Die Elbe von oben : Schiffe gucken!

Schiffe sind die Passion des Hamburger Fotografen Thomas Kunadt. Der Film „Die Elbe von oben“ erzählt die Geschichte des Flusses am Beispiel von Menschen wie ihm.

(aus Hinz&Kunzt 242/April 2013)

JÄGER UND SAMMLER: 300 Bilder schießt Thomas Kunadt an manchen Tagen. Von Schiffen auf der Elbe. Der Fotograf ist in der DDR aufge- wachsen – da war die weite Welt sehr weit weg. Foto: Evgeny Makarov
JäGER UND SAMMLER: 300 Bilder schießt Thomas Kunadt an manchen Tagen. Von Schiffen auf der Elbe. Der Fotograf ist in der DDR aufgewachsen – da war
die weite Welt sehr weit weg. Foto: Evgeny Makarov

Thomas Kunadt legt an, zielt, wartet auf den perfekten Moment – und drückt ab. Zum fünften Mal ist er heute schon auf der Pirsch am Blankeneser Elbstrand. „Das Schießen habe ich noch bei der Armee gelernt“, sagt er. „Das kann ich heute noch brauchen.“ Er hat getroffen, aber seine Beute gleitet weiter die Elbe hinauf. Gemächlich, als wäre nichts passiert. Es ist die Thetis D, die gerade in den Hamburger Hafen einläuft. Zufrieden schaut der Jäger dem Containerschiff hinterher und erzählt, dass das Schiff einmal auf der anderen Elbseite gebaut wurde, in der Sietas Werft. Kunadt weiß so was, er muss es nicht nachschlagen.

Der 46-Jährige jagt mit seiner Kamera und dem riesigen Objektiv die Schiffe, die an Blankenese vorbei in den Hafen einlaufen. Sein Projekt: ein Hafentagebuch. Jedes Schiff, das zum ersten Mal hier ankommt, will er fotografieren. „Für mich sind die Schiffe die Blutstropfen, die im Hafen alles am Leben erhalten.“ Der Fotograf macht das schon seit 16 Jahren, hat 22.740 Schiffe abgelichtet, in Hamburg und auf seinen Reisen nach Hongkong oder Brasilien. Jeden Tag werden es ein paar mehr.

Kunadt ist besessen, das streitet er nicht ab: Schiffe bestimmen sein Leben, sind sein Beruf. Sein Arbeitstag beginnt um 6 Uhr morgens, im Sommer auch schon mal um 4 Uhr. Weil da das Licht so schön auf die Elbe fällt. Von seiner Wohnung im Blankeneser Treppenviertel hat er die Elbe im Blick: Mit den zwei Webcams verpasst er kein Schiff, das in den Hafen einläuft oder ihn verlässt. Eine Software zeigt ihm an, welcher Kahn gerade wie schnell wo lang fährt. Fünf Minuten braucht er mit dem Fahrrad bis runter zur Elbe, bei jedem Wetter rückt er aus.

„Manchmal muss ich mich überwinden“, sagt Kunadt. „Aber die Überwindung wird meistens mit etwas Besonderem belohnt.“ Woher kommt diese Leidenschaft? Auch von seiner Kindheit in der DDR, glaubt Kunadt: „Ich bin da groß geworden, wo man nicht so weit reisen konnte.“ Nach dem Mauerfall hat er auch erst mal das Weite gesucht, ist nach Hawaii gereist. Heute sind die Schiffe seine Brücke in die Ferne: „Ich bin durch diese Dinger täglich mit der Welt verbunden.“

Und wenn ein Schiff aus Bombay in den Hafen einläuft, denkt er manchmal: „Wow, da wäre ich jetzt gerne!“ Mit seiner Passion hat Kunadt es jetzt sogar ins Kino geschafft. Er ist einer der Protagonisten des Dokumentarfilms „Die Elbe von oben“. Darin steht er mit seinem Objektiv auf dem Aussichtsturm auf dem Blankeneser Süllberg und peilt in aller Ruhe die Elbe an. Aus 200 Metern Entfernung zoomt die Hubschrauber-Kamera von oben heran und umkreist ihn mit Verve. So hat man Thomas Kunath noch nie gesehen. Der Hamburger Dokumentarfilmer Marcus Fischötter hat den Film gemacht. Er ist an der Elbe aufgewachsen, erst in Blankenese, dann in Rissen. Die Elbe kennt er als stark befahrene Wasserstraße, auf der immer etwas los ist. Durch die Dreharbeiten im Sommer 2012 hat er den Fluss von einer anderen Seite kennengelernt: „Die größte Überraschung war für mich der Teil zwischen Schnackenburg und Dömitz“, sagt er. Dort fließt die Elbe durch eine idyllische Landschaft, Schiffe fahren kaum. „Das hätte ich in der Form an der Elbe nicht erwartet“, sagt der Filmemacher.

Das Besondere an seinem Film: Er zeigt die Elbe aus dem Hubschrauber. Die Cineflex-Kameratechnik macht fantastische Bilder möglich, die es so von der Elbe noch nie zu sehen gab. 300 Bilder schießt Thomas Kunadt an manchen Tagen. Von Schiffen auf der Elbe. Der Fotograf ist in der DDR aufgewachsen – da war die weite Welt sehr weit weg. Schnackenburg bis nach Cuxhaven ist Fischötter mit seinem Team geflogen und hat viele Menschen entlang der 300 Kilometer Elbe getroffen. Die Herausforderung für den Regisseur: „Ich musste Menschen finden, deren Geschichten etwas über die Elbe aussagen.“ Es ist ihm gelungen: „Die Elbe von oben“ ist ein Film, der jedem Zuschauer neue Perspektiven auf den Strom eröffnet.

Ein letzter Blick auf die Webcam. Thomas Kunadt wird unruhig: Der Sonnenuntergang ist weit spektakulärer als erwartet. Der wäre ein Foto wert gewesen, aber Kunadt schafft es jetzt nicht mehr runter an die Elbe. „Das muss ich morgen Abend wieder ausgleichen!“, sagt er. Die 300 Bilder, die er heute geschossen hat, waren nicht genug. Für ihn werden es nie genug sein: „Das ist eine Nummer, aus der ich in meinem Leben nicht mehr rauskomme.“ „Schiffe – eine Passion“ ist der Titel des neuesten Bildbandes von Thomas Kunath. Er ist im Verlag Klaas Jarchow Media erschienen.

Text: Benjamin Laufer
Foto: Evgeny Makarov
„Die Elbe von oben“: 2. und 3. April, 15 Uhr, Abaton Kino, Allende-Platz 3, Di, 7,50/6,50 Euro, Mi, 5,50 Euro. Das NDR-Fernsehen zeigt die erste Hälfte „Von Schnackenburg bis Hamburg“ am 19.5., 18 Uhr; zweite Hälfte „Von Hamburg bis Cuxhaven“ am 20.5., 18 Uhr.

 

Text: Benjamin Laufer
Foto: Evgeny Makarov

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