicht, wo du hingehörst? Du hast den rechten Weg noch nicht gefunden.“ Aber die junge Frau ist sich sicher, dass ihr neues Leben trotz allem besser ist als ihr altes. Sie überredet ihren Mann nachzukommen, und als er eine Arbeit findet, holen sie auch die Kinder nach. Kurz darauf wird Nermin Özdil wieder schwanger – die schwere Arbeit in der Stoßdämpferfabrik ist unerträglich. „Mein Meister lachte sich immer tot über mich. Er ließ mich stundenlang fast 50 Kilo schwere Stoßdämpfer schleppen, die ganze Schwangerschaft über. Ich bin wer weiß wie oft im Krankenhaus gewesen wegen dieser Schwerarbeit. In der Firma sagten sie, ich solle doch unter dem Tisch gebären, und lachten mich aus.“

Als Nermin Özdil endlich in den Mutterschutz geht, sucht sie sich eine neue Arbeitsstelle, wieder in einer Uelzener Fabrik. Wieder macht sie schlechte Erfahrungen, und wieder sucht sie neue Arbeit für sich und ihren Mann. Das ist in den siebziger Jahren, als in Deutschland noch Vollbeschäftigung herrscht, problemlos möglich. Schließlich zieht die Familie nach Hamburg – die besseren Arbeitsmöglichkeiten reizen sie ebenso wie die vielen Landsleute, die inzwischen hier leben. Allmählich finden sich die Özdils besser zurecht in Deutschland. Sie können einschätzen, wem sie vertrauen können.

„Ich habe nicht nur schlechte Deutsche kennen gelernt“, meint Nermin Özdil. „Eine Nachbarin, neben der wir in Altona wohnten, bot mir ein Tauschgeschäft an: ‚Frau Özdil, du kannst für uns nähen, und ich kann für dich dafür schriftliche Sachen erledigen.‘ – Sie fand für mich den Job bei Kaufhof. Sie hatte die Anzeige in der Zeitung gelesen: ‚Das ist was für dich, es ist gleich um die Ecke, dann kannst du dich mehr um deine Kinder kümmern.‘ – Sie rief für mich an und kümmerte sich um alles, das war eine große Hilfe. Zum Vorstellungsgespräch ging ich aber alleine. Der Chef wirkte sehr sympathisch, er sagte: ‚Wir haben viele türkische Kunden, da kannst du uns sicher helfen.‘“

21 Jahre lang arbeitet Nermin Özdil als Verkäuferin in der Stoffabteilung bei Kaufhof. Eine schöne Zeit, sagt sie mit Wehmut in der Stimme. Sie hatte einen Beruf, der sie ausfüllte, sah, wie ihre Kinder aufwuchsen und ihren Weg gingen, studierten und heirateten, und hatte das Gefühl, ihren Platz in Deutschland gefunden zu haben. Sie dachte, sie könnte bis zur Rente dort arbeiten, aber dann machte der Kaufhof in Altona zu, und sie wurde entlassen. Das war im Jahr 2000. Seither ist Nermin Özdil arbeitslos und wartet auf die Rente.

Das Warten fällt der resoluten Frau schwer. Es juckt sie in den Fingern, wieder zu arbeiten, obwohl ihre Gesundheit von der jahrzehntelangen Plackerei angegriffen ist. Über ihr Rentnerdasein hat sie sich noch nicht viele Gedanken gemacht: „Einerseits wäre es schön, mehr in der Türkei zu sein, aber ich will doch auch bei meinen Enkeln sein. Vielleicht pendeln wir, wie so viele, und haben so von beiden Ländern etwas.“

„Dort ein Fritz, hier ein Iwan“

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Viele Aussiedler fühlen sich nirgends willkommen. Nicht in der alten Heimat und nicht in Deutschland. Bloß gut, dass es die Familie gibt.

„Wenn wir nach Deutschland gehen, sind wir reich“, pflegte Oma Hertha zu sagen. Dabei klopfte sie auf die Kiste, die prall gefüllt war mit Reichsmark. Über Jahrzehnte hütete sie ihren Schatz im fernen Kasachstan. Um so größer war die Enttäuschung nach der Ankunft in Deutschland 1973. Keiner wollte die riesigen Geldlappen annehmen.

Elena Böhm erinnert sich gut an diese Zeit. Sie selbst kam, damals neunjährig, zusammen mit Oma Hertha als Aussiedlerin nach Deutschland. Nach der Landung am Flughafen Frankfurt sah sie in den Geschäften überall die Auslagen und Lichter glitzern. „Ich dachte, ich bin mitten im Paradies“, sagt die dunkelhaarige, fröhliche Frau. Doch schon beim ersten Mittagessen im Erstaufnahmelager Friedland wich die Euphorie: Es gab Spinat, und der schmeckte fürchterlich. „Was für ein armes Land muss das sein“, dachte die kleine Elena, „dass die Leute Gras essen müssen.“

Großes Gelächter in der Runde. Am Tisch in den Räumen der Beratungsstelle „Der Begleiter e.V.“ in Bergedorf, sitzen Aussiedler aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Normalerweise kommen sie hierher, um beim Sprachtreff Deutsch zu lernen oder es aufzu-bessern. Heute erzählen sie von ihrem Leben. Geschichten wie die von Elena Böhm, die heute als Aussiedlerberaterin beim „Begleiter“ arbeitet, haben alle auf Lager. Doch was im Nachhinein lustig klingt, führte bei der Ankunft in Deutschland zu Tränen.

„Mein Sohn hat zwei Tage lang mit dem Kopf auf dem Tisch gelegen und nichts gegessen und getrunken“, erzählt Olga Bytschinski, die 1998 nach Deutschland kam und nach der Erstaufnahme zunächst kurz auf einem Schiff in Hamburg-Neumühlen untergebracht war. „Das Ungeziefer überall, der Schmutz – wir hatten Angst, einen großen Fehler gemacht zu haben“, so die 60-Jährige. Schließlich hatte die Familie in der russischen Kleinstadt, 20 Kilometer von Moskau entfernt, ganz gut gelebt.

Wenn Olga Bytschinski an die Ausflüge zum Pilzesammeln in die nahegelegenen Wälder denkt und an das schöne Wetter dort, wird der Blick der kleinen Frau im dicken Wollpullover weich. Und sie gerät ins Schwärmen, wenn sie stockend von ihrer „Lieblingsbeschäftigung“ erzählt, ihrem Beruf: 25 Jahre lang hat sie als Bauingenieurin gearbeitet. In Deutschland wurde ihr Diplom nicht anerkannt, und egal, um welchen Job sie sich bewarb, sie hörte das, was auch in Deutschland Geborene zunehmend hören: zu alt. Seither lebt Olga Bytschinski von einer spärlichen Rente, und die Motivation, das gebrochene Deutsch aufzupeppen, sinkt von Jahr zu Jahr.

Gerade ältere Aussiedler haben kaum Chancen auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. Aber warum sind sie nach Deutschland gekommen? Natürlich haben alle auf wirtschaftlichen Wohlstand gehofft. Aber das war nicht der einzige Grund: „Wir waren da doch die Faschisten“, sagt die 50-jährige Ludmilla Miller. Schon als Schulkind in Kirgisien hatten Klassenkameraden ihr diesen „Spitznamen“ verliehen. Und später bei Bewerbungsgesprächen wurde die mit dem verräterischen Nachnamen Lichtenwald geborene Frau regelmässig mit der Begründung abge-lehnt: „Wir brauchen keine Deutschen.“

Waldemar Renschler, der gemeinsam mit seiner Frau Jelena 1995 nach Hamburg kam, erlebte direkt, wie der Zweite Weltkrieg friedliche Nachbarn zu Feinden machte. Der 69-Jährige wurde in der Ukraine geboren. Als Achtjähriger kam er 1944 zum ersten Mal nach Deutschland – als Deportierter. Wie alle seine Landsleute stand auch der kleine Junge nach dem Angriff Hitlers auf die UdSSR unter Gene-ralverdacht, mit dem Reich zu kollaborieren. Nach dem Sieg der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg brachte ihn ein Zug zurück – allerdings nicht in die Ukraine, sondern nach Sibirien ins Arbeitslager.

Obwohl die Sowjet-Deutschen im Jahr 1964 offiziell rehabilitiert wurden, bestimmte die Kollektivbeschuldigung noch lange die Einstellung gegenüber dieser nationalen Minderheit. „Dabei hatten viele von ihnen gegen die Nazis gekämpft“, sagt Elena Böhm.

Wir sind eine verlorene Generation“, meint Ludmilla Miller. „Dort waren wir der Fritz, und hier sind wir der Iwan.“ Die resolute Frau mit dem modernen Kurzhaarschnitt spricht sehr gut Deutsch. Ihren slawischen Akzent kann die gelernte chemisch-technische Assistentin dennoch nicht verbergen. „Ich versuche mich zu integrieren, aber wenn ich den Mund aufmache, schlagen mir hier oft Aggressionen entgegen.“ Alle nicken. Schon in Russland war man wegen der ewigen Ablehnung lieber unter seinesgleichen geblieben, hatte untereinander geheiratet. Hier in Deutschland wiederhole sich das nun. „Wir haben unsere Familien. Das ist das Wichtigste“, sagt Elena Böhm. Heimat ist da, wo die Familie ist.

Doch manchen reicht das nicht. „Ich selbst habe nie schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt Nadine Ruks. Aber die schlanke 38-Jährige sorgt sich um ihren Vater. Er geht kaum noch aus dem Haus, lebt völlig zurückgezogen und frustriert. Ein Urlaub in Russland sollte Linderung bringen, aber der bewies erneut, dass sich der Vater auch in der Ferne nicht Zuhause fühlt. „Viele Aussiedler leiden unter Depressionen“, bestätigt Elena Böhm. Das Bergedorfer Krankenhaus habe beim „Begleiter“ daher schon mal angefragt, ob man einen russischsprachigen Psychologen vermitteln könne.

Nadine Ruks selbst hat sich durchgebissen. Die Englischlehrerin kam vor sechs Jahren nach Deutschland, ihrem Mann zuliebe und ohne ein Wort Deutsch zu können. Heute spricht sie fast akzentfrei und macht eine Umschulung zur Bürokauffrau. Mit ihren in Deutschland gebo-renen Kolleginnen trifft sie sich zum Kaffee. Sie fühlt sich wohl. Und ihrem achtjährigen Sohn, dem fällt inzwischen das Russische schwer. „Dagegen will ich was unternehmen“, sagt Nadine Ruks und lacht. Spinat mag er deshalb noch lange nicht. Obwohl er natürlich genau weiß, dass er kein Gras vor sich hat.

Annette Bitter

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) gibt die Zahl der Aussiedler, die im Jahr 2002 aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind, mit rund 85.000 an. Im Jahr 1994 waren es noch 213.214 Menschen. Die Neuankömmlinge werden im bundesweit mittlerweile einzigen Erstaufnahmelager Friedland (bei Göttingen) untergebracht, bevor sie nach einem festen Schüssel auf die Bundesländer verteilt werden. Hamburg nimmt rund 2 Prozent der Menschen auf.