Nach Zwangsräumung : Jugendamt droht mit Kindesentzug

Sofica Jucan lebte mit ihrer sechsjährigen Tochter und ihrem ein Monat altem Baby in einer Wohnung in Harburg. Weil diese nicht genehmigt war, hat das Bezirksamt die Räumung veranlasst. Jetzt droht der Mutter der Kindesentzug.

Zwangsr‰umung Harburg
Sofica Jucan verlor ihre Wohnung. Jetzt hat sie Angst, dass ihr das Jugendamt ihre Kinder wegnimmt.

10 Monate lebte Sofica Jucan in einer Dachgeschosswohnung im Harburger Phoenix-Viertel. In einem Zimmer mit ihren beiden Kindern und ihrem Freund, nebenan weitere rumänische Landsleute. Die Wohnung war klein, aber immerhin mit Küche und Bad ausgestattet. Ihre Mieten haben sie immer bezahlt. Allerdings war ihr Zuhause keine genehmigte Wohnung. Sofica Jucan wusste das nicht. Jetzt wurden sie zwangsgeräumt.

Am Vormittag schafften die Rumänen die Möbel und Kleidungsstücke in Plastiksäcken vor die Wohnungstür. Jucans sechs Wochen altes Baby schlummert derweil im Kinderwagen. Dass die 35-jährige Mutter jetzt ihre Wohnung verliert, kann sie immer noch nicht begreifen. „Immer bezahlt“, sagt sie. Die 300 Euro für ihr kleines Zimmer überwies sie allerdings nicht an den Vermieter. Stattdessen kassierte ein Mittelsmann das Geld. Einen Mietvertrag oder auch nur einen Beleg über ihre Zahlungen bekam sie nie.

Dass das einmal zum Problem werden könnte, war Jucan nicht klar. Jetzt droht ihr die Obdachlosigkeit – und was viel schlimmer ist, der Kindesentzug. Denn das Bezirksamt Harburg hat eine Räumung beantragt. Wegen fehlendem Brandschutz sei der Dachboden nicht als Wohnung genehmigt. Eigentlich müsste der Vermieter ihnen eine Ersatzwohnung stellen. Doch ohne Mietvertrag hat Jucan schlechte Karten. Deswegen mussten die Rumänen jetzt die Wohnung räumen.

Wer allerdings keine feste Bleibe vorweisen kann, der darf seine Kinder nicht behalten. Denn Obdachlosigkeit stellt eine Kindeswohlgefährdung dar. Normalerweise hilft die Stadt obdachlosen Familien und bringt sie in einer Familien-Unterkunft unter. Das ist in diesem Fall anders: Denn Rumänen, die keine Arbeit finden, haben in Hamburg bislang keine Leistungsansprüche. Die zur Klärung der rechtlichen Situation notwendige Gerichtsentscheidung ist immer noch beim Europäischen Gerichtshof anhängig. Das Jugendamt stellt Jucan daher vor die Wahl, in ihre Heimat zurückzukehren oder ihre Kinder abzugeben. Den für diese Entscheidung vorgesehenen Beratungstermin vor einigen Wochen hatte die Rumänin verstreichen lassen. Sofica Jucan will sich mit keiner dieser „Alternativen“ abfinden.

„Ich will nicht nach Rumänien“, sagt Jucan. In Hamburg will sie sich eine Perspektive mit ihren Kindern und ihrem Freund aufbauen. Der hat Arbeit, allerdings schwarz. Immerhin verdiente er ausreichend Geld, um die Miete für das Zimmer zu finanzieren. Und ihre ältere Tochter besuchte gleich neben der Wohnung die Vorschule.

In den vergangenen Wochen halfen Jucan einige Lehrer. „Zusammen zum Amt“, sagt Jucan, die kaum deutsch spricht und deswegen auf Übersetzer angewiesen ist. Als sie nach der Räumung bei einem Termin im Jugendamt realisiert, dass man ihr die Kinder wegnehmen wird, steigen ihr Tränen in die Augen. „Wir brauchen Wohnung. Können zahlen“, sagt sie schluchzend.

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In dem ausgebauten Dachboden in diesem Haus im Beckerberg lebten die Rumänen.

Im Bezirksamt hat man kein Verständnis dafür, dass der Eigentümer die Not anderer Menschen ausnutzt: Zwei Nutzungsuntersagungen wurden in der Vergangenheit bereits ausgesprochen. Das scheint den Eigentümer wenig beeindruckt zu haben. „Da muss jetzt ein Bußgeld angesetzt werden, das dem Eigentümer richtig wehtut “, sagt eine Bezirkssprecherin. Nur über das Portemonnaie könne man solch skrupellosen Vermietern zu Leibe rücken.

Den rumänischen Bewohnern ist damit nicht geholfen. Als gegen Mittag der Gerichtsvollzieher für die Zwangsräumung anrückt, ist niemand mehr in der Wohnung. Die rumänischen Männer sind verschwunden. Ob sie jetzt auf der Straße schlafen oder Zuflucht im Winternotprogramm suchen, ist unklar. Für Jucan ist das Winternotprogramm allerdings keine Alternative. Denn dort können keine Familien leben.

Sofica Jucan müsste das Jugendamt eigentlich die Kinder wegnehmen. Denn eine günstige Wohnung hat die 35-Jährige nicht gefunden. Zumindest für dieses Wochenende konnte die Familie untergebracht werden. Beim Jobcenter soll die Mutter anschließend sich um Sozialleistungen bemühen. Dabei steht fest, dass sie einen Ablehnungsbescheid erhalten wird. Doch erst wenn eine Ablehnung vorliegt, kann das Amt für Wohnungsnotfälle weitere Schritte unternehmen. Weil Jucan aber keine Wohnung vorweisen kann und als Mutter eines Neugeborenen derzeit nicht auf Jobsuche gehen kann, wird man ihr erneut mit dem Kindesentzug drohen. Dabei befindet sich Sofica Jucan, deren Baby am 19. Dezember geboren wurde, sogar noch im Mutterschutz. Die Rumänin hofft auf eine Zukunft für ihre Kinder in Hamburg. In der Vorschule lernt ihre Tochter gerade deutsch. „Ab August dann richtig Schule“, sagt Sofica Jucan voller Stolz.

Text: Jonas Füllner

Fotos: Mauricio Bustamante