Wo, bitte, geht’s ins Ghetto?

Barmbek-Süd ist schön. Trotzdem fördert der Senat das Quartier. Grund ist nicht die Armut im Stadtteil, sondern ein Neubauprojekt

(aus Hinz&Kunzt 170/April 2007)

Eine ganze Kinderwagenflotte parkt vor der Tür des Kinder- und Familienzentrums (KiFaZ). Drinnen gibt es Mutter-Kind-Frühstück für 50 Cent. „Früher“, erinnert sich KiFaZ-Leiter Helmut Szepansky, „früher gab es hier schon Konfliktpotenzial.“ Früher, das ist bevor Barmbek-Süd, genauer gesagt das Quartier Dehnhaide, 1999 Teil der aktiven Stadtteilentwicklung wurde. „Vorher kam es schon vor, dass ein Alkoholabhängiger plötzlich bei uns im Familienzentrum stand und um etwas zu essen bat – schließlich hatten wir gedeckte Tische.“

Direkt hinter dem Haus, in der Hansdorfer Straße, standen Wohnblocks aus der Nachkriegszeit, die seither kaum modernisiert wurden. „Substandard-Wohnungen“, nennt sie der Stadtentwicklungsbericht von 2002. Klein, ohne Sammelheizung, Bad auf dem Flur. Deswegen von Menschen bewohnt, die sich nichts anderes leisten konnten, oder in besseren Gegenden nicht akzeptiert wurden. Das Familienzentrum reagierte – und bot Treffen der Anonymen Alkoholiker an.

Das Problem löste sich aber anders: Die SAGA modernisierte die Gebäude in der Hansdorfer Straße, vergrößerte die Wohnungen für Familien. Die Mieten stiegen, die alten Bewohner zogen weg. Die Stadt gestaltete mit dem Programm „Aktive Stadtentwicklung“ den Stadtteil um. Jetzt ist es nett rund ums KiFaZ. In der Hansdorfer Straße spielen Kinder in den Gärten vor den renovierten Häusern. Der Hartz-IV-Empfängeranteil liegt mit 10,5 Prozent um mehr als einen Prozentpunkt unter dem Hamburger Durchschnitt. Eine Erfolgsgeschichte – zumindest für den Stadtteil.

Trotzdem: Als die CDU im vergangenen Jahr ihr Konzept „Lebenswerte Stadt“ vorstellte, durch das „Menschen mit besonderen Belastungen“ gefördert werden sollen, ist Barmbek-Süd eines von sechs geförderten Gebieten. Warum? Helmut Szepansky hat da eine eigene Theorie: „Das Programm musste ja möglichst schnell fertig gemacht werden. Und hier gab es schon was.“

Die offizielle Begründung ist natürlich eine andere: Barmbek-Süd wird wie Wilhelmsburg (25,5 Prozent Hartz-IV-Empfänger), Billstedt (24 Prozent) und Steilshoop (20,5 Prozent) gefördert, weil auf dem Gelände des Krankenhauses Eilbek neue Wohnungen gebaut werden. Das ganze Bauprojekt nennt sich mondän „Parkquartier Friedrichsberg“, 400 Wohnungen sollen hier entstehen. Nicht etwa Sozialwohnungen, sondern Wohnprojekte, Eigentumswohnungen, genossenschaftliches Wohnen. Genutzt von einer Bevölkerungsgruppe, die bisher kaum als sozial förderungsbedürftig auffiel.

Dennoch beschreibt der Zwischenbericht „Lebenswerte Stadt“ akuten Handlungsbedarf: „Es wird die Gefahr gesehen, dass der erreichte Stabilisierungsgrad für Barmbek-Süd gefährdet wird, wenn das in unmittelbarer Nachbarschaft geplante Neubauquartier implantiert wird, ohne flankierend erweiterte Moderations- und Infrastrukturangebote vorzusehen.“ Demnach sollen „disparate Entwicklungen“ vermieden werden.

KiFaZ-Leiter Helmut Szepansky erklärt das etwas einfacher: „Die neuen Bewohner würden sich schwer tun, sich in den bestehenden Stadtteilstrukturen zu integrieren.“ Noch böser könnte man es so ausdrücken: Hier soll soziale Stadtentwicklung betrieben werden, damit sich die Reicheren nicht isoliert fühlen.

Szepansky macht sich allerdings über etwas ganz anderes Sorgen: „Wir bekommen ein schönes großes Haus, haben aber nicht genügend Geld, um es bespielen zu können.“

36 000 Euro muss der Bezirk in seinen Jugendhilfeprojekten einsparen – auch im KiFaZ.

Das „große Haus“ ist das Community Center bei der Kreuzkirche, neue Heimat fürs KiFaZ. Das wichtigste Projekt der „Lebenswerten Stadt“. Sonst wird wenig Neues in Barmbek-Süd passieren. Durch einige kleine Kulturprojekte sollen sich die Bürger stärker mit ihrem Stadtteil identifizieren können. Außerdem werden zwei Spielplätze gebaut. Einer in der Hansdorfer Straße im Bereich der modernisierten SAGA-Wohnungen – der war allerdings schon seit 2002 geplant. Der zweite soll im Neubaugebiet entstehen. Auch er ist nicht wirklich neu, denn ein paar Meter weiter wird ein bestehender Spielplatz abgerissen, um Platz für die neuen Häuser zu schaffen.

Herzstück der „aktiven Stadtteilentwicklung“ von 1999 war der Platz in der Vogelweide als neues Zentrum des Quartiers. Wenn man etwas über den Platz erfahren möchte, fragt man am besten Dijana Ilic und Lidija Cvjetkovic. Ihr Friseursalon „Mona Li“ ist nämlich der einzige Laden, der an dem meistens befremdlich leeren Platz betrieben wird. „Ein Café, das im Sommer die Stühle auf den Platz stellt, würde was bringen“, finden beide. Und tatsächlich: Im Programm „Lebenswerte Stadt“ ist ein Kulturcafé geplant. Allerdings nicht etwa im Zentrum des „alten“ Stadtteils, sondern im neuen Parkquartier.

Trotzdem, dass sich Barmbek-Süd positiv verändert hat, finden beide Friseurinnen: „Das war gruselig hier in den ersten Jahren. Wir sind hier nur hergegangen, weil nichts anderes günstig zu bekommen war.“ Viele Rechtsradikale waren in der Gegend. Die Schwestern aus Bosnien trauten sich nicht, ihre Namen an den Salon zu schreiben. Die ersten Kunden waren Prostituierte. „Gute Kunden, die waren bereit, regelmäßig Geld für die Frisur auszugeben. Aber das waren schon komische Situationen, wenn die Zuhälter im Salon warteten, bis ihre Frauen fertig waren.“

Vom Problempublikum kommt niemand mehr. Auch der Salon hat sich geändert. Lidija Cvjetkovic holt ein altes Foto raus: Trockenhauben, Waschbecken unter den Spiegeln, vergilbte Wände. „Wir haben hier zwölf Jahre lang umgebaut.“ Heute würde der Laden eher ins Karo- oder Univiertel passen. „Manchmal kommen noch komische Kommentare, wenn wir erzählen, wo der Salon ist.“

Trotz der Erfolge im Stadtteil gibt es hier immer noch Armut. Familienhebamme Gabriele Biehl lernt sie täglich kennen. Die 46-Jährige macht seit neun Jahren Hausbesuche in Barmbek-Süd, hauptsächlich in Risiko-Familien. „Die Probleme hier sind wahrscheinlich ähnlich wie in allen Stadtteilen: psychische Erkrankungen, Geldprobleme bei Alleinerziehenden und Hartz-IV-Empfängern, Drogensucht.“ Helmut Szepansky ergänzt: „Nur weil hier modernisiert und renoviert wurde, sind nicht plötzlich alle Probleme der Menschen gelöst. Die sieht man oft von außen nicht.“

Hinz&Künztler Fritz ist vor ein paar Monaten nach Barmbek-Süd gezogen – ins Containerdorf für Wohnungslose an der Hamburger Straße. Wenn es nach ihm ginge, könnte Schluss sein mit der Stadtentwicklung in Barmbek-Süd: „Zu schick sollte es hier auch nicht werden. Ich finde ja jetzt schon keine Wohnung, die ich mir leisten kann.“

Marc-André Rüssau

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