Von der Straße in die Muster­wohnung

Hans-Peter im Glück. Mitarbeiter des Möbelhauses Ikea richteten „ihrem Hinz&Kunzt-Verkäufer“ liebevoll und passgenau seine neue Wohnung ein. Der konnte es erst gar nicht fassen.

(aus Hinz&Kunzt 222/August 2011)

Hans-Peter: „Ich habe mein kleines Paradies gefunden.“
Hans-Peter: „Ich habe mein kleines Paradies gefunden.“

Schuhe aus, Pantoffeln an – und immer rein in die gute Stube! Oder besser gesagt: Immer runter in die gute Stube. denn: „Alles Gute kommt von unten“, wie Hans-Peter zur Begrüßung fröhlich ruft. Der Hinz&Künztler spielt damit auf die Lage seiner Ein-Zimmer-Wohnung in Stellingen an: Souterrain. „Für mich ist diese Wohnung wie ein Sechser im Lotto“, schwärmt der 60-Jährige. Er führt den schmalen Flur an Bad und küche vorbei ins liebevoll eingerichtete Zimmer und von dort auf die Terrasse: Platz genug für Tisch und Gartenstühle, umrahmt von duftenden Blumen in allen Farben, geschützt durch eine frisch-grüne Sträucherhecke.

Drinnen ist es genauso heimelig, hier eine kleine Büroecke mit Schreibtisch, dort eine gemütliche Schlafcouch, gegenüber Sideboard und Fernseher, dazwischen jede Menge Pflanzen und Dekoration. „Wie aus dem Ikea-Katalog, oder?“, fragt Hans-Peter und schmunzelt. Denn dass seine Wohnung tatsächlich so aussieht, ist kein Zufall, sondern „das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich je bekommen habe“, wie er sagt. „Und ich durfte es sogar schon ein paar Tage früher auspacken.“

Dabei beginnt der 16. Dezember 2010 für Hans-Peter zunächst ohne Überraschungen. Gewohnt beschwingt baut er seinen Verkaufsstand an seinem Stammplatz bei Ikea in Schnelsen auf, begrüßt höflich Kunden und Personal. Nach Monaten der Obdachlosigkeit hat er durch die Vermittlung einer Stammkundin eine Wohnung gefunden und deshalb besonders gute Laune. Wie gewohnt schauen mittags auch die Ikea-Mitarbeiter Andreas Wulf und Marketingchef Marc Natho vorbei, um mit Hans-Peter einen kleinen Plausch zu halten. Sie fragen auch nach seiner neuen Wohnung, wollten vor ein paar Tagen sogar den Grundriss sehen. Anschließend äußern sie noch eine Bitte: Hans-Peter solle abends mal zu ihnen kommen, es gebe da etwas zu besprechen. „Dabei haben sie so ernst geguckt, dass ich dachte: Auweia, was kommt nu?“, erinnert sich Hans-Peter.

Abends geht er zu einem Lagerraum hinter der Warenausgabe – davor erwarten ihn grinsende Ikea-Mitarbeiter. „Du hattest uns ja von deiner Wohnung erzählt“, sagt Einrichtungshaus-Chef Udo Knappstein. „Und da haben wir mal was vorbereitet.“ Er öffnet die Tür zum Lagerraum, und siehe da: eine auf den Quadratmeter genau nachgebaute Fläche von Hans-Peters Wohnung, fix und fertig möbliert – dafür also der Blick auf den Grundriss! „Keine Sorge, du musst die Sachen nicht mit dem Schlitten nach Hause ziehen. Wir lassen sie dir liefern“, fügt Andreas Wulf hinzu, als Hans-Peter zunächst stumm bleibt. „Ich war einfach sprachlos vor Glück“, erzählt er. „und dann musste ich weinen.“ Wenig später lacht er, glaubt kaum, was hier geschieht – und wie schnell alles ging: Noch vor den Feiertagen ist seine Wohnung bezugsfertig. „Ich habe hier mein kleines Paradies gefunden“, freut sich Hans-Peter. Dann schüttelt er den Kopf. „Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, wie es mir noch vor zweieinhalb Jahren ging.“ Damals war Hans-Peter obdachlos, arbeitslos, spielsüchtig und alkoholkrank, hatte weder Kontakt zu Freunden noch zu seiner Ex-Frau und den beiden ge- meinsamen Kindern. „Ich war schwer depressiv“, erzählt er. „Und ich habe auf so mancher Brücke in Hamburg gestanden und überlegt, ob ich springen soll.“ Es sei sein „absoluter Tiefpunkt“ gewesen – in einem Leben, das von Anfang an nicht einfach war.

Hans-Peter wächst bei mehreren Pflegefamilien und in Heimen auf, seine leiblichen Eltern lernt er nie kennen. „Stattdessen war ich schon in sieben Familien und drei Heimen, bis ich 14 war“, erinnert er sich. „ein Gefühl von zuhause hatte ich nie.“ Er beginnt eine Ausbildung in der Verwaltung und soll während eines Praktikums im Jugendamt eine bestimmte Akte aus einem Schrank raussuchen – daneben sieht er plötzlich seinen eigenen Namen auf einem Ordner. „Da bin ich fast aus den Latschen gekippt“, erinnert er sich. Er bekommt die Erlaubnis, seine Akte durchzulesen – und ist schockiert. „Ich war damals gerade 18 und musste nun erfahren, dass meine Mutter Prostituierte war und mein Vater sich ertränkt hat.“ Hans-Peter zündet sich eine Zigarette an, nimmt ein paar tiefe Züge. „Am meisten hat mich aber entsetzt, dass mir nicht schon früher jemand die Wahrheit erzählt hat. Ich wurde all die Jahre angelogen.“

Hinz&Künztler Hans-Peter (Mitte) in seinem neuen Zuhause. Möglich machten das Marco Natho (links) und Andreas Wulf von Ikea.
Hinz&Künztler Hans-Peter (Mitte) in seinem neuen Zuhause. Möglich machten das Marco Natho (links) und Andreas Wulf von Ikea.

Hans-Peters Leben verläuft fortan turbulent. Er spürt Abenteuerlust, will „ordentlich Kohle“ machen, gibt seine Laufbahn als Beamter in der Verwaltung auf und tobt sich in der freien Wirtschaft aus: Als Manager in verschiedenen Unternehmen tingelt er durch Deutschland, arbeitet viel, trinkt viel, verdient viel Geld, verzockt es wieder. „Irgendwann habe ich mich wie in der Serie Dallas gefühlt“, erinnert er sich. „ich hatte einen totalen Realitätsverlust.“ 2004 erleidet er kurz nacheinander zwei Herzinfarkte, doch es dauert noch vier Jahre, bis Hans-Peter sein Leben umkrempelt: 2009 verliert er durch seine Spielsucht seine Wohnung, wird obdachlos, hat Selbstmordgedanken. es ist ein Hinz&Kunzt-Verkäufer, der ihm schließlich wieder Mut macht. „Ich habe ihm meine Geschichte erzählt und er meinte nur: ‚Mir ging’s genauso.‘ dass er trotzdem nicht aufgegeben hat, hat mir imponiert.“ Auch Hans-Peter fängt daraufhin bei Hinz&Kunzt an, außerdem beginnt er eine Therapie gegen seine Spiel- und Alkoholsucht, lässt seine Depression behandeln. „das war wie eine Wiedergeburt für mich“, sagt Hans-Peter, der seitdem auch wieder Kontakt zu seiner Ex-Frau und seinen Kindern hat. Zunächst verkauft er vor der Vattenfall-Zentrale in der Innenstadt, seit einem Jahr ist er nun Stammverkäufer bei Ikea.

„Durch seine außergewöhnliche Zuverlässigkeit und Höflichkeit ist er uns da sofort positiv aufgefallen“, erzählt Andreas Wulf. Der Ikea-Mitarbeiter freundet sich bald mit Hans-Peter an, lässt sich auch immer beim Thema Wohnungssuche auf dem Laufenden halten. „Und als er dann endlich eine gefunden hatte, mussten wir nicht lange überlegen, ob und wie wir ihm helfen können“, sagt er. „Schließlich sitzen wir direkt an der Quelle.“ Heute sind die Ikea-Mitarbeiter genauso begeistert über das Ergebnis ihres Geschenks wie Hans-Peter. „Vielleicht sollten wir eine Musterwohnung daraus machen und kunden herumführen“, sagt Udo Knappstein und lacht. Andreas Wulf macht es sich derweil auf der Terrasse bequem, er fühlt sich wohl hier, war schön öfter zu Besuch. „Das erste Mal wollten er und seine Frau nur kurz zum Abendessen rumschauen“, erzählt Hans-Peter. „Geblieben sind sie dann bis drei Uhr nachts.“

Text: Maren Albertsen
Foto: Cornelius M. Braun