Schanzenviertel : Shoppen statt einkaufen

Im Schanzenviertel schnellen längst nicht nur die Wohnungsmieten in die Höhe: Durch steigende Mieten wurden etliche Läden für den alltäglichen Bedarf verdrängt. Und ein Ende des Ladensterbens ist nicht in Sicht.

Schanzen_Express
Ende des Jahres soll der Schanzen-Express schließen. Betreiber Murat Cay hofft auf die Unterstützung der Anwohner.

Kaffeedose leer? Keine Milch mehr im Haus? Wer auf die Schnelle vor der Haustür seinen kleinen Einkauf tätigen möchte, bekommt im Schanzenviertel allmählich Probleme. Bis zum 31. Dezember soll der Edeka Schanzen-Express sein Geschäft räumen. Nach Hinz&Kunzt-Informationen wird zudem die Verkaufsfläche des Penny-Marktes auf dem Schulterblatt zur Neuvermietung angeboten.

In dem Hinz&Kunzt vorliegendem Exposé bittet die CBRE GmbH bereits um ein Gebot für die Verkaufsfläche im Schulterblatt 26-36. 65 Euro pro Quadratmeter werden verlangt. „Ich habe davon aus der Presse erfahren und war erst einmal geschockt“, so Michael Behnke, Vertriebsleiter bei Penny. „Mir liegt keine Kündigung durch den Vermieter vor und ich hoffe, es bleibt dabei.“ Gewerbemietverträge können allerdings recht zügig aufgelöst werden. Sie bieten nicht den gleichen Schutz wie Wohnungsmietverträge. Die gesetzliche Kündigungsfrist beträgt höchstens sechs Monate.

Für die Bewohner wäre das Ende des Penny-Marktes ein massiver Einschnitt: In den vergangenen Jahren verabschiedeten sich bereits der Gemüseladen Didar und der Bioladen im Schulterblatt 98 aus dem Schanzenviertel. Zuletzt erhielt der Schanzen-Express eine Kündigung. „Wo sollen die Leute künftig einkaufen?“, sagt Schanzen-Express-Geschäftsführer Murat Cay. Mit einer Unterschriftensammlung kämpft der Gewerbetreibende um den Verbleib. „Wir haben bereits über 3000 Unterschriften gesammelt. Die Unterstützung durch die Kunden ist groß.“

Shoppen und feiern, wo früher Anwohner ihr Gemüse kauften

Das Schanzenviertel gilt seit Jahren als Musterbeispiel der Gentrifizierung: In den 1990er Jahren wurde der Stadtteil zum Anziehungspunkt für Studierende und Künstler. 2003 erklärte der Bezirk das Gebiet zum Sanierungsgebiet. Doch die Aufwertung des Viertels zog steigende Mieten nach. Um Luxusmodernisierungen zu verhindern und die Struktur der Wohnbevölkerung zu erhalten, erließ der Bezirk Altona deshalb im März dieses Jahres eine Soziale Erhaltungsverordnung.

Doch der Mietenwahnsinn ist im Schanzenviertel längst nicht mehr nur auf dem Wohnungsmarkt ein Problem: Gewerbetreibende sind von der Entwicklung genauso betroffen. Im Unterschied zu Wohnungsmietverträgen sind Gewerbemietverträge in der Regel befristet. Die Folge: Verträge werden nicht mehr verlängert oder Mieten stark angehoben. Die Liste der Läden für den alltäglichen, die in den letzten Jahren schließen mussten, ist lang: 1000 Töpfe, Radio Kölsch, Video Aktuell und etliche Gemüse- und Bioläden. An ihrer Stelle haben zahlreiche Boutiquen und Cafés eröffnet. Seit Jahren beklagen Anwohner, dass das Schanzenviertel zur Party- und Shoppingmeile verkommt.

Auch St. Georg machte im vergangenen Jahr mit massiven Mietsteigerungen Schlagzeilen: Die Buchhandlung Wohlers erhielt eine Mieterhöhung von 1400 auf 4200 Euro. Das rief Anwohner auf den Plan, die wochenlang für den Erhalt ihrer Buchhandlung protestierten. Ohne direkten Erfolg: Buchhändler Wohlers musste schlussendlich mit seinem Geschäft umziehen. Doch inzwischen wurde eine Kehrtwende in St. Georg eingeläutet: Elf Grundeigentümer sprechen sich hier „gegen eine Verdrängung von kleinen, inhabergeführten Ladengeschäften durch Handelsketten und gegen explodierenden Gewerbemieten aus.“ Einer dieser elf Vermieter ist die SAGA/GWG. „Es ist unsere Hauspolitik, dass wir kleines Gewerbe unterstützen“, so Sprecherin Kerstin Matzen. „Das machen wir nicht nur in St. Georg, sondern zum Beispiel auch in Wilhelmsburg so.“ Das Integrationsprojekt „Made auf Veddel“ in der Veddeler Brückenstraße habe die SAGA/GWG durch eine Miete ermöglicht. Zu den üblichen Marktpreisen wären solche Projekte oft nicht möglich. Auf die Entwicklungen im Schanzenviertel hingegen hat die SAGA/GWG keinen Einfluss. „Wir haben dort leider keine Gewerbeflächen“, so Matzen.

Text und Fotos: Jonas Füllner