Unter Schnucken

Von Freud und Leid einer Schäferin – Ortstermin in der Fischbeker Heide

(aus Hinz&Kunzt 145/März 2005)

Das Konzert klingt vielstimmig, und die Botschaft klar: „Määäh!“, schallt es aus 200 Schafs- und 13 Ziegenkehlen, als Ute Pelka sich dem Pferch nähert. „Gleich geht’s los!“, ruft die Schäferin ihren Schützlingen zu. Die trippeln aufgeregt auf der Stelle. Die Hirtin öffnet das Gatter, Hirtenhund Bero erhebt warnend seine Stimme, und Körper an Körper drängen die Tiere der Freiheit entgegen. Wie aufgezogen rast der Hund im Kreis um die Herde herum, die den lockenden Pfiffen der Hirtin folgt. „Übertreib das nicht! Komm her!“, ruft Ute Pelka. Die Fachfrau weiß: „Treibt er’s zu doll, verschlucken sich die Schafe und müssen husten.“

Tag für Tag ist die 39-Jährige mit ihren Heid-schnucken im Süden Hamburgs unterwegs: im Winter in der Fischbeker Heide, im Som-mer auf dem Neugrabener Falkenberg. Mit Muttertieren und Lämmern, die tagsüber im Stall bleiben, zählt die Herde insgesamt rund 350 Köpfe. Ute Pelka hegt und pflegt sie im Auftrag einer niedersächsischen Rechtsan-wältin. Eine befreundete Schäferin habe ihr den Tipp gegeben, als vor anderthalb Jahren der Job vergeben wurde. Damals arbeitete Ute Pelka bei einer Schäferei in Niedersachsen, zu ihrem Bedauern zumeist im Stall. „Du kriegst eine eigene Herde und bist dein eigener Herr!“, habe die Freundin ihr vorgeschwärmt. Ute Pelka sagte zu und bereut es nicht. Zwar besitzen andere Schäfer ihre eigene Herde. Doch tragen die auch ein wirtschaftliches Risiko und haben hohe Kosten, etwa fürs Winterfutter.

Wie viel Lohn sie dafür bekommt, dass sie auch an den Wochenenden arbeitet und so gut wie nie Urlaub macht, will Ute Pelka nicht verraten, nur so viel: „Weniger als andere.“ Doch geht es ihr offensichtlich nicht ums Geld. Schon als Kind habe sie die Tiere geliebt, erklärt die zurückhaltende Frau mit den grünen Augen ihre Berufswahl. Aufgewachsen in einem mecklenburgischen Dorf, habe sie den Bauern schon als Zehnjährige beim Melken der Kühe geholfen und Kälber großgezogen. Mit 18 verließ sie das Elternhaus, lernte Haushaltsgehilfin, heiratete und bekam zwei Kinder. Als ihre Ehe zerbrach, entschied sie sich für die dreijährige Ausbildung zur Schäferin. So viel Zeit zum Lernen muss sein, meint sie, denn: „Ein Schaf gut zu pflegen ist eine Kunst.“

Ein eisiger Wind weht über die Heide. Zufrieden knurpsen die Schnucken das Kraut, in den Ohren der Schäferin ist das Musik: „Ich liebe dieses Knacken – und die Natur.“ Nur das Rauschen ferner Automotoren stört die Idylle im Winternebel. Vier bis sechs Stunden soll das heute so weitergehen – damit die Tiere schön satt werden. Um sich die Zeit zu vertreiben und auch um nicht zu erfrieren, erzählt Ute Pelka, „entkrusel ich nebenbei die Heide“, was heißt: Sie zieht junge Kiefern aus dem Boden, „damit die Heide vernünftig wachsen kann“. Im Sommer nehme sie auch mal Stricksachen mit und mache es sich auf einer Bank gemütlich, während die Tiere futtern. An solch friedlichen Bildern wohl liegt es, dass viele falsche Vorstellungen haben von ihrem Beruf, wie Ute Pelka berichtet. „Die meinen, wir Schäfer stehen nur draußen rum und gucken in die Gegend. Doch was im Stall passiert, das sehen sie nicht.“

Und da passiert viel: Morgens um halb sieben wollen die Schafe gefüttert werden, und zwar mit der richtigen Mischung aus Kartoffeln, Hafer, Brot und Mineralfutter. Die Futtertröge müssen gesäubert werden, und ist ein Tier krank, braucht es Pflege und Medizin. „Wenn es dann stirbt, tut das mehr weh als alles andere im Herzen.“ Und manchmal sind noch ganz spezielle Jobs zu erledigen. Die Lammböcke zum Beispiel müssen kastriert werden, um Inzucht zu verhindern. Manch Schäfer gibt sie vorher weg oder kneift ihnen mit der Zange die Samenstränge durch. Ute Pelka dagegen hat sich für die „sanfte“ Form der Kastration entschieden: Mit Gummiringen bindet sie die Hoden ab, so dass sie nicht mehr durchblutet werden. Nach kurzer Zeit sterben sie ab, und aus dem Bock wird ein Hammel. „Das tut denen nur am ersten Tag etwas weh.“

Ein Spaziergänger kommt des Weges, seinen Hund führt er an der Leine. Das ist gut so, sagt Ute Pelka. Nichts kann sie mehr auf-regen als frei laufende Hunde und ihre Herrchen. Die würden zwar immer sagen: „Mein Hund tut nichts!“ Doch im Zweifelsfall seien ihre Schafe die Dummen. So wie an jenem Dezembernachmittag 2003, kurz vor Weih-nachten, als ein Amok laufender Vierbeiner „in die Herde rein ist und wild um sich gebissen hat“: Ein Muttertier und vier Lämmer kostete der Leichtsinn des naiven Hundehalters das Leben.

Droht Ute Pelkas Schützlingen bald aus ande-rem Grund ein Aderlass? Werden gar alle 50 Sprösslinge Mitte März zu Osterlämmern verarbeitet? „Wenn’s nach mir geht: Nein“, sagt kurz und bündig die Schäferin. Das letzte Wort jedoch habe die Chefin. Doch steht es um die Überlebenschancen der Lämmchen gut, wie sich an anderer Stelle zeigt: Im Stall hängt eine kleine Lampe, die jede Nacht leuchtet. Sie soll den Lämmern den Weg zu ihren Müttern erhellen, erzählt Ute Pelka mit einem kleinen Schmunzeln: „Die Chefin will das so.“

Ulrich Jonas

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