Mietshäuser Syndikat : Ungewöhnliche Hausbesitzer

Im Berliner Projekt „Wilma 19“ leben 60 Menschen in einem ehemaligen Bürogebäude zusammen. Möglich gemacht hat es das Mietshäuser Syndikat, das Immobilien aufkauft, um langfristig günstige Mieten zu sichern.

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Student Aaron Bruckmiller wohnt in der „Wilma 19“. Das steht für „Wohnen in Lichtenberg – Magdalenen­­straße 19“. Foto: Martin Kath

In Lichtenberg wohnen? Im Plattenbau? Als Aaron Bruckmiller von dieser Idee das erste Mal hörte, musste er „erst mal schlucken“. Wuschelkopf, Bart, Kapuzenpulli: Der 24-jährige Philosophiestudent sieht nach Szeneviertel aus. Tatsächlich wohnte er früher in Kreuzberg und Neukölln. Von einem selbstverwalteten Hausprojekt aber hat er schon lange geträumt. Der gebürtige Österreicher wusste: Die Gelegenheit, eins aufzuziehen, gibt es selbst in Berlin nicht oft. Also hat Bruckmiller gemeinsam mit rund 60 anderen den Sprung in den Ost-Bezirk gewagt – und ist heute ein Hausbesitzer der besonderen Art.

Wohnraum selbst kaufen und so vor Spekulanten schützen: Das ist die Idee des Mietshäuser Syndikats. Vor gut 25 Jahren in Freiburg gegründet, gibt es heute bundesweit mehr als 100 Projekte mit 2500 Menschen unter dem Dach des Vereins. Dessen Experten helfen neuen Gruppen ehrenamtlich beim Kauf von Häusern und deren Finanzierung. Die Bewohner zahlen die Schulden mit ihrer Miete zurück – und haben die Gewissheit, dass sie günstig wohnen werden, so lange sie es möchten. Denn steigende Mieten oder der Verkauf der Immobilie sind nur möglich, wenn beide, Hausverein und Syndikat, zustimmen – praktisch undenkbar also.

„Investoren wollen Rendite und bieten deshalb weniger.“

Magdalenenstraße 19. Sieben Stockwerke Platte mit jeweils zehn Fenstern zur Straße und in den Innenhof. Wo heute das Sofa steht, das sich Bruckmiller mit seinen sechs Mitbewohnern teilt, tüftelte einst die Staatssicherheit der DDR an ausgefeilten Überwachungsmethoden. Blickt er aus dem Wohnzimmerfenster, sieht er die ehemalige Stasi-Kommandozentrale, nach dem Zusammenbruch der DDR zum Museum umgebaut. Und noch mehr Platte ringsherum. Trotzdem: Es verändert sich was. Studenten ziehen neu hinzu und Latte-macchiato-Trinker, schließlich ist Lichtenberg nicht mehr als 20 S-Bahn-Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Ein Stadtmagazin hat neulich gar die „Prenzlbergisierung“ des Bezirks beschworen: „Bei uns in der Gegend merkt man das aber noch nicht so.“

Herbst 2012. Das Land Berlin schreibt das seit Jahren leer stehende Haus zum Verkauf aus. Den Zuschlag soll der bekommen, der am meisten bezahlt. Die Magda GmbH mit den Gesellschaftern Mietshäuser Syndikat und Bewohnerverein bietet eine Million Euro – und gewinnt die Ausschreibung. „Ein realistischer Preis“, sagt der Berliner Architekt Bernhard Hummel, der den Kauf abgewickelt und den Umbau begleitet hat. Was war das Geheimnis des Erfolgs? „Investoren wollen Rendite und bieten deshalb weniger.“ 16 Immobilien hat das Mietshäuser Syndikat mittlerweile in Berlin erworben. Interessierte Gruppen für weitere Projekte gibt es zuhauf, aber: „Wir bekommen nur Häuser, die schwierig erscheinen, bei denen zum Beispiel die Bebauungsmöglichkeiten unklar sind. Wenn es um reine Baugrundstücke geht, haben wir keine Chance“, sagt Hummel.

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Früher saß hier im Plattenbau die Stasi. Beim Umbau zu gemeinschaftlichem Wohnraum hat Aaron Bruckmiller selbst mit Hand angelegt. Nun fühlen sich in der „Wilma 19“ auch Familien wohl. Den Spielplatz ziert ein cooles Piratenboot. Foto: Martin Kath

Sechs Wochen schuften Aaron Bruckmiller und seine künftigen Mitbewohner, um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. „Den Großteil der Entkernungsarbeiten haben wir geleistet“, erzählt der Student. Die Stahlbetonwände müssen Fachleute durchbrechen. Sie mauern auch die Treppe, die die beiden Stockwerke der Maisonette-Wohnung verbindet. Jeder hat ein 16-Quadratmeter-Zimmer; Küche, das große Wohnzimmer, das Arbeits-, das Gästezimmer und die beiden Bäder teilt sich die Wohngemeinschaft. Der Preis dafür: 4,70 Euro kalt den Quadratmeter. In den Häusern drumherum verlangen Vermieter mitunter das Doppelte.

Und noch etwas ist anders, sagt Aaron Bruckmiller: „Bei uns können auch Menschen wohnen, die kein Geld haben.“ Denn die Bewohner müssen nicht zwingend Eigenkapital mitbringen – die Hausgruppe und private Kreditgeber finanzieren den Grundstock, der Rest kommt von der Bank. Bruckmiller hat sich von Eltern, Verwandten und Freunden Geld geliehen für einen Zinssatz zwischen null und zwei Prozent pro Jahr. „Einige Hunderttausend Euro“ dieser sogenannten Direktkredite haben seine Mitstreiter und er auf diese Art eingeworben. Dringend benötigtes Geld, um Bankkredite zu bekommen, denn der Umbau des Hauses hat rund eine Million Euro verschlungen.

Berlin beschlagnahmt Plattenbau für Flüchtlinge

Heute leben Anwälte in dem Haus und Studenten, Sozialarbeiter und Hartz-IV-Bezieher, und Aaron Bruckmiller sagt: „Es ist richtig schön. Ich knüpfe immer mehr Freundschaften.“ Wenn die Bewohner das Haus abbezahlt haben werden, fließt ihre Miete in einen Solidarfonds, der neue Projekte unterstützt. So will das Mietshäuser Syndikat die Republik erobern und „eine schönere Gesellschaft“ schaffen, wie Aaron Bruckmiller die gemeinsame Vision umschreibt.

Ein paar Blöcke weiter leben neuerdings rund 2000 Flüchtlinge. Der gewaltige Plattenbau ist wie „Wilma 19“ gebaut: lange Flure mit 16-Quadratmeter-Zimmern auf beiden Seiten, nur viel breiter und höher. Für einen (!) Euro hat ein Spekulant die Hochhäuser vor Jahren von der Deutschen Bahn AG gekauft – und sie anschließend leer stehen lassen. Vergangenen November dann hat das Land Berlin die Platte beschlagnahmt, um sie als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Über die Miete wird noch verhandelt, dem Spekulanten winkt das Geschäft seines Lebens: Nach zurückhaltenden Schätzungen eines Insiders wird Berlin ihm monatlich mindestens 450.000 Euro zahlen – aufs Jahr gesehen also mehr als fünf Millionen Euro. „Ein Wahnsinn ist das“, sagt Aaron Bruckmiller. Eine bessere Werbung für die Idee des Mietshäuser Syndikats lässt sich nicht ausdenken.

Text: Ulrich Jonas
Fotos: Martin Kath

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