„Gemüse braucht eben Make-up. Der liebe Gott hat es so gewollt.“

Hinz&Künztler gehen auf eine Hamburger Kochreise. Fulminanter Start: Indisch kochen im Shalimar. Mitte Oktober erscheint unser neues Sonderheft.

(aus Hinz&Kunzt 236/Oktober 2012)

Echtes Spektakel in der Shalimar-Küche: Dilid Nasker wirkt wie ein Magier. Immer wieder greift er in die Gewürzdosen, wirft Gewürze in die Pfannen und Töpfe. Die Flammen schlagen hoch, es zischt – weil heiß gekocht wird, ist das Essen schnell fertig.

Ein Bild für die Götter: Mike Washington empfängt uns in exotisch geblümtem Hemd über heller Hose – und knallrosa spitzen Lederschuhen. Eins muss man dem 64-jährigen Kultkoch aus Delhi lassen: Sein Outfit passt wundervoll in die lila-goldene Dekoration seines indischen Restaurants Shalimar. Dort, wo sonst oft Hamburgs Schickeria speist, sind heute wir eingeladen. Vor allem für eine Person ist dies mehr als nur ein Kochkurs. Moni, die bei uns hinterm Kaffeetresen arbeitet, stammt ursprünglich aus Indien.

Wir sind ganz schön nervös: Immerhin ist das unser erster Kochkurs für dieses Heft. Aufgeregt nesteln wir an unseren Kochjacken herum und lachen über alles und nichts. Gastgeber Mike Washington steht plötzlich vor uns, schaut ernst, legt die Hände aneinander und verbeugt sich. Namaste, sagt er fast feierlich. Und auf einmal sind wir ganz still, automatisch legen auch wir die Hände aneinander und verbeugen uns leicht. „Namaste bedeutet Respekt“, sagt Mike Washington. „Alle Welt sagt das inzwischen – sogar Barack Obama.“

Und dann will er wissen, wer wir sind – und was wir lernen wollen. Die Erste, die gleich antwortet, ist Moni. Für unsere Tresenfrau ist dieser Kochkurs etwas ganz Besonderes: „Ich bin in Indien geboren“, sagt die 30-Jährige. Aber ihre Eltern hat sie nie kennengelernt. Sie kam als Baby ins Krankenhaus – und wurde von einem deutschen Paar adoptiert. „Mit Indien habe ich nie etwas am Hut gehabt, bis jetzt“, sagt sie.

Außerdem mit dabei: Hinz&Künztler Matthias, der mal Koch war und gerne mehr über die indische Küche erfahren will. Jürgen, der im Vertrieb arbeitet und gerne isst, Holger, der schon mal in der Gastronomie gearbeitet hat. Und Mandy, beste Freundin von Moni, die eigentlich wegen Moni mitgekommen ist. Ein bisschen erinnert das Innenleben des Shalimar an eine Mischung aus 1001 Nacht und Bollywood: lila Wände und Säulen, Hängelampe aus bunten Glasperlen, ein Riesenbuddha, Stühle, samtüberzogen. Und manche Stühle, die aussehen wie ein kleiner Thron.

Ganz hinten ist ein großer Tisch für uns reserviert. Eine silberne Schatulle mit sechs Fächern steht aufgeklappt vor uns. Wir dürfen von allem probieren: Okay, Nelke erkennen wir leicht, auch Vanille oder Zimt. Aber was sind das für schwarze Dinger, die ein wenig wie Trüffel aussehen? Schwarzer Kardamon, sagt Mike Washington. In einem anderen Fach liegt grüner Kardamom. Wieder in einem anderen Zimt, Koriandersamen und Muskatblüten. Neben der Schatzkiste kleine tränenförmige Schälchen mit Paprika, Chili, Gelbwurz, Knoblauch, Ingwer …

Dass es Curry als Gewürz gar nicht gibt, sondern es immer eine Gewürzmischung ist, haben wir schon im Gewürzmuseum erfahren. „Meistens werden die Gewürze erst frisch gemahlen, wenn gekocht wird“, sagt Mike Washington. „Frisch gemahlen oder gepresst entfalten die Gewürze nämlich erst ihr wahres und intensives Aroma.“ „In Indien“, sagt der Mann aus Delhi, „hat sowieso jede Hausfrau ihren jungen Mann, der die Gewürze für sie auf einem Stein mahlt.“ Das entspricht nicht gerade unserem Bild von Indien. Aber natürlich gibt es in der ehemaligen englischen Kolonie nicht nur arme Menschen.

Jetzt sind wir dran: Jeder darf eine eigene Gewürzmischung herstellen. Gar nicht so leicht. Holger ist der wagemutigste. Das Chilipulver hat es ihm angetan. „Ich liebe es scharf“, schwärmt er und haut ordentlich von dem knallroten Pulver in sein Schälchen. Das erste Mal, dass er überhaupt indisch gegessen hat, war bei ihm zu Hause. Sein Pflegevater hatte einen Inder kennengelernt, der für Holgers ganze Familie kochte. „Der sagte noch: ‚Für euch mache ich es nicht so scharf.‘ Und dann habe ich fast Feuer gespuckt“, erzählt Holger. „Aber es war eine tolle Schärfe, es hat die anderen Geschmäcker nicht überdeckt.“ Seitdem liebt er es, wenn ihm beim Essen fast die Tränen kommen.

Ausgerechnet unsere gebürtige Inderin Moni, die sonst um Worte nicht verlegen ist, stammelt etwas vor sich hin, was sich anhört wie „Ich habe Angst.“ Scharf ist gar nichts für sie. Mandy ist da wagemutiger. Jürgen ist still und genießt. Ganz genau überlegt er sich, ob er mehr vom Paprika oder Chili hinzugeben soll. Das Öl, das man aus Kardamon presst, unterbricht uns Mike Washington mitten in unsere Qual-der-Wahl-Entscheidungen, ist übrigens eines der teuersten der Welt. Ehrlich: Davon hatte keiner von uns etwas gehört.

Fertig: Mike Washington lässt sich jede einzelne unserer Gewürzmischungen langsam auf der Zunge zergehen. Bei der ein oder anderen Mischung nickt er anerkennend – und auch wir kosten zaghaft unsere Kreationen. Mandy röchelt etwas: „Kann ich einen Schluck Wasser …?“ Und dann erwischt es Mike Washington, er hat gerade Holgers Mischung probiert: „Er hat mich gekillt mit seinem Curry“, bringt er zwischen Hustenanfällen hervor. „Ich habe schon Schweißperlen auf dem Kopf.“ Holger prustet richtig los. „Mir kann es gar nicht scharf genug sein.“

Mike Washington ist wieder hustenfrei, und auch Mandy geht es wieder besser. Vielleicht besser so, dass wir heute nicht mitkochen, sondern den Profis über die Schulter schauen. In der kleinen Küche sind die Gasherde schon entflammt. Ein bisschen wirken die beiden Köche Dilid Nasker (38) und Gobinda Saha (55) wie Magier. Mit großen Gesten fassen sie immer wieder in die riesigen Dosen mit den buntesten Gewürzen und schmeißen – für uns wirkt es jedenfalls so – Hände voll Gewürze in die Riesenpötte. Jürgen ist begeistert: „Ich finde es toll, dass die hier nicht nur Salz, Pfeffer und Soßenbinder verwenden.“ „Und mit welcher Leichtigkeit die das machen“, sagt Mandy. Aber wir ahnen schon, dass es schwer werden wird, später präzise Rezepte zu bekommen.

Nebenbei erzählt der Gastgeber, dass die Soßen in Indien das Wichtigste sind. Vielleicht schon deshalb, weil 90 Prozent der Bevölkerung Hindu und deshalb meist Vegetarier sind. Oder weil Fleisch einfach auch teuer ist. Selbst die Fleischesser essen selten mehr als 150 Gramm pro Person (inklusive Knochen) pro Woche. „Zum Mittagessen und Gemüse wird weniger scharf gewürzt als abends oder bei einem Fleischgericht“, erläutert der Chefkoch. Und er hat noch einen Tipp: „Immer den Herd runterschalten, wenn man die Gewürze hineingibt, bei starker Hitze verbrennen sie.“ In Nordindien werden übrigens alle Gerichte in Brot gewickelt, in Südindien isst man eher Reis, sagt er uns. Apropos Reis: Wir erleben gerade die merkwürdige Metamorphose eines Reisgerichts. „Was ist das denn?“, entfährt es Mandy. Denn plötzlich verfärbt sich der Topfinhalt knallrot. „Das ist Lebensmittelfarbe“, erklärt Mike Washington fröhlich. Und: „Das ist noch gar nichts: Bei Hochzeiten oder anderen Festen, da wird noch viel mehr gefärbt, vor allem rot und gelb.“ Soll wohl Glück bringen! „Gemüse braucht eben Make-up. Der liebe Gott hat es so gewollt.“

Die Düfte machen hungrig. Die Flammen schlagen hoch, es wird auf voller Hitze gekocht. Zum Glück geht es schnell. Das Lamm wird ratzfatz in einem der großen Töpfe in einer dunklen Soße geschmort. Die Hähnchenkeulen werden in einer Marinade aus Joghurt, Knoblauch, weißem Pfeffer und 1000 anderen Gewürzen gewälzt, sogar etwas Rosenwasser ist dabei. Der Ofen wird auf 380 bis 500 Grad hochgeheizt.

20 Minuten später steht schon das Essen auf dem Tisch. Jürgen, der Ästhet, findet die Gerichte „einfach schön anzusehen“. Wir haben keinen Finger krumm gemacht, aber Hunger wie die Wölfe. Alle hauen rein. Holger sagt gar nichts mehr, sitzt vor einem Berg voller Knochen und grinst glücklich. Mandy schmeckt’s, auch wenn es ihr doch „insgesamt zu gewürzlastig“ ist. Moni ist fasziniert, aber ihrem Heimatland ist sie nicht näher gekommen. „Wie auch“, sagt Mandy. „Moni ist die untypischste Inderin, die ich kenne. Die meisten lieben Reis, Gewürze und Curry, das alles mag Moni gar nicht. Sie mag höchstens Currywurst, aber das hat ja nichts mit Indien zu tun.“ •

Text: Birgit Müller und Sybille Arendt
Foto: Martin Kath

Das Sonderheft „Hamburger Kochreisen“ ist ab 15. Oktober für 6,80 Euro (davon 3,40 Euro für die Verkäufer) erhältlich.
Mehr zum Shalimar unter www.shalimar-hamburg.de