Internationale Woche der Straßenverkäufer : Mindestens 1029 Obdachlose leben in Hamburg

Internationale Woche der Straßenverkäufer, Tag 5: Laut der letzten, offiziellen Zählung 2009 leben in Hamburg 1029 Menschen auf der Straße. Hinz&Kunzt gab damals eine eigene Studie in Auftrag, bei der es vor allem um die Situation und Wünsche der Obdachlosen ging. Denn wir glauben, dass in Wahrheit weitaus mehr Menschen auf der Straße leben: So tauchen etwa alle, die in Notunterkünften leben, gar nicht in der offiziellen Statistik auf.

(aus Hinz&Kunzt 199/September 2009)

Hamburg gehört zu den wenigen Städten, die überhaupt Zählungen und Befragungen von Obdachlosen durchführen: erstmalig 1996 (eher eine Zählung), dann 2002 und zuletzt 2009. Die Studien 2002 und 2009 sind unter gleichen Umständen erfolgt, insofern sind die Daten besser vergleichbar als jene von der Zählung 1996. Durchgeführt hat die letzten beiden Befragungen der Sozialwissenschaftler Torsten Schaak aus Bremen.

Die wichtigsten Ergebnisse der offiziellen Zählung 2009:

1029: Das ist die Zahl der Obdachlosen, die innerhalb einer Woche im März in insgesamt 90 Hilfseinrichtungen angetroffen wurden (2002 waren es 1281). Außen vor blieben jene, die in Notunterkünften lebten.
Dass die Zahl der auf der Straße Lebenden gesunken ist, entspricht einem bundesweiten Trend.

Das Durchschnittsalter der Hamburger Befragten hat sich seit 1996 stetig erhöht: von 37 Jahren (1996) über 40 Jahre (2002) auf 43 Jahre.

Erschreckend: 22,2 Prozent derjenigen, die in Hamburg Platte machen, sind Frauen. Das sind wesentlich mehr als im Bundesdurchschnitt (13,7 Prozent).

Aus unserer Sicht kaum zu glauben: Laut Studie ist der Anteil der unter 25-Jährigen seit der Befragung 2002 nahezu gleich geblieben: 12,4 Prozent.

Video: Hinz&Künztler präsentieren die wichtigsten Ergebnisse der Studie

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Vermutlich macht sich die EU-Erweiterung bemerkbar und auch die Armut in Osteuropa: Jedenfalls sind 26,6 Prozent der Obdachlosen nicht-deutscher Herkunft; im Jahr 2002 waren es 17 Prozent.

Offensichtlich leben zwar weniger Menschen auf der Straße, dafür bleiben sie aber länger obdachlos: mittlerweile durchschnittlich 58,1 Monate (2002: 47,3 Monate).

Und sie fühlen sich deutlich kränker. Aber: Jeder Dritte ist nicht krankenversichert.

Die Obdachlosen akzeptieren die Hamburger Übernachtungsangebote besser als noch 2002. 60 Prozent der Befragten gaben an, in den Monaten zuvor in einer Unterkunft übernachtet zu haben.

Die Beratungsangebote werden wenig wahrgenommen: Nur 18 Prozent nutzen die Fachstellen für Wohnungsnotfälle, 22 Prozent die Sozialen Beratungsstellen für Wohnungslose.

Mehr als 61 Prozent der Befragten haben Schulden; Jüngere sind davon mehr betroffen als Ältere (70,4 Prozent gegenüber 59,5 Prozent).

59,2 Prozent der deutschen Obdachlosen und 77,4 Prozent der nicht-deutschen Obdachlosen haben kein Girokonto.

Überhaupt Geld: Die Zahl derjenigen, die gar kein Einkommen haben – wie Hartz IV, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Rente – ist dramatisch gestiegen: 2002 war es „nur“ jeder zehnte Obdachlose, jetzt ist es jeder sechste (17,7 Prozent).

Hinz&Kunzt beauftragt eigene Studie

Hinz&Kunzt hat 2009 auch eine eigene Studie in Auftrag gegeben. Wohnungslose wollen nicht mit anderen ein Zimmer teilen. Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Befragung, die Hinz&Kunzt in Auftrag gegeben hat. „Ich bin müde von der Wohnungslosigkeit. Ich will nur ein Zimmer“, so ein Betroffener stellvertretend für viele. „Unsere Studie ist nicht repräsentativ. Aber sie ist in jedem Fall ausssagekräftig“, sagt Professor Harald Ansen von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Im Auftrag von Hinz&Kunzt haben Studierende unter seiner Leitung 125 Wohnungslose in Hilfseinrichtungen und auf der Straße befragt. „Die Auswahl war zufällig.“ Anders als bei der von der Stadt in Auftrag gegebenen Befragung ging es Ansen und seinen Mitstreitern vor allem um Situtation und Wünsche der Betroffenen. Die Ergebnisse zeigen: Es bleibt viel zu tun.

Hinz&Kunzt: Welche Ergebnisse haben Sie am meisten überrascht?
Harald Ansen: Erstens: Viele Betroffene legen schon länger als drei Jahre auf der Straße. Das stellt erhebliche Anforderungen an die Wohnungslosenhilfe. Zweitens: Die Hälfte der von uns Befragten nutzt weder behördliche Übernachtungsmöglichkeiten noch Beratungsstellen. Da stellt sich die Frage: Sind die Barrieren zu hoch? Und drittens: Wir haben eine ganze Reihe junger Menschen getroffen, die bislang keine Chance gehabt haben, Schule oder Ausbildung abzuschließen. Bei ihnen ist mehr Fördern als Fordern gefragt.

Hinz&Kunzt: Was sagen die Betroffenen?
Ansen: Wir haben unsere Gesprächspartner gebeten, Noten zu vergeben. Da kommt das Hilfesystem nicht so gut weg. Vor allem mangelnde Sauberkeit und Hygiene in den Notunterkünften wird beklagt. Auch Gewalt und Diebstahl sind Themen. Und, ganz wichtig: Die Betroffenen wünschen sich mehr persönliche Kontakte zu Sozialarbeitern.

Hinz&Kunzt: Was ist zu tun?
Ansen: Wohnungslose sollten viel stärker eingebunden werden, etwa in Beiräten. So hätten sie Einfluss. Die Öffnungszeiten von Tagesaufenthaltsstätten und Übernachtungsangeboten zum Beispiel finden viele unzureichend. Es ändert sich aber wenig.

Hinz&Kunzt: Ist die Stadt auf dem richtigen Weg?
Ansen: Das Winternotprogramm zum Beispiel ist ein gutes Angebot. Es geht nicht darum zu sagen: Alles ist falsch. Sondern um die Frage, wie wir es noch besser machen könnten.

Hinz&Kunzt: Nichts wünschen sich die Befragten mehr als Privatsphäre. Sollte das Einzelzimmer in der Notunterkunft Standard werden?
Ansen: Unbedingt. Es geht um menschenwürdige Unterbringung. In Mehrbettzimmern mit beliebiger Belegung und einer Häufung vieler Probleme können Betroffene nicht wieder in die Spur kommen.

Fragen: Ulrich Jonas

Lesen Sie auch unser großes Online-Dossier Wohnungsnotstadt Hamburg!

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