Von der Straße ins Blatt

Wie unsere Verkäuferausgabe entstanden ist

(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004)

So schnell wird man bei Hinz & Kunzt vom Verkäufer zum Redakteur. Kaum zu glauben: Sie halten sie in der Hand, die erste Verkäuferausgabe von Hinz & Kunzt. Diese Zeitung ist unser Ding – bis zum nächsten Projekt. Diese Zeitung ist fertig, und wir auch ein bisschen – vom Schreiben, Reden, Kaffee-Trinken, Kekse-Essen und der freudigen Erwartung, wie Ihnen die Ausgabe gefällt.

Natürlich wären wir ohne die Zusammenarbeit mit den Hinz & Kunzt-Redakteuren aufgeschmissen gewesen, und Sie hätten diese Ausgabe vielleicht erst Weihnachten in den Händen gehalten. Aber die Stimmung war gut. Gute Stimmung, gute Texte.

Wir haben gesehen, wie schwer es ist, eine Zeitung zu machen. Wir haben uns kennen gelernt, unsere Stärken und Schwächen. Zehn Gesichter haben Namen bekommen. Und über allen Gesichtern steht: Zeitungmachen ist schwierig, aber auch total geil. „Natürlich war es hektisch“, sagt Erich, „aber hektisch ist bei mir flott.“ Es wurde immer „flotter“.

Hinter den Verkäuferausweisen und der Nummer darauf stehen Menschen. Zehn von ihnen haben diese Ausgabe hergestellt. Übrigens, sollten wir uns mal sehen, meine Nummer ist die 71, und ich durfte auch dabei sein. Danke!

Klaus Lenuweit für die Verkäuferredaktion

Die Idee zur Verkäuferausgabe hatte eigentlich der Bundesverband der deutschen Straßenmagazine, dem auch wir angehören. Der fragte eines Tages an, ob wir Lust hätten, an einer einmaligen bundesweiten Ausgabe mitzuwirken. Tolle Sache, fanden wir. Aber dann entschieden wir uns doch für ein eigenes Projekt. Nur so konnten viele unserer Leute zum Zuge kommen. Die Hinz & Künztler waren begeistert, die anderen Straßenzeitungen nicht sauer.

Die Hemmschwelle, sich in die Verkäuferredaktion einzuklinken, wollten wir möglichst niedrig halten. Wir wussten: Einige können schreiben, andere können gut erzählen, andere wiederum haben gute Ideen, wollen sie aber selbst nicht umsetzen. Deshalb hatten nicht nur die Heimkinder Paten (siehe Seite 6), sondern auch die Verkäuferredakteure: Annette Woywode, Detlev Brockes, Marc-André Rüssau, Sonja Norgall, Pamela Perschnick und Birgit Müller halfen bei der Recherche, dokumentierten, zeichneten auf und redigierten. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass die Ausdrucksform manchmal sehr gewählt und manchmal sehr direkt ist. Den originalen Sprech- oder Schreibstil der Hinz & Künztler wollten wir möglichst erhalten.

Trotz des Zeitdrucks am Ende der Produktion haben wir voneinander mehr mitbekommen als sonst: Die Verkäuferredakteure haben wieder mehr Verständnis für den Stress der „echten“ Redakteure, auch dafür, dass wir dann tagelang unausstehlich sind – wie sie meinen. Und wir wurden stärker als sonst mit den Widrigkeiten des Lebens der Hinz & Künztler konfrontiert: Wenn Laura beispielsweise fast ihr Zelt abfackelte, weil sie nachts beim Schein von Teelichtern ihre Artikel schrieb. Oder wenn Björn aus der Redaktion aussteigen musste, weil seine Freundin ins Krankenhaus kam. Aber wir haben uns auch mehr als sonst zusammen gefreut: Als zum Beispiel nach all der Arbeit die Heimkinder-CD tatsächlich fertig war…

Um sich Ihnen auch im Bild vorzustellen, hatten die Verkäufer die Idee, sich als wichtige Blattmacher zu präsentieren. Bei der Verkleidungsaktion im Studio unseres Fotografen und Gestalters Martin Kath haben wir Tränen gelacht: Erich, unser Künstler, mit Fliege, Laura, unsere Schöngeistin, mit Zigarettenspitze, Jörg, unser Rocker, wie ein Investigativ-Journalist, Klaus, unser Intellektueller, in Weste, die anderen in Anzügen, als würden sie so etwas jeden Tag tragen. Schick allesamt.

Und in diesem Moment war klar: Kleider machen eben doch Leute. Manchmal liegt die eine Lebensform nur eine Handbreit neben der anderen.

Birgit Müller, Hinz&Kunzt-Chefredakteurin

Weitere Artikel zum Thema