Unser Löw heißt Huhn

(aus der Sonderbeilage zur 5. Deutschen Fußballmeisterschaft der Wohnungslosen, Hinz&Kunzt 209/Juli 2010)

Sein Job: Bundestrainer. Sein Name: Stefan Huhn. Seine neue Mission: bei der Fußball-DM der Wohnungslosen in Hamburg starke Kicker für sein Nationalteam finden. Wer in die Mannschaft will, braucht mehr als Tor­hunger: Hier zählen auch Teamgeist und Begeisterung für das Spiel.

Ihm entgeht nichts. Kein Hattrick, kein Doppelpass und auch keine Blutgrätsche. Wenn am 30. Juli die 5. Deutsche Fußballmeisterschaft der Wohnungslosen beginnt, schaut Stefan Huhn ganz genau hin. Als neuer Bundestrainer fischt er beim Turnier nach Spieler-Perlen für die deutsche Nationalmannschaft. Das Runde muss ins Eckige, klar – doch bei der Zusammensetzung seines achtköpfigen Kaders achtet Stefan Huhn nicht nur auf den Torhunger der Kicker: „Mir geht es vor allem um Teamfähigkeit und Begeisterung für das Spiel.“

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Aber auch sportlicher Ehrgeiz treibt den 48-Jährigen: Er spielt Fußball, seit er laufen kann. Als Kind und Jugendlicher träumte er sogar von einer Profikarriere. „Mit 15 wurde ich dann aber eines Besseren belehrt“, sagt er schmunzelnd. Er wurde aus dem Kader der Hamburger Auswahl aussortiert, der Profi-Traum war geplatzt. Nach der Schule studierte er Sportwissenschaften auf Diplom, später machte er eine Lehre zum Landschaftsgärtner: „Gemeinsam mit anderen draußen zu arbeiten liegt mir mehr, als Theorie zu pauken.“ Sport blieb weiterhin seine Leidenschaft: Bis vor Kurzem kickte er in einer Ü-40-Mannschaft, seit sechs Jahren trainiert er außerdem zweimal in der Woche eine Jugendmannschaft beim VFL 93 in Winterhude: „Klar, meine Jungs dort sind eine andere Klientel als die Mannschaften beim Straßenfußball.“

Mittlerweile arbeitet Stefan Huhn mit so­zial ausgegrenzten Menschen beim Beschäftigungsträger KoALA e.V., wo er unter anderem mit Punks und Hartz-IV-Empfängern Grünflächen in Hamburg gepflegt hat. Über einen Freund aus Kiel lernte er das dortige Straßenmagazin Hempels sowie dessen Fußballmannschaft kennen und schrieb zwei Jahre lang Sportreportagen für das Heft.

Straßenfußball begeisterte ihn von Anfang an: „Es ist Wahnsinn, zu sehen, wie viel Energie dabei freigesetzt wird – gerade bei denen, die sonst keine Möglichkeit haben, an regulären Sportangeboten teilzunehmen.“ Von einer zunehmenden Professionalisierung der Meisterschaften der Wohnungslosen hält er nicht viel: „Die Seele des Turniers besteht darin, dass hier Leute spielen, die auf der Straße leben. Das sollte man immer im Kopf haben.“

In Zukunft möchte er gemeinsam mit einer Kollegin regelmäßig Spiele an verschiedenen Orten in Hamburg veranstalten. Stefan Huhns Engagement für Obdachlose und Menschen am Rande der Gesellschaft geht also auch nach der Fußball-DM der Wohnungslosen weiter. „Aber ich gebe ja nicht nur“, stellt er klar. „Wenn man sein Gegenüber akzeptiert und respektiert, bekommt man auch ganz viel wieder zurück.“

Von seinem zukünftigen Nationalteam erhofft er sich beim Homeless World Cup in Brasilien ähnliche Szenen wie in Schweden 2004. Damals reiste Stefan Huhn als Fan mit. Wie viele Tore die deutsche Mannschaft schoss, weiß er nicht mehr. Aber etwas anderes blieb ihm ganz genau in Erinnerung: Beim Einlauf hielten die Spieler des deutschen Teams ein großes Transparent hoch, mit dem sie sich auf Schwedisch für die Gastfreundschaft des Landes bedankten. „Die Gruppe hat da einen ganz tollen Eindruck hinterlassen. Damit hat sie für mich gewonnen.“

Text: Maren Albertsen
Foto: Mauricio Bustamante

Martin im Pokalfieber

(aus der Sonderbeilage zur 5. Deutschen Fußballmeisterschaft der Wohnungslosen, Hinz&Kunzt 209/Juli 2010)

In Hamburg will er unbedingt den Titel holen. Martin Pfeiffer ist einer, mit dem man zu rechnen hat: Der ehemals Drogenabhängige war mit seinem Team schon Deutscher Meister  und stand vor zwei Jahren sogar beim Homeless World Cup im Tor.

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Erst 8:6 gegen Griechenland, dann 10:2 gegen Österreich. „Die haben wir einfach weggeschossen“, sagt Martin Pfeiffer und grinst. Er erinnert sich genau an die Spiele beim Homeless World Cup in Melbourne 2008. „Die Zeit dort war eine der schönsten in meinem Leben, ein wahr gewordener Traum.“ Martin stand für die deutsche Nationalmannschaft im Tor, die am Ende Platz zwölf erreichte. Schon frühmorgens herrschte T-Shirt-Wetter. Wenn das Publikum jubelte und Martin anfeuerte, lief es ihm trotzdem immer wieder „eiskalt den Rücken runter“.

Von den Erlebnissen in Australien zehrt er bis heute. Freunde finden, Ehrgeiz entwickeln, kämpfen – „alles, was ich durchs Fußballspielen gelernt habe, setze ich jetzt im Alltag um.“ Er ist stolz auf seine Leistung und gibt „immer 100 Prozent“. Das Selbstvertrauen hilft dem 40-Jährigen bei seinem Job als Angestellter im Sicherheitsdienst. „Ich weiß, was ich kann und trete dementsprechend auf. Jeder bei der Arbeit respektiert mich.“ Auch Martins sportlichen Ehrgeiz stachelte der Homeless World Cup weiter an: Mit seinem Straßenfußball-Team „Hannibals Erben“ gewann Martin vergangenes Jahr die Deutsche Meisterschaft. Dafür bekam er eine Verdiensturkunde der Stadt Kiel und einen Pokal für die beste Torwartleistung. Auch dieses Jahr trainiert Martin regelmäßig und möchte mit „Hannibals Erben“ wieder den Pott holen. Er ist sieges­sicher, vor allem wegen der Geschlossenheit der Mannschaft: „Bei uns gibt es das absolute Wir-Gefühl.“

Homeless world cupDer Kampfgeist ist ihm nicht angeboren. Martin spielte zwar schon als Sechsjähriger leidenschaftlich gern Fußball. Doch seine Kindheit in Hamburg verlief selten harmonisch. Es gab „Differenzen“ zu Hause, das Zusammenleben mit seinem Vater wurde „zur Quälerei“. Mit knapp 16 Jahren zog Martin bei seinen Eltern aus, kam in ein Jugendheim und brach den Kontakt zum Vater komplett ab. „Ab da ging es schnell bergab“, fasst Martin zusammen. Er fing an zu kiffen, nahm mit 18 Jahren zum ersten Mal Heroin – und wurde süchtig. Trotzdem gelang es ihm, seine Lehre als Elektriker durchzuziehen, er ging zur Bundeswehr und machte dort seinen Führerschein. „Man merkte mir die Sucht nicht an“, sagt er. „Ich habe lange Zeit weiterhin normal funktioniert.“

Erst Ende des Jahres 1993, nach einem gescheiterten Sui­zidversuch, fing er mehrmals Therapien an. Viele davon brach er ab und erlitt Rückfälle. Nach sieben Jahren stieg er auf eine Ersatzdroge um, seit 2006 lebt er völlig suchtfrei. Sogar seinem Vater nähert er sich seitdem Schritt für Schritt wieder an. Er ging freiwillig zum Drogennachsorge-Programm der Kieler Hilfseinrichtung „Odyssee“ und stieg dort gleich beim Fußballteam „Hannibals Erben“ ein. „Nach 18 Jahren Spielpause war ich neugierig, ob ich es noch draufhabe“, sagt er. „Und das hatte ich.“

Bei den ersten Deutschen Meisterschaften mit Martin im Tor wurden „Hannibals Erben“ Vizemeister. Im selben Jahr, 2007, lernte Martin seine heutige Lebensgefährtin Anja kennen, die seine neu entfachte Fußballbegeisterung unterstützt. „Sie sagt immer: ‚Wenn du nicht mehr Fußball spielst, kannst du dich auch gleich zur Ruhe setzen.‘ Und in Rente will ich noch lange nicht.“

Text: Maren Albertsen
Fotos:
Mauricio Bustamante

„Hier kann uns keiner vertreiben“

Die Stadt Kiel verbietet nicht das Trinken in der Öffentlichkeit, sie finanziert der Szene stattdessen einen „Saufraum“

Um die lokale Trinkerszene und die Gewalt in St. Pauli einzudämmen, wollen Hamburger Politiker das Trinken in der Öffentlichkeit verbieten. In Kiel gab es diese Diskussion schon vor mehreren Jahren, ein Trinkverbot scheiterte vor Gericht. Die Stadt Kiel und das Straßenmagazin Hempels haben stattdessen einen „Saufraum“ für die lokale Trinkerszene geschaffen. Hinz&Kunzt hat das Projekt besucht

(aus Hinz&Kunzt 179/Januar 2008)