Hausverbot

Bei Aldi in Jenfeld stehen die 870 Schüler einer benachbarten Schule unter Generalverdacht

(aus Hinz&Kunzt 154/Dezember 2005)

Hamburg, Jenfelder Allee: Ein ganz normaler Tag bei Aldi. Vielleicht sogar ein besonders schöner, denn es sind heute Mittag zwei Kassen auf. Die Kassiererinnen ziehen innerhalb von Millisekunden die Waren über den Scanner und finden erstaunlicherweise trotzdem noch Zeit, ein paar Worte mit den Kunden zu wechseln. Man kennt sich. Doch plötzlich springt die nette Frau im Aldi-Kittel auf, rast zur Eingangstür und stellt sich einer Gruppe von Jugendlichen in den Weg. „Ihr wisst, dass ihr hier nicht rein dürft!“, ruft sie. „Eure Schule hat Hausverbot, das wisst ihr genau.“

Leise protestierend ziehen die fünf Halbwüchsigen ab, gehen über die Straße, zurück in die Schule. „Was soll das denn?“, fragt eine ältere Dame in der Schlange irritiert. „Wieso dürfen die nicht rein?“ – „Die klauen hier immer“, antwortet die Verkäuferin kurz und lässt weiter Käse, Milch und Apfelsaft über den Scanner fliegen.

Hausverbot für eine ganze Schule? Für sämtliche 870 Schülerinnen und Schüler? „Das ist empörend“, sagt die Leiterin der Schule. „Die Kinder und Jugendlichen werden unter Generalverdacht gestellt. Das ist nicht in Ordnung.“ Sie hat bereits im September bei der Aldi-Leitung in Bargteheide gegen die pauschale Vorverurteilung ihrer Schüler protestiert. Aldi hatte in einem Brief an die Schuldirektion behauptet, vor allem in der Mittagspause treten Schüler in „größeren Pulks“ in der Verkaufsstelle auf und „verärgern Kunden und Personal“. Außerdem seien Schüler „als Ladendiebe gestellt“ worden. „Ich habe bei der zuständigen Polizeiwache nachgefragt“, so die Direktorin. „Dort ist nicht eine Anzeige gegen unsere Schüler wegen Ladendiebstahls bei Aldi bekannt.“

Auf Nachfrage bei Aldi bestätigt die Filialleitung, dass es keine Anzeigen gegeben habe, da es keinen Sinn mache, Jugendliche anzuzeigen. „Da passiert doch nichts. Die können ja noch nicht bestraft werden. Und ab 16 Uhr, nach Schulschluss, können sie hier auch wieder einkaufen.“

„Das kann ich aus pädagogischer Sicht nicht verstehen“, so die Schulleiterin. „Wenn ein Schüler klaut, muss es auch eine Anzeige geben, damit das Delikt nicht bagatellisiert wird und damit Eltern und auch Schulleitung davon erfahren.“ Sie hätte sich gefreut, wenn „die Filialleitung das persönliche Gespräch mit mir als Schulleiterin gesucht hätte“. Aber diese „pauschale Verunglimpfung“ sei „weder angemessen noch vertretbar“.

Und trifft das ohnehin problembeladene Jenfeld an einem wunden Punkt: der Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher im Stadtteil. Schon jetzt erhält jeder vierte der 28.000 Einwohner Leistungen nach Hartz IV. Ein Drittel aller Schüler in Jenfeld ist ausländischer Herkunft. Die Hälfte aller Wohnungen sind Sozialwohnungen. Pauschale Unterstellungen wie „Ihr seid alle potenzielle Kriminelle“ verstärken das Gefühl, dass die Gesellschaft Jenfelds Jugendliche nicht eben wertschätzt. Wie fühlt sich ein 15-Jähriger mit südländischem Äußeren, der so dermaßen am Rande dieser Gesellschaft lebt, dass er nicht einmal mehr zu Aldi reingelassen wird?

Wer jetzt erwartet, die Jugendlichen seien empört und gingen auf die Barrikaden, der irrt. „Das ist natürlich total ungerecht“, meint zwar ein 15-jähriger Schüler, allerdings zögernd und erst nach mehrfachem Nachfragen. „Aber wir gehen dann eben nur noch einzeln zu Aldi. Dann merken die nichts.“ Sich als Einzelkämpfer durchmogeln statt großer Solidaritäts-Demos für Chancengleichheit. Alle Schüler, die wir befragen, scheinen das pauschale Hausverbot hinzunehmen, wenn es denn überhaupt Thema ist. Auch ein 17-jähriger hat noch nicht mit seinen Freunden darüber gesprochen. „Wir gehen da weiter einfach rüber. Jeder für sich. Ich selbst hatte ja auch noch nie Probleme.“

Die Schule gebe es seit mehr als 30 Jahren am Standort, sagt die Direktorin, den Aldi-Markt erst seit einigen Monaten. „Ich denke, wir müssen lernen, miteinander klarzukommen.“ Auch die Aldi-Führung in Bargteheide scheint einzulenken. Eine Stellungnahme gegenüber Hinz&Kunzt lehnte Aldi zwar ab, der zuständige Mitarbeiter sagte aber zu, dass er mit der Schule „ins Gespräch kommen will“. 

Petra Neumann

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