Zwei Glossen

Immer müssen die Leute einen anstecken. Mit ihrer verdammt guten Laune. Oder mit ihrer bescheuerten Miesmacherei.

(aus Hinz&Kunzt 133/März 2004)

Heul doch!

Beschwingt komme ich um die Ecke und summe das Lied mit, das mir Rory Gallagher gerade über Kopfhörer ins Ohr singt: „You can call them what you want, I call them messin’ with the kid…“ Und dann dieses großartige Gitarrensolo, oh Mann, da war die Welt der Rockmusik noch in Ordnung. Mit großen Schritten nehme ich drei Treppenstufen auf einmal und hüpfe zur U-Bahn hinunter.

Als ich mit der Frau zusammenstoße, mache ich gerade dieses Luftgitarren-Ding, das alle Männer schon seit Kindertagen lieben: Mit der linken Hand einen unglaublich groovigen Akkord in die Luft greifen, mit der rechten das Solo des Jahrhunderts ins Leere zaubern. Und dann das Solo summen, du di duu duu dudeldiduu. „Können sie denn nicht aufpassen, Sie Flegel?“ Nein, heute nicht, zu gut drauf gerade. „Oh, Entschuldigung, äh…“, kriege ich gerade noch hin, aber meine gut gelaunten Füße laufen von alleine weiter. Rory setzt gerade zum nächsten Solo an, der braucht jetzt meine Aufmerksamkeit. Du di duuu da-da-da. Hinter mir lässt die erboste Frau ein erstklassiges „Was-soll-nur-aus-dieser-unerzogenen-Jugend-werden“- Solo los. Ich höre es kaum. Puh, der erste Anschlag von fieser, verbitterter Stimmung ist abgewehrt.

Auf dem Bahnsteig überkommt mich leichtes Frösteln. Wo steht eigentlich geschrieben, dass man in der U-Bahn immer so mies aus der Wäsche gucken muss? Hamburger Grundgesetz, Artikel 1: „Die schlechte Laune und das Unglück des Menschen sind unantastbar. Sie zu nähren und zu schützen ist Verpflichtung aller städtischen Gewalt. Wer gute Laune hat oder verbreitet oder gute Laune öffentlich zum Ausdruck bringt, wird mit Rosenkohl nicht unter zwei Portionen bestraft.“ Auf der Anzeigetafel steht „In zwei Minuten“, aber keiner erbebt in freudiger Erwartung einer raschen Beförderung zum Ziel seiner Träume.

Eine alte Frau sitzt mit steinernem Gesicht auf der orangefarbenen Plastikbank, ihre Einkaufstüten zwischen den Füßen. Der adrett nadelgestreifte Geschäftsmann scharrt unruhig mit dem Designerleder. Zwei Mädchen schweigen sich höflich an, obwohl sie sicher lieber rumalbern oder sich die neusten Fortschritte erzählen würden, die sie bei ihrem Traummann gemacht haben. Hier ist gute Laune einfach verboten.

Dröhnend fährt der Zug ein und bremst mit einem fiesen Quietschen. Die Leute drängeln in die Bahn, bevor der erste überhaupt aussteigen kann. Es piept, die Türen krachen zu, und keiner im Wagen guckt freundlich. Rory singt von besseren Zeiten, und ich fühle, wie meine gute Laune kapituliert. Ich setze mich in eine Ecke, gucke keinen an, vergesse, warum ich so fröhlich war, und bin sauer auf die Miesmacher. Am liebsten würde ich sie alle anbrüllen: „Na, wenn es euch so schrecklich geht, dann heult doch!“

Hanning Voigts

Lach doch mal!

„Wie, du kommst nicht heute Abend?“ Ja, das sagte ich doch gerade. „Keine Lust“, nuschele ich noch genervt ins Telefon und mache mich auf den Angriff der gegnerischen Seite gefasst. Da ist er auch schon: „Das geht aber nicht. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen, alle sind heute Abend da, und außerdem wird’s erst lustig, wenn du auch dabei bist. Also los!“

Doch die Partyfraktion hat ihr Pulver erfolglos verschossen. Ich kenne das. Auch ich war mal ein lebenslustiger Partymensch – letztes Wochenende. Heute ist alles anders. Mehr als ein langgezogenes „hmmm…“ bekomme ich nicht über meine trägen Lippen. Heute ist nicht der Abend zum Feiern. Das spüre ich.

„Wenn du nicht mitkommst, dann werd ich sauer.“ Ein emotionaler Erpressungsversuch! Darauf falle ich nicht herein. Kurz überlege ich, ob ich es mir leisten kann, eine gute Freundin zu verlieren, oder ob ich um des lieben Friedens willen einfach zusagen sollte. Wenig später befinde ich mich auf dem Weg. Ich scheine wirklich nicht viele Freunde zu haben…

Als sich die Tür öffnet, steht vor mir das Grauen: 25 Leute, alle angetrunken und so fröhlich, dass mir übel wird. Dazu lästige Partyschlager, die mir vom vergangenen Wochenende noch im Ohr sind. Ich setze mich in die letzte Sofaecke und klebe mir ein unechtes Grinsen ins Gesicht.

Leider ist das Verkriechen nicht sehr erfolgreich. Eine Horde wilder Partypeople setzt sich zu mir. Am schlimmsten ist: Alle haben dieses Grinsen im Gesicht, das einen penetrant daran erinnert, dass man selbst keiner dieser Grinser ist, aber einer sein sollte. „Hey du, lach doch mal!“ Das kann doch nicht wahr sein! Ich wäge zwischen zwei Möglichkeiten ab: einfach grinsen, die Flasche Wodka leeren, auf dem Tisch tanzen und Partystar des Jahres werden – oder abhauen. Ich entscheide mich für Letzteres. Dieser Satz ist aber auch zu blöd. Als wenn man nie lachen würde. Als wenn man verpflichtet ist, auf Partys fröhlich zu sein. Denken die, das macht einen fröhlicher, wenn sie einen dazu auffordern?

Meine Flucht zur Tür endet abrupt, als ein gut aussehender Typ vor mir steht. „Willst du schon gehen?“, fragt er mit strahlendem Lächeln. Ja, dieses Lächeln ist ansteckend. Und der dazugehörige Typ ist definitiv anders als die anderen. Er versteht es, wenn man mal keine Lust hat zu lachen. Ich sehe uns schon an regnerischen Abenden romantisch vor dem Kaminfeuer sitzen (das ich nicht habe) und über Themen diskutieren, die mich beschäftigen (von denen mir jetzt gerade keines einfällt). Er gibt mir tolle Ratschläge, tröstet mich, nimmt mich in den Arm, und langsam beugt er sich vor, um mich zu…

„Willst’n Bier?“

Okay, aller Anfang ist schwer. Erst kennen lernen, dann Kaminfeuer, dann küssen. In Windeseile befinde ich mich wieder in meiner Sofaecke, diesmal darum bemüht, die ausgelabberte Jeans und den hochgeschlossenen Rolli in eine möglichst nette Position zu bringen. Doch während ich mich noch ärgere, dass ich die enge Hose und das Glitzertop zu Hause gelassen habe, setzt sich der Typ zu mir und sagt mit einem wirklich bezaubernden Lächeln: „Wieso guckst du so böse? Lach doch mal!“

Jana Jungclaus