Warum Hamburg seit neuestem Pyramiden baut

Frank Keil über die Schwierigkeiten, in der City noch ein Plätzchen zum Sitzen zu finden.

(aus Hinz&Kunzt 162/August 2006)

Neulich am Hauptbahnhof. Ich hatte eine gute Stunde Zeit, bis mein Zug ging und was sollte ich da auf dem düsteren Bahnsteig warten? Also raus an die frische Luft, irgendwo hinsetzen. Vielleicht drüben auf dem Steintorplatz, grob Richtung ZOB. Ein breiter Gehweg, der sich zu einem kleinen Plätzchen erweitert, nebenan ein Parkplatz für hektische Kurzparker. An seiner einen Seite entlang eine Reihe mit halb hohen Quadern aus rotem Sandstein. Aber mit Pyramiden drauf. Material: Marmor. Na, da war ja jemand spendabel. Darauf soll man sitzen?

Ich probiere es aus. Es geht nur gerade so, mit dem Hintern auf der Kante. Komisch. Drüben, genau auf der anderen Seite des Parkplatzes, da könnte ich mich bequemer hinsetzen: die gleichen roten Quader, nur ohne Pyramiden. Doch dort schrammen die Autos dicht an mir vorbei und Abgase umwehen mich lieblich. Ich verlagere mein Gleichgewicht. Rücke mit dem Hintern noch ein klitzekleines Stück nach vorne. Geht so. Langsam fühlt sich mein Po taub ab. Mein Orthopäde dürfte mich hier nicht sehen. Schon verstanden: Ich soll hier nicht sitzen. Aber wer kommt auf diese ulkige Idee, den Menschen das Sitzen zu verleiden?

Am nächsten Tag gehe ich rüber zum Bezirksamt Mitte, das in den hässlichsten Bauten der Stadt residiert; gräulich hintereinander gestaffelt ragen sie am Klosterwall in den Himmel. Schade: Die Pressesprecherin hat Urlaub. Aber einer ihrer Kollegen aus einem der Büros nebenan hat sofort Zeit für mich. Er lädt mich in sein Zimmer ein. An den Wänden hübsche Fotos von Hamburg bei Nacht. Und ein wunderbarer Ausblick Richtung Süden, den Hafen hinunter. Kräne, Lagerhäuser, eine kleine, weiße Wolke am Himmel.

Ich beschreibe, was mich beschäftigt, er weiß sogleich Bescheid. Er ruft einige Kollegen an und sagt den schönen Satz: „Es geht um diese Klötze am Bahnhof, wo Pyramiden draufsitzen, damit die Leute nicht draufsitzen können.“ Herr Weiler wüsste Näheres. Morgen ist der zu sprechen. Er gibt mir dessen Nummer und wippt in seinem Stuhl kurz hin und her, sagt vorsichtig: „Man kann von dieser Aktion natürlich Unterschiedliches halten.“

Auch Herrn Weiler muss ich nicht groß erzählen, um was es geht. „Diese Quader sind natürlich nicht mit den Pyramiden auf die Welt gekommen“, sagt er und führt aus: „Die Quader waren erst mal gedacht als Abgrenzungselement zum Parkplatz, aber auch als sekundäres Sitzmobiliar.“ Nur hätten da einfach zu viele Bierdosentrinker drauf gesessen. Auch Herr Weiler lässt durchblicken, dass die roten, rauen Quader und die polierten, grauen Pyramiden von Form, Material und Farbe her überhaupt nicht zueinanderpassen. Und die Leute würden da ja trotzdem sitzen, wenn auch in sichtlich unbequemer Haltung. Er sagt als Fachmann: „Aus rein gestalterischer Sicht ist da natürlich verschlimmbessert worden.“ Aber ich sollte doch mal den Herrn Benecke anrufen, Leiter der Tiefbauabteilung.

Der ist anfangs recht brummig, fängt sich dann aber. Und erzählt, dass es damals, um 2002 darum ging, die heruntergekommene Gegend um den Steindamm städtebaulich aufzuwerten. Der Steindamm selbst wurde anschließend verschwenkt, der Steintorplatz verbreitert und ordentlich gepflastert, ein Platz für Kurzparker errichtet. Und um den einzugrenzen, wollte man keine Poller aus Eisen, auch keine schnöden weißen Striche auf dem Asphalt. Sondern eine interessante Linienführung mittels grau- und roteingefärbter Gehwegplatten, wobei einige der roten Platten wie aus der Erde emporranken und sich in Quader verwandeln sollten.

Alle waren zufrieden, anfangs. Bis eben Anwohner und Geschäftsleute sich über die beschwerten, die dort tatsächlich saßen, Bier aus Dosen tranken und manchmal eben auch seitlich vom Quader kippten. Und eines Tages kamen die Pyramiden ins Spiel. Herr Benecke räuspert sich: „Natürlich geht es bei solchen Baumaßnahmen immer auch um Verdrängung. Aber wir sind Durchführungsbehörde, und wenn es am Ende eine verkehrsbehördliche Anordnung gibt, dann werden wir tätig.“

Könnte ich eine solche auch bewirken? Mal angenommen bei mir vor der Tür ist ein kleiner Platz und da sitzen Leute auf hockerhohen Steinquadern und trinken den ganzen lieben Tag lang Dosenbier und ich ärgere mich darüber, warum auch immer. „Wenn sich Einzelne beschweren oder auch mehrere“, sagt Herr Benecke, „dann nehmen wir das erst mal zur Kenntnis. Aber wenn sich dann die Polizei an uns wendet, bei der sich vorher die Geschäftsleute oder Anwohner beschwert haben, dann handeln wir.“

Ein bisschen unangenehm war natürlich: Gerade war der Platz umgebaut worden, und schon musste wieder Geld ausgegeben werden. „Das alles ist garantiert im Verkehrsausschuss abgenickt worden“, sagt er noch. Anfangs habe man sogar an Nato-Draht gedacht, aber das wollte man dann doch nicht. Und irgendjemand muss dann auf die Idee mit dem Pyramiden gekommen sein, damit nun auf den Quadern nicht mehr die falschen Leute, sondern gar keine mehr sitzen.

Repressive Architektur, so nennen das die Kritiker. In Stein gemeißelte und Beton gegossene Anweisungen an den Bürger, wie er sich in der Stadt zu bewegen hat und welche Gruppen schlicht unerwünscht sind – ohne ausdrückliche Verbote auszusprechen (siehe auch Interview auf der nächsten Seite).

Ein Klassiker: die Sitzbänke in den U- und S-Bahnen und in den Fußgängerzonen. Eines Tages boten sie nicht mehr eine gerade und lange Sitzfläche, sondern wurden in einzelne Schalen unterteilt, so dass man nicht mehr darauf liegen und etwa schlafen konnte. Bänke so hübsch mit Rückenlehne zum Anlehnen muss man mittlerweile richtig suchen (am oberen Ende der Binnenalster, unterhalb der Lombardsbrücke gibt es noch welche. Aber bitte nicht weitersagen!).

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Ist man überhaupt erst mal auf die unterschiedlichen Banksorten aufmerksam geworden, fällt auf, wie wenig Gelegenheiten zum Pausieren es noch gibt. Das gesamte Areal um den Hauptbahnhof herum etwa bietet nichts für müde Omas, fußlahme Reisende oder Verliebte, die nicht voneinander lassen können. Die auslaufenden Portale des Bahnhofsgebäudes, auf denen man früher wenigstens hocken konnte, sind unter Drahtkäfigen verschwunden. Selbst in den Bushäuschen an der Kirchenallee hat man die Bänke abmontiert und der Weiterreisende muss nun im Stehen auf den nächsten Bus warten.

Aber zurück zu meinen Pyramidensesseln. Denn ich erreiche Herrn Schüler, Quartiersmanager von der Interessengemeinschaft Steindamm, von der es heißt, sie hätten sich damals für die Pyramiden stark gemacht. Ganz so sei das nicht gewesen, aber man habe sich schon um das Image des Viertels gesorgt. Ihn störten wiederum nicht nur die Bierdosentrinker, sondern vor allem die Prostituierten, die damals den Platz frequentierten und sich wohl hin und wieder auch mal hinsetzten. „Kugeln“, sagt Herr Schüler, „man hätte ja auch Kugeln draufsetzen können.“ Aber wer nun persönlich den Umbau beschlossen und die Pyramiden auf die Quader gesetzt hat, er weiß das nicht mehr. Doch wohl der Bezirk.

Ich bedanke mich, lege auf und schaue aus dem Fenster. Nehme meine Jacke, nehme das Fahrrad und radele noch mal zum Bahnhof: Da sind sie, die Quader mit diesen albernen Kegeln drauf, an denen die Leute vorbeieilen. Auf einem sitzt eine junge Frau ganz an der Kante und raucht. Ich weiß nicht, aber irgendwie ist mir jetzt nach einer Dose Bier.

Frank Keil

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