Protest : Hotline gegen Zwangsräumungen

Nach Berliner Vorbild wollen nun Aktivisten auch in Hamburg Zwangsräumungen verhindern: Am Samstag planen sie im Schanzenviertel „Manifestation und Talkshow“ zum Thema. Das Berliner Modell hat sich indes bewährt: 20 Räumungen konnten seit Februar verhindert werden.

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Die Zwangsräumung von ALi Gülbol konnten die Blockierer im Februar nicht verhindern, aber ihr Protest hatte trotzdem Wirkung: 20 Räumungen konnten seitdem abgewendet werden.

Der Engagement gegen Zwangsräumungen in Berlin hat sich gelohnt: Immerhin 20 Zwangsräumungen konnte das Bündnis Zwangsräumung verhindern! seit Februar in Berlin abwenden, sagt Sprecherin Sara Walther gegenüber Hinz&Kunzt. Der Großeinsatz der Polizei, der die Räumung von Ali Gülbol im Februar erst möglich gemacht hatte (Hinz&Kunzt berichtete), und die vielen Medienberichte darüber, haben bei den Wohnungseigentümern in Berlin offenbar Eindruck hinterlassen. Hunderte Menschen hatten damals der Gerichtsvollzieherin mit einer Sitzblockade den Weg versperrt.

Inzwischen sind gar keine Sitzblockaden mehr nötig: „Es reicht schon, dass die Mieter sich an unser Bündnis wenden, damit sich die Vermieter gesprächsbereit zeigen“, erzählt Walther. Mehrere städtische Wohnungsbaugesellschaften und private Vermieter hätten daraufhin bereits eingelenkt und angekündigte Räumungen verschoben oder aufgehoben. Auf 23 schätzt das Bündnis die Zahl der täglichen Zwangsräumungen in Berlin. Für die Eigentümer und Entscheider können die jetzt unangenehm werden, weil öffentlicher Gegenwind droht.

Blockaden auch in Hamburg?

Lässt sich diese Protestform auch auf Hamburg übertragen? Das wollen Aktivisten aus dem Bündnis Mietenwahnsinn stoppen! am Samstag bei einer öffentlichen Talkshow in der Schanze herausfinden. Zwar haben die Behörden die Versammlung nicht genehmigt, die Veranstalter wollen sie aber trotzdem durchführen. Auch Ali Gülbol aus Berlin will ab 16 Uhr an der Ecke Schanzen- und Ludwigstraße von seinen Erfahrungen berichten. „Zwangsräumungen werden oft als individuelles Versagen der Mieter und nicht als gesellschaftliches Problem gesehen“, beklagt Bündnissprecher Alexej Steinberg gegenüber Hinz&Kunzt. Dabei seien sie auch Folge von Verdrängung und Gentrifizierung und damit abzulehnen: „Wir wollen eine Perspektive entwickeln, um Zwangsräumungen in Hamburg mittelfristig zu verhindern.“ 2012 gab es in Hamburg 1590 Zwangsräumungen, vor der Einführung der Fachstellen für Wohnungsnotfälle im Jahr 2005 waren es noch 726 mehr.

Die Zwangsräumungsverhinderer in Spe haben einen Anlaufpunkt auf St. Pauli eingerichtet. Mittwochs von 16 bis 18 Uhr können Betroffene sich in der GWA St. Pauli am Hein-Köllisch-Platz persönlich oder telefonisch unter 410 98 87 46 melden und um Unterstützung bitten. „Wie die Hilfe aussieht, hängt auch davon ab, was die Betroffenen wollen“, sagt Steinberg. Denkbar seien Sitzblockaden wie in Berlin oder andere Formen der Unterstützung: „Ich kann mir auch vorstellen, die Menschen kollektiv zum Amt zu begleiten und sie so zu unterstützen, wenn sie das wünschen“, so Steinberg. „Den Königsweg gibt es nicht.“

Keine weiteren Blockaden in Berlin geplant

Das Berliner Bündnis kümmert sich derzeit um drei drohende Zwangsräumungen, aber auch für diese Fälle ist Sprecherin Walther optimistisch: „Derzeit ist keine Blockade in Sicht“, sagt sie. Eigentlich ist das begrüßenswert, für das Bündnis ist es aber gleichzeitig ein Problem: Ohne Blockaden hat eine verhinderte Räumung kaum öffentliche Wirkung, das Problem der Zwangsräumungen wird wieder unsichtbar. Deswegen denkt Walther laut über eine „neue Hausbesetzungswelle“ als Protestform nach: „Es kann nicht sein, dass die Wohnungsbaugesellschaften einige Zwangsräumungen wegen uns absagen, aber die anderen durchziehen.“

Ali Gülbol wohnt immer noch in der Wohnung seiner Eltern, in die er wegen seiner Zwangsräumung gezogen war. Zu siebt auf 114 Quadratmetern. Seit Februar haben er und seine Familie noch keine neue Bleibe gefunden. „Es gibt hier für Geringverdiener wirklich keine Wohnung“, sagt Walther. „Das ist kein Scherz!“ Und die Wohnung zwei Stockwerke unter der von Gülbols Eltern, aus der er im Februar geräumt wurde? Die steht immer noch leer.

Mehr zum Thema: Unser Online-Dossier über Zwangsräumungen.

Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante

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