Meldungen: Politik und Soziales

(aus Hinz&Kunzt 210/August 2010)

Notunterkünfte vollkommen überfüllt
Die städtischen Notschlafstellen Pik As (für Männer, 190 Plätze) und Frauenzimmer (für Frauen, 20 Plätze) sind völlig überlastet. Die Einrichtungen waren im Mai zu 101 (Pik As) beziehungsweise 125 Prozent (Frauenzimmer) belegt; im Juni zu 93 Prozent und 120 Prozent, so die Sozialbehörde auf Nachfrage von Hinz&Kunzt. Zahlen für den Juli lägen nicht vor. Weil die Notunterkünfte keinen Hilfesuchenden abweisen dürfen, werden bei Bedarf zusätzlich Doppelstockbetten aufgestellt oder Matratzen ausgelegt. Die Behörde begründet die hohe Belegung mit Schwierigkeiten bei der Vermittlung in ständige Unterkünfte. Diese wiederum seien stark belegt, weil die Vermittlung in passenden Wohnraum nicht gelingt: Es gibt schlicht zu wenig kleine, günstige Wohnungen. BEB

Unnötiger Wohnungsleerstand
Der Verein Mieter helfen Mietern wirft der Stadt vor, zu wenig gegen den Leerstand von Wohnraum zu tun. Allein im Schanzenviertel und Umgebung stünden 39 Wohnungen leer, teils länger als ein Jahr, ohne Eingriff des Bezirksamts. Die Mieterschützer fordern mehr Druck auf die Eigentümer und dass Wohnungen wegen Baumaßnahmen nicht unbegrenzt leer stehen dürfen. UJO

Abzock-Vermieter: Senat verweigert Auskünfte
Der Senat will weiterhin nicht erklären, warum die Behörden monatelang nichts gegen Abzock-Vermieter wie Thorsten Kuhlmann unternommen haben. Antworten auf eine SPD-Bürgerschaftsanfrage verweigerte die Regierung Mitte Juli mit dem Hinweis: „Neben Geschäftsgeheimnissen des Vermieters Kuhlmann und anderen Vermietern sind auch Sozialdaten der Mieter betroffen.“ Im Oktober 2009 hatte Hinz&Kunzt erstmals berichtet. Der Sozialbehörde sei damals „die generelle Problematik bekannt geworden“, so der Senat. Im Mai 2010 – sieben Monate später – habe die Arge mitgeteilt, „dass in 107 Fällen Mietbetrug oder der Verdacht auf Mietbetrug besteht“. Was die Sozialbehörde unternommen hat, um den Missbrauch von Steuergeldern zu stoppen, erklärte der Senat nicht. UJO

Arbeitslose als „Bürgerarbeiter“
34.000 Langzeitarbeitslose in Deutschland sollen künftig sogenannte Bürgerarbeit leisten. An einer sechsmonatigen „Aktivierungsphase“ nehmen derzeit rund 160.000 Arbeitslose teil, die von den Ämtern intensiv bei der Stellensuche unterstützt werden sollen. Knapp ein Viertel der Auserwählten soll ab Januar 2011 für drei Jahre eine gemeinnützige Beschäftigung erhalten. Im Gegensatz zu Ein-Euro-Jobs sind die Stellen sozialversicherungspflichtig. In Hamburg nehmen 685 Personen an der Vorauswahl teil, 188 sollen später Bürgerarbeit leisten. Unter allen 16 Bundesländern stellt Hamburg mit Abstand die wenigsten Plätze. Ein vergleichbares Bundes-Programm heißt „Jobperspektive“ und läuft seit rund zwei Jahren. Problem: Viele Arbeitslose wollen mitmachen, doch es gibt nur wenige geförderte Stellen. BEB

Brandanschlag auf Wohnunterkunft
Ein 17-Jähriger hat gestanden, Anfang Juli einen Molotow-Cocktail auf eine Obdachlosenunterkunft in Velbert (Nordrhein-Westfalen) geworfen zu haben. Er habe Streit mit Hausbewohnern gehabt und sie erschrecken wollen. Weil ein Bewohner das Feuer sofort löschte, wurde niemand verletzt. Der Jugendliche ist laut Polizei psychisch labil und in Betreuung.  BEB

Arm trotz Arbeit
1,3 Millionen Erwerbstätige in Deutschland, darunter eine halbe Million Vollzeitbeschäftigte, können laut Deutschem Gewerkschaftsbund von ihrer Arbeit allein nicht leben und sind auf Sozialleistungen angewiesen. Mittlerweile liege der Anteil der sogenannten Aufstocker unter den Hartz-IV-Empfängern bei 21 Prozent.  BEB

Arm trotz Rente
Fast 18.000 Hamburger über 64 Jahre haben Ende 2009 Leistungen zur Grundsicherung erhalten. Das waren zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Im Vergleich zu 2004 ist die Zahl um 42 Prozent gestiegen. 70 Prozent bezogen die Hilfe ergänzend zur Rente.  BEB

Gericht: Lohndumping ist Straftat
Erstmals hat ein deutsches Gericht die Zahlung von Dumpinglöhnen als Straftat und nicht als Ordnungswidrigkeit bewertet. Das Landgericht Magdeburg verurteilte einen Reinigungsunternehmer zu 1000 Euro Strafe, weil er Beschäftigten statt des verbind­­lichen Mindestlohns von damals 7,68 Euro Stundenlöhne von zum Teil unter einem Euro bezahlt hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (21 Ns 17/09).  UJO

Videoüberwachter Kiez: mehr Straftaten?
Die Videoüberwachung auf der Reeperbahn senkt laut Innenbehörde nicht die Zahl der Straftaten dort. Die erfassten Delikte stiegen im dritten Jahr seit Montage der Kameras um 32 Prozent gegenüber dem Jahr vor der Überwachung, Körperverletzungen sogar um 75 Prozent. Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) erklärte den statistischen Anstieg: „Das liegt daran, dass wir genauer hinsehen.“ BEB

Urteile zum Tod von Lara Mia
Im Prozess um den Tod der im Alter von neun Monaten verstorbenen Lara Mia hat das Landgericht Hamburg die 19-jährige Mutter nach Jugendstrafrecht zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ihr damaliger Freund bekam eine Jugendstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Weil ein plötzlicher Kindstod nicht ausgeschlossen werden konnte, erklärten die Richter die beiden nur der gefährlichen Körperverletzung und Verletzung der Fürsorgepflicht für schuldig, die Mutter auch der Misshandlung einer Schutzbefohlenen. Lara Mia war Anfang 2009 tot aufgefunden worden, zum Zeitpunkt des Todes war sie deutlich unterernährt.  HAN

23 Euro pro Kind im Monat mehr
480 Millionen Euro will die Bundesregierung kommendes Jahr bereitstellen, um Kinder von Hartz-IV-Empfängern besser zu fördern. Mit dem Geld sollen etwa Nachhilfeunterricht oder die Teilnahme an Musik- und Sportveran­staltungen finanziert werden, so Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar die aktuelle Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder verworfen. Sie betragen zurzeit je nach Alter zwischen 60 und 80 Prozent der Regelsätze für Erwachsene. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält mindestens 1,5 Milliarden Euro für nötig, um dem Urteil gerecht zu werden.  UJO

Schwitzen statt sitzen

Wie man auf einen Schlag Geld sparen und Straftäter resozialisieren kann

(aus Hinz&Kunzt 124/Juni 2003)

In der Tagespflege Poppenbüttel ist alles tipptopp in Schuss. Dafür sorgt Hausmeister Aarao Teixeira. „Der Mann sieht die Arbeit, dem muss man sie nicht hinterhertragen“, sagt sein Chef, Ekkehard Janas, über den Portugiesen. Als Janas merkte, dass der 45-Jährige „goldene Hände hat“, stellte er ihn vom Fleck weg ein. Ein Glücksfall für beide, aber vor allem für Teixeira. Der hatte bis dahin in der Poppenbütteler Einrichtung für Demente gemeinnützige Arbeit geleistet, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlen konnte.

„Ich war gerade am Tiefpunkt meines Lebens angekommen und wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte“, sagt er über die Zeit, „die glücklicherweise hinter mir liegt“. Teixeira gehört zu den Menschen, die im vergangenen Jahr kleinere Delikte begingen wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren. Solche Straftäter werden meist nicht zu einer Haftstrafe verdonnert, sondern sollen bezahlen. Und das ist im Prinzip auch gut so. Aber viele Täter haben das Geld nicht – und landen dann doch im Knast. Das bringt kein Geld ins Stadtsäckel, sondern kostet obendrein: mindestens 90 Euro pro Tag. Ganz zu schweigen davon, dass die Gefängnisse sowieso überfüllt sind.

Wesentlich sinnvoller ist es deshalb, dass die Täter schwitzen statt sitzen. Und das tun sie seit Jahren und immer häufiger. Im Jahr 2001 arbeiteten Straftäter 20.540 Hafttage ab, im Jahr 2002 sogar 22.340. So wanderten 820 Menschen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten, nicht in den (teuren) Knast, sondern leisteten gemeinnützige Arbeit. „Dadurch hat Hamburg zwei Millionen Euro eingespart“, sagt Justizsenator Roger Kusch (CDU). Gleichzeitig biete diese Sanktion die Möglichkeit, „sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.“

Genau das hat Aarao Teixeira geschafft. Der 45 Jahre alte gelernte Präparator hatte vergangenes Jahr eine regelrechte Pechsträhne. Alles fing damit an, dass er seinen alten Betrieb verkaufen und zusammen mit seiner Familie ein Café eröffnen wollte. Doch der Käufer zahlte nicht, und Teixeira hatte nicht das Geld, um das Café zu bezahlen oder gar zu eröffnen. Der Traum vom Familienbetrieb platzte wenige Wochen später sowieso: Seine Frau trennte sich von ihm.

„Mir wuchs alles über den Kopf“, sagt Aarao Teixeira. „Fast hätte ich alles hingeschmissen.“ Seine Briefe aufzumachen, das traute sichTeixera schon lange nicht mehr. „Ich hatte immer Angst, das da nur neue Rechnungen drin sind, die ich nicht bezahlen kann.“ Aber es kam noch dicker: Aarao Teixeira fuhr bei Rot über eine Ampel – und da er seine Post nicht mehr öffnete, bemerkte er erst spät, zu spät, dass er eine Geldstrafe bezahlen sollte. Weil er wochenlang nicht reagierte, wurde er per Haftbefehl gesucht. Sein Schwager überzeugte ihn davon, dass er nicht weiter vor der Situation davonlaufen dürfe. „Also ging ich mit einem Köfferchen zur Polizei und stellte mich.“
Und dann fuhr er noch bei Rot über eine Ampel

Teixeira hatte Glück im Unglück. Er bekam noch eine Chance: Statt ihn in den Knast zu schicken, erzählte der Staatsanwalt ihm von der Möglichkeit, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Richtig glücklich war der gebürtige Portugiese, dass er sogar unter mehreren Einrichtungen wählen konnte. Er entschied sich für die Tagespflege Poppenbüttel. „Ich hatte das Gefühl, dass die mich brauchen können“, sagte Teixeira. Inzwischen fühlt er sich dort so wohl, „dass ich am liebsten von hier aus in Rente gehen würde“.

Übrigens ist das in der Tagespflege Poppenbüttel schon der zweite Fall, in dem gemeinnützige Arbeit statt Knast in eine Festanstellung mündete. Und das, obwohl Tagespflege-Leiter Janas keinen Schmusekurs fährt: „Wer nicht mitarbeitet oder nicht reinpasst, ist auch schnell wieder draußen.“

So ein Happy End wie bei Teixeira ist natürlich selten. Aber auch die kleinen Erfolge sind es wert, lieber zu schwitzen als zu sitzen. „Viele Langzeitarbeitslose kommen völlig geduckt hier an“, sagt Halka Voss, in der Justizbehörde mit zuständig für die Vermittlung von gemeinnütziger Arbeit, „und wenn sie wieder gehen, sind sie zehn Zentimeter größer, weil sie etwas erreicht haben.“ Die gemeinnützige Arbeit habe für einige „regelrecht eine therapeutische Wirkung“.

Keine Frage: Die Hamburger Zahlen sind gut, aber es könnte noch besser sein. Denn bisher werden die zahlungsunwilligen oder -unfähigen Täter erst angeschrieben, wenn ihre Zahlung nicht erfolgt ist. Angeschrieben, wohlgemerkt. Hätte der Staatsanwalt Aarao Teixeira nicht von der gemeinnützigen Arbeit erzählt, wäre er nie in der Tagespflege, sondern doch hinter Gittern gelandet. Und so ergeht es einer ganzen Reihe von Menschen. Denn die meisten Nicht-Zahler haben oft massive Probleme, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen – und dazu gehört oft, dass sie aus Angst ihre Post gar nicht lesen.

Gesetz zur gemeinnützigen Arbeit lässt auf sich warten.

Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin SPD) brachte unter anderem deshalb einen Gesetzesentwurf auf den Weg, um gemeinnützige Arbeit alternativ zur Geldstrafe als eigenständige Sanktion zu verhängen. Ob rechts oder links – die meisten Justizminister unterstützten sie darin. Dass man von dem Entwurf momentan wenig hört, liegt daran, dass er in der vergangenen Legislaturperiode nicht über die erste Lesung im Bundesrat hinauskam. Aus formalen Gründen muss das Gesetz jetzt neu eingebracht werden.

So bleibt es bislang dabei, dass der Richter bei der Verurteilung den Delinquenten auf die Möglichkeit zur gemeinnützigen Arbeit nur hinweist. Nur wirklich fitte Leute schaffen es, sich in der Justizbehörde direkt bei der Abteilung Soziale Dienste zu melden, die die gemeinnützige Arbeit vermittelt.

Vielleicht wissen noch zu wenige, dass sie dort nicht nur Strafe, sondern auch Hilfe erwartet. Denn die Sozialarbeiterinnen versuchen zumindest, in Notfällen an soziale Einrichtungen und Beratungsstellen weiterzuvermitteln. Und was die gemeinnützige Arbeit anbelangt, haben die Mitarbeiterinnen einen großen Ehrgeiz: „Wir achten darauf, dass jeder dahin kommt, wo er seinen Fähigkeiten und Interessen gemäß am meisten gebraucht wird“, sagt Sozialarbeiterin Halka Voss.

Das müsste eigentlich auch klappen. Immerhin kann man in Hamburg in 400 sozialen, kirchlichen oder staatlichen Einrichtungen mitarbeiten. Und vielleicht geht es dem einen oder anderen ja so wie Aarao Teixeira: „Meine Probleme sind natürlich noch nicht alle gelöst“, sagt der Hausmeister. „Aber ich habe wieder Halt und Zuversicht gewonnen. Ich werde es jetzt schon schaffen.“

Birgit Müller