Der DJ und der Dirigent

(aus Hinz&Kunzt 129/November 2003)

Beide machen Musik für Hinz & Kunzt: DJ Rabauke legt bei der „Haus und Hof“-Nacht im Phonodrome am 20. November auf, Michael Hartenberg dirigiert den Chor des Musikseminars beim Benefizkonzert in der Hauptkirche St. Jacobi (9. November). Normalerweise sind das getrennte Welten. Doch im Gespräch über Musik und wie sie Menschen bewegt, entdecken der DJ und der Dirigent überraschende Gemeinsamkeiten.

H&K: Michael, wir haben uns hier an Thomas’ Arbeitsplatz getroffen. Hast du als klassischer Musiker überhaupt Bezug zu so einem Ort?

Michael Hartenberg: Ich habe in meiner Schulzeit natürlich Phasen gehabt, in denen ich in Diskos rumhing, und ich war begeisterter Stones-Fan. Ich habe da weder Berührungsängste noch Scheuklappen. Aber als DJ zu arbeiten, das ist eine andere Welt. Denn alles, was wir tun, entsteht live und ist immer mit dem Risiko des Scheiterns verbunden. Mit diesem Risiko voll zu rechnen, finde ich spannend.

Thomas Jensen: Das ist für mich exakt dasselbe. Die Vorbereitung, die es für einen DJ gibt, ist: Tasche packen, Platten reinstecken und sortieren, Titelauswahl treffen, Menge berechnen – und überlegen: „Was gehen da für Leute hin und warum?“ Mit dieser Tasche stehst du abends da – und es kann vorkommen, dass du alles falsch gemacht hast! Exakt die falschen Platten dabei – und du merkst, genau von der Kombination, an der alle Spaß haben, habe ich nur fünf Stück mit! Da ist das Scheitern auch sehr nah. Und wir sind ja auch immer von den technischen Gegebenheiten abhängig. Ich kenne wirklich Stromausfälle… oder ganz banal: Die Platte springt, während man gerade auf Toilette ist…

Michael Hartenberg: Das gehört bei uns mit zum Vorbereitungsritual, vorher noch mal aufs Klo zu gehen… Aber wenn man Livemusik macht, kommuniziert man auch immer direkt mit dem Raum. In Kirchen ist der Klang ein ganz anderer als in einem kleinen Raum, das Tempo muss in so einer halligen Akustik ganz anders sein – und ich muss mich als Musiker auch anders verhalten. Aber das finde ich spannend, und das ist für mich ein großer Unterschied zu elektrisch erzeugten Klängen, die sind eigentlich in jeder Situation gleich.

Thomas Jensen: Gerade damit haben wir oft zu kämpfen. Die Leute wollen das Stück immer so hören, wie sie es von der CD kennen, und wir müssen uns dann mit den Eigenarten des jeweiligen Raumes abplagen und können eben nicht einfach langsamer spielen.

H&K:Thomas, hast du ein Instrument gelernt?

Thomas Jensen: Nein, ich bedaure das zutiefst, dass mir das auch von zu Hause aus nie nahe gelegt worden ist. Wenn ich am Rechner sitze und mir was ausdenken möchte, merke ich manchmal, wie ich an meine Schaffensgrenze komme, weil ich kein Instrument gelernt habe. Man muss es ja gar nicht perfekt beherrschen, aber für gewisse theoretische Zusammenhänge von Harmonie und Komposition ist das schon hilfreich. Ich frage dann immer Freunde und Kollegen.

Michael Hartenberg: Man kann immer anfangen, es zu lernen. Aber was mir dazu einfällt ist, dass wir heute eine wirklich absurde Situation haben: Noch nie in der Geschichte hat man so viel Musik gehört wie heute, und gleichzeitig hat es noch nie so wenig Musikunterricht gegeben! Das ist so ein Missverhältnis.

H&K: Woher kommt das?

Michael Hartenberg: Die Nazis haben Musik und Tanz sehr stark instrumentalisiert. Dann hat man nach dem Krieg gesehen: Mensch, während wir hier gesungen und getanzt haben, sind nebenan im KZ sechs Millionen Juden gestorben. Adorno, der große Schriftsteller, der viel mit dem musikalischen Denken der Nachkriegszeit zu tun hat, hat mal gesagt: „Nach Auschwitz ist Singen ein Verbrechen.“ Und dieser Satz hat einer ganzen Generation den musikalischen Nerv sozusagen gekillt. Denn man hat dann in der Schule nicht mehr gesungen und Musik gemacht, sondern hat über Musik gesprochen und versucht zu verstehen, wie es passieren kann, dass man durch Musik verführt wird. Und diese Generation, die damals nicht gesungen hat, das sind die heutigen Musiklehrer.

Ich bin überzeugt, wenn wir es schaffen könnten, wieder ein aktives Musikleben auf breiter Basis zu fördern, dass wir dann eine ganz andere Gesellschaft hätten. Wo man auch wieder Lust hätte, etwas gemeinsam zu tun, sich zu begegnen, initiativ zu sein. Denn ich finde, dass Singen und Sprechen zusammengehören wie Tag und Nacht, Wachen und Träumen. Wer beides kann, hat die Möglichkeit, Dinge auszudrücken, die man durch Worte nicht mehr fassen kann. Erst dann ist die menschliche Äußerungsfähigkeit komplett. Aber dazu muss eine andere Art von Musikunterricht her! Man kann improvisieren, Klänge ausprobieren, da gibt es lustige und spannende musikalische Spiele. Also deine Frage, Thomas, „Wie kann man was komponieren?“, müsste in der Schule ein wichtiges Thema sein.

Thomas Jensen: Interessant, darüber habe ich so noch nie nachgedacht. Letztlich hat mein Zugang zur Musik und dass mein Vater den so gar nicht verstehen kann, wahrscheinlich auch genau damit etwas zu tun. Mein Vater ist im Krieg geboren und versteht überhaupt nicht, dass sein Sohn mit so was, so larifari, wie er es nennt, seine Familie ernähren kann… Trotzdem bin ich froh, dass es mir auch so gelungen ist, alleine durch meine Begeisterung, zur Musik zu finden.

Michael Hartenberg: Das ist sowieso das, was Leute bei Musik suchen: Begeisterung! Egal ob das stilles konzentriertes Zuhören ist, lautes Jubeln, Tanzen oder die Freude am Zusammenspiel einer Band ist. Und da zeigt sich – wie bei jeder Kunst – was so in der Gesellschaft vielleicht nicht ist, aber sein könnte. Und wenn man davon mal einen Zipfel erhascht, dann setzt das ungeheure Energien frei.

H&K: Was bekommt ihr bei eurer Arbeit vom Publikum mit?

Michael Hartenberg: Obwohl ich beim Dirigieren die Leute im Rücken habe, spüre ich ganz genau, wie ein Publikum mitgeht, mit welcher Intensität die Menschen zuhören, ob sie interessiert sind oder ablehnen, was sie hören. Da kommt so viel Energie entgegen! Das merkt man zum Beispiel daran, ob das Publikum gemeinsam atmet, oder in Momenten, in denen man das Gefühl hat, die Zeit bleibt stehen, oder ein ganzer riesiger Raum hält die Luft an. Ein Gefühl wie in der Achterbahn in dem Moment, bevor es runtergeht…

Thomas Jensen: Schön! Bei mir ist es schon ein Unterschied, ob ich nur als Plattenunterhalter gebucht bin oder, wie mit Eins-Zwo oder Fettes Brot, in einer Konzertsituation. Da merkt man meist nach ein, zwei Titeln, ob das läuft oder ob man es schwer haben wird. Es kommt aber auch vor, dass einem die Leute erzählen, dass es ein super Konzert war – obwohl man auf der Bühne eher das Gefühl hatte, die interessiert das nicht. Dagegen, wenn ich im Club Platten auflege, ist es einfach: Wenn keiner tanzt, ist es Scheiße. Direkter geht’s nicht.

H&K: Was, außer der Unterhaltung, ist euer Anspruch mit der Musik?

Michael Hartenberg: Den Leuten nur einen schönen Abend zu bereiten, wäre mir ein biss-chen wenig. Da könnte ich auch Würstchen verkaufen. Mir geht es darum, die Menschen wenigstens einen Augenblick zu berühren, zu bewegen. Das gehört für mich zum Schönsten, was man überhaupt erreichen kann in seinem Leben. Musik ist für mich die Möglichkeit, einen Menschen in seinem Innersten zu treffen. Wenn es eintritt, ist es wie eine Gnade. Dieses Erlebnis brauche ich auch selbst immer wieder, deshalb werde ich unruhig, wenn ich lange kein Konzert hatte.

Thomas Jensen:Stimmt. Ich will ich das Publikum auch nicht nur unterhalten mit dem, was es schon kennt, sondern ich will auch überraschen und will auch meinen Geschmack, meine Sicht transportieren. Das ist immer eine Gratwanderung, weil ich ja auch nicht weiß, wer die Leute sind. Wenn die Leute dann weitertanzen, das ist toll!

H&K: Gibt es etwas an der Arbeit des anderen, das euch reizt, um das ihr euch gegenseitig beneidet?

Michael Hartenberg: Was mich bei dir wirklich fasziniert, ist dass du einfach guckst: Was braucht der Raum, was brauchen die Leute jetzt, in diesem Moment? Das ist ja auch so eine Art von sensiblem Sensorium, das man dafür ausbilden muss. Ich stelle mein Programm schon Monate vorher zusammen, ob ich mich dann später in der Situation danach fühle oder nicht. Du kannst da viel spontaner entscheiden, und das finde ich toll, weil das auch so ein lebendiger Prozess ist, wo man mit den Menschen zusammen etwas kreiert.

Thomas Jensen: Also ganz besonders beeindruckt hat mich deine Beschreibung von der Spannung, die du spürst, wenn du mit dem Rücken zum Publikum arbeitest. Da beneide ich dich darum, so etwas erlebe ich ja nie, ich drehe denen höchstens den Rücken zu, wenn ich in meiner Kiste wühle – und dann bin ich meistens gerade etwas ratlos.

Moderation: Sigrun Matthiesen

DJ Rabauke heißt eigentlich Thomas Jensen, ist 31 Jahre alt und Vater eines zweijährigen Kindes. Schon mit 17 war er DJ, ging dann mit „Fettes Brot“ auf Tournee, woraus das Hip-Hop-Projekt „Eins, Zwo“ entstand. Seit einem Jahr arbeitet er an seinem eigenen Album mit Elektro- und Dance-Musik, für das er noch eine Plattenfirma sucht.