„Dieses Amt ist auch Bürde“

Hamburg-Journal-Moderatorin und Tagesschausprecherin Judith Rakers über ihren journalistischen Werdegang, die Neutralität von Nachrichten und die Notwendigkeit, ein seriöses Privatleben zu führen
(aus Hinz&Kunzt 191/Januar 2009)

Hinz&Kunzt: Es war Ihnen nicht gerade in die Wiege gelegt, einmal Journalistin und Tagesschausprecherin zu werden, oder?

Rakers: Nein gar nicht, mein Vater ist Physiotherapeut, meine Mutter Innenarchitektin, keiner in der Familie hat etwas mit Journalismus zu tun. Und dann komme ich auch noch aus Paderborn, einer Region, in der es zwar Regionalzeitungen gibt und einen regio­nalen Hörfunksender, aber von Fernsehen ist weit und breit keine Spur.

H&K: Ab wann konnten Sie sich vorstellen, Journalistin zu werden?

Rakers: Schon ziemlich früh. Ich bin da schlicht meinen Talenten gefolgt, und eines dieser Talente liegt ganz klar im Bereich Sprache und Kommunikation. Schon in der Grundschule habe ich gerne Aufsätze geschrieben und enorm viel gelesen. Mein Vater hat mehrfach nachts Kontrollgänge gemacht, weil ich oft bis morgens um drei heimlich gelesen habe – mit einer kleinen Taschenlampe unter der Decke. Die Liebe zu Büchern lag wahrscheinlich auch daran, dass ich nach der Trennung meiner Eltern viel allein war.

H&K:Mit 19 haben Sie Ihr erstes Praktikum bei einer kleinen Lokalzeitung gemacht. Die Chance haben Sie gleich genutzt.

Rakers: Das stimmt. Die hatten zu Beginn des Praktikums zu mir gesagt: Es liegt an Ihnen, ob Sie acht Wochen lang nur Bildunterschriften schreiben oder ganze Artikel. Da habe ich natürlich Ehrgeiz entwickelt – mein Sternzeichen ist schließlich Steinbock (lacht). Außerdem wurde mir das auch von zu Hause mitgegeben: Leistungsbereitschaft. Meine Eltern waren und sind beide selbstständig, bei uns wurde immer gearbeitet – auch an den Wochenenden.

H&K:Haben Sie auch eine Lieblingsgeschichte?

Rakers: Sie werden es nicht glauben: Das ist eine Geschichte über einen Obdachlosen, die ich am Tag drei meines Praktikums geschrieben habe. Ich stand damals voller Enthusiasmus vor den Redakteuren und habe gesagt: „Ich möchte jetzt gerne eine Reportage machen.“ Die fragten dann etwas ironisch: „Alles klar – worüber denn?“ Und ich: „Ich hab einen Obdachlosen gesehen, der saß gestern und vorgestern auch schon da, über den würde ich gerne etwas machen.“

Ein Redakteur fragte dann: „Was gibt es über den denn zu erzählen?“ Ich: „Das weiß ich nicht, ich muss ihn ja erst mal kennenlernen.“ Ich hab mich zwei Tage bei dem Obdachlosen quasi auf die Matte gesetzt und versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen, und dann hat er mir seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Herausgekommen ist tatsächlich ein längerer Artikel, der auch veröffentlicht wurde.

H&K:Berührungsängste hatten Sie nicht?

Rakers: Nein, das hatte ich noch nie, ich bin ein sehr kommunikativer und offener Mensch. Die Geschichte ist übrigens bis heute die Lieblingsgeschichte meiner Mutter. Journalismus bedeutete für sie immer: Man muss sich einsetzen und versuchen, die Dinge zu verbessern.

H&K:Und für Sie selbst?

Rakers: So habe ich auch angefangen, weil ich schon immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte. Heute weiß ich allerdings, dass Objektivität im Journalismus ebenfalls ein hohes Gut ist.

H&K:Gab es einen Punkt, an dem Nachrichten einen anderen Stellenwert für Sie bekamen?[

Rakers: Ich kann nicht behaupten, dass ich mit sechs Jahren schon die Tagesschau geguckt und gedacht habe: Da will ich mal hin. Im Gegenteil: Mein Traum war Autorin beim Spiegel zu werden. Doch mit zunehmendem Alter habe ich mich immer mehr für tagesaktuellen Journalismus interessiert.

H&K:Wie ist es bei Nachrichten, wenn Sie in der Maske sitzen und sehen, im Heute-Journal läuft eine Meldung, die Sie gar nicht haben.

Rakers: schmunzelt) Das Gute ist ja: Wir senden immer erst nach dem ZDF. Wir könnten also noch reagieren und die Meldung ins Programm nehmen. Aber jetzt im Ernst: Wenn eine Meldung relevant ist, haben wir sie. Da müssen wir nicht erst die Konkurrenz betrachten …

H&K:Bleiben Sie denn die ganze Nacht durch fit und frisch?

Rakers: Ich versuche es, aber es gelingt nicht immer. Wenn jemand um 10 Uhr morgens den Fernseher anschaltet und mich sieht, wie ich mit kleinen, roten Augen die Tagesschau präsentiere, womöglich auch noch leicht nuschelnd, weil die Zunge erlahmt, denken die Zuschauer wahrscheinlich: „Also, jetzt um 10 Uhr könnte die doch mal ausgeschlafen sein.“ Die wissen natürlich nicht, dass ich schon seit 3.30 Uhr auf den Beinen bin. Man sieht eben immer nur das Glamouröse: Sie ist schön geschminkt, die Haare fallen über ihre linke Schulter, aber dass ich manchmal aus dem letzten Loch pfeife, weil ich wenig schlafe, kann man nur erahnen.

H&K:In so einem Zustand passieren dann wahrscheinlich auch schneller mal Pannen …

Rakers: Die legendärste Sache passierte mir in einem Morgenmagazin um 6.30 Uhr. Der Text, den wir vorlesen, läuft bei der Tagesschau über Teleprompter, und beim Morgenmagazin bedienen wir ihn selbst mit einem Pedal. Die Redakteurin kam kurz vor Beginn der Sendung noch zu mir ins Studio und sagte: „Lies unbedingt vom Prompter, wir haben Änderungen in der 1.“ Ich wusste also, die erste Meldung ist verändert worden und mein Zettel ist nicht mehr aktuell. Dann ging die Sendung los. Ich sagte: „Guten Morgen, meine Damen und Herren“, trat auf das Pedal – und der Text lief plötzlich rückwärts, ein technisches Problem. Ich war dann sehr schnell sehr wach, habe mich entschuldigt, unter den Tisch geguckt und versucht, eine Taste an dem Pedal zu erreichen, mit der man die Textrichtung verändern kann. Aber es klappte erst beim zweiten Mal. Die Sache lief natürlich einen Tag später bei Stefan Raab, der dann scherzte: „Was macht sie da unterm Tisch? Sitzt Jens Riewa da eventuell und leckt ihr die Stiefel?“

H&K:Wie ging es Ihnen denn dabei?

Rakers: In dem Fall fand ich’s eher lustig. Nicht witzig ist es, wenn man wirklich einen groben Schnitzer macht. Ich habe in der 20-Uhr-Sendung mal die dritte Meldung anstelle der zweiten gelesen, und das verursachte ein Riesen-Chaos. Als ich in die Konferenz kam, hatte ich nichts zu lachen. So etwas hängt einem noch Wochen nach.

H&K:Nimmt der Zuschauer Pannen übel?

Rakers: Ich glaube, der Zuschauer freut sich eher, wenn er sieht, dass wir Menschen sind und keine Maschinen. Aber der professionelle Anspruch ist Perfektion, und deshalb ist es oft schwierig, bei Pannen und Fehlern locker zu bleiben. Vor allem in der 20-Uhr-Tagesschau – das ist eben ein sehr würdevolles Amt.

H&K:Die Würde des Amtes und eigenes kritisches Denken – wo verläuft da die Grenze?

Rakers: Bei der Tagesschau ist das sehr deutlich. Wir schreiben die Nachrichten nicht, wir lesen sie vor und präsentieren die Sendung. Keiner sollte uns anmerken können, welche politische Richtung wir bevorzugen, es sollte alles möglichst objektiv und neutral sein.

H&K:In der Sendung selbst, aber was ist außerhalb der Tagesschau?

Rakers: Wenn Sie mich jetzt fragen würden: „Für wen waren Sie, Barack Obama oder McCain?“, würde ich nicht antworten. Neutralität gehört zu meinem Beruf wie die Stimme und die Seriosität.

H&K:Gilt das auch für Ihr Privatleben?
Rakers: Ja, als Tagesschausprecherin sollte man auch privat seriös und skandalfrei sein. Da passt es nicht, wenn man an den Wochenenden betrunken auf dem Kiez in der Ecke liegt.

H&K:Das hört sich nach viel Disziplin an.

Rakers: Wenn ich mich mein Leben lang verstellen müsste, wäre das in der Tat sehr anstrengend. Ich bin aber von Natur aus ein sehr ernsthafter und oft nachdenklicher Mensch. Natürlich bin ich auch Privatperson, eine 32-jährige Frau, die auch mal Spaß haben will und Party machen möchte – zum Beispiel einen Junggesellinnen-Abschied feiern, bei dem es kracht. Leider geben einem Boulevardzeitungen aber nicht die Möglichkeit, ein möglicherweise kompromittierendes Foto so zu kommentieren, dass jeder Leser auch die Umstände kennt, unter denen dieses Foto entstanden ist. Dieses Amt ist auch Bürde.

H&K:Da muss der Freundeskreis mitziehen.

Rakers: Meinen Freunden muss ich das nicht groß erklären. Mit denen habe ich viele Phasen meines Lebens geteilt. Wir konnten da alle auch ein bisschen reinwachsen.

Interview: Birgit Müller

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