Notunterkünfte geschlossen : Winternotprogramm – und dann?

Das Winternotprogramm ist zu Ende. Mehr als 900 Menschen sind auf einen Schlag obdachlos. Welche Perspektiven haben sie? Und was geschieht mit den Notunterkünften während der Sommermonate? Wir haben uns vor den Unterkünften und in den Behörden umgehört.

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Wolfgang verlässt mit seinem Fahrrad das Winternotprogramm. Wo er jetzt unterkommen wird, weiß er noch nicht.

„Ich suche seit einem Jahr eine Wohnung, hab dreißig Besichtigungen hinter mir, aber es wird einfach nichts“, sagt Wolfgang. Der pensionierte Lehrer schiebt ein letztes Mal sein Fahrrad und Gepäck aus der Notunterkunft in der Münzstraße. Heute, am 1. April, schließt die Stadt endgültig den Erfrierungsschutz für Obdachlose. Wo Wolfgang jetzt schlafen wird? „Keine Ahnung. Entweder im Hostel oder bei Freunden. Straße ist für mich keine Option.“

Die Sozialbehörde ist zwar bemüht, Obdachlosen wie Wolfgang dauerhaft ein Dach über dem Kopf zu bieten. Oft auch mit Erfolg: 2997 Wohnungslose leben inzwischen in städtischen Unterkünften. 329 Menschen mehr als vor dem Start des Winternotprogramms. Doch den meisten ist damit nicht geholfen. Denn nach Schätzungen der Diakonie leben weiterhin 2000 Menschen in Hamburg auf der Straße. Sie schlafen in Parks, unter Brücken und vor Kaufhäusern.

Sein Zelt im Freien aufschlagen wird auch Sascha. „Ich gehe jetzt wieder auf Platte“, sagt er. Einen Schlafsack habe er sich schon besorgt. „Was soll ich auch sonst machen?“ Dabei hätte der Hinz&Künztler genauso wie Wolfgang ganz klar einen Anspruch auf eine Unterkunft. Sascha lief von einer Beratung zur nächsten – und erhielt trotzdem keinen Platz. Das könne zum Ende des Winternotprogramms schon mal vorkommen, heißt es lapidar aus dem Fachamt für Wohnungsnotfälle. Schließlich würden durch das Ende des Winternotprogramms mit einem Schlag mehr als 900 Menschen obdachlos.

Viele von ihnen sind Osteuropäer. Am Ausgangstor des Winternotprogramms erzählen Rumänen enttäuscht, dass sie jetzt wieder auf der Straße schlafen werden. Seit Jahren sind sie in Hamburg. Sie jobben mal hier, mal dort. Eine Wohnung haben sie nicht. Und sie erhalten auch keine Hilfe. Einige kündigen an, dass sie zurück in die Heimat fahren, wenn sie keinen warmen Schlafplatz finden.

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Der Großteil der Osteuropäer landet allerdings wieder in der Obdachlosigkeit. Die meisten stammen aus Rumänien, Bulgarien, Polen und den baltischen Ländern. Für sie ist es besonders schwer, eine Wohnung oder auch nur einen Schlafplatz zu finden. Sie bekommen meistens keine Hilfe von der Stadt, denn sie besitzen nach Ansicht der Sozialbehörde keinerlei Rechtsansprüche auf Sozialleistungen.

Auch Osteuropäer können Anspruch auf Sozialleistungen haben

„Die Stadt ist in jedem Fall verpflichtet zu prüfen, ob jemand einen Anspruch hat“, betont hingegen der renommierte Hamburger Sozialrechtler Professor Christian Bernzen. „In den Fällen, in denen ein Mensch einen verfestigten Aufenthalt in Deutschland hat, ist sie verpflichtet ihm so zu helfen, wie es seinem Bedarf entspricht.“ Verfestigter Aufenthalt – das könne bereits nach drei Monaten in Hamburg der Fall sein. Übrigens hat das Bundessozialgericht entschieden, dass dieser verfestigte Aufenthalt spätestens nach einem halben Jahr der Fall ist. Dann hätten die Zuwanderer je nach Einzelfall Anspruch auf Unterbringung und Verpflegung, sagt Bernzen. Häufig bietet die Stadt ihnen jedoch nur Unterstützung bei der Rückreise in ihr Heimatland an. „Das darf nicht die einzige Form des Hilfeangebots sein“, sagt Bernzen. „Wenn Menschen hier bleiben dürfen, dann muss ihre Menschenwürde in jedem Einzelfall gesichert werden.“

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Häufig könnten die Osteuropäer nicht nachweisen, dass sie Anspruch auf Hilfe haben, sagt Andreas Stasiewicz von der Beratungsstelle Plata. „Viele von denen haben zwar gearbeitet. Aber sie werden oft betrogen.“ Nur wenige Osteuropäer bekämen einen regulären Arbeitsvertrag. Die meisten würden Schwarzarbeit nachgehen. Und ohne Arbeitsvertrag keine Hilfeleistungen. „In diesem Winter hatten nur sechs Prozent der Osteuropäer aus dem Winternotprogramm Anspruch auf eine Unterkunft“, so Stasiewicz. Seit Jahren würde sich deren Anteil zwischen fünf und zehn Prozent bewegen. Alle anderen – Stasiewicz schätzt, dass es dieses Jahr wohl bis zu 700 Menschen seien könnten – müssen jetzt zurück auf die Straße.

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Am Abend des 31. März öffnete das Winternotprogramm im Schaarsteinweg ein letztes Mal seine Pforten.

Den Osteuropäern wird nicht einmal ein Platz im Pik As angeboten. In der einzigen ganzjährigen Notunterkunft dürfen nur Obdachlose mit Rechtsanspruch langfristig verweilen. Sie schlafen oftmals trotzdem lieber auf der Straße. Zu viel Alkohol, zu viele Diebstähle und zu viele Männer pro Zimmer, heißt es immer wieder. 330 Wohnungslose können in dem Gebäude nächtigen. Teilweise teilen sich zwölf Männer in Doppelstockbetten einen Raum.

Die verlassenen Notunterkünfte wiederum wird die Stadt weiterhin nutzen. Flüchtlinge sollen dort untergebracht werden. Bis Ende April werden die ehemaligen Massenunterkünfte dafür umgebaut. Jeweils 200 Flüchtlinge können anschließend dort leben. In der Unterkunft am Schaarsteinweg werden zudem einige wohnungslose Familien unterkommen, für die die Stadt bislang Zimmer in Billig-Hotels anmietete. Insgesamt lebten Ende vergangenen Jahres 279 Menschen in solch einem Provisorium ohne eigene Küche. Wie viele Familien künftig Platz in der umgebauten Unterkunft finden, gibt die Sozialbehörde noch nicht bekannt. „Richtig ist: Keiner darf draußen bleiben, weder Flüchtlinge noch Obdachlose – egal, woher sie kommen und egal ob sie einen Rechtsanspruch haben oder nicht“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. „Absurd ist nur, dass für die eine Gruppe Obdachloser andere Obdachlose wieder auf die Straße gesetzt werden.“

Text: Jonas Füllner, Benjamin Laufer
Fotos: Lena-Maja Wöhler

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