Prinzip Hoffnung

Neu-Steilshoop braucht mehr als ein bisschen Grünpflege – Begegnung mit engagierten Bürgern, großen Vermietern und dem „Schloss der Mysterien“

(aus Hinz&Kunzt 175/September 2007)

Die Gesandten des Senats kommen mit Tapeziertischen, Häusern aus Papier und bunten Notizkärtchen. Auf den Tischen befestigen sie eine Karte, sie zeigt den Anwohnern ihr Quartier. Wer mag, kann eines der vorgefalteten Papierhäuschen nehmen und es auf den Stadtteilplan kleben. So sollen die Menschen ein Gefühl bekommen dafür, wo und wie sie leben und was sie sich wünschen für ihre Umgebung. „Planning for real“ nennt sich das Verfahren, und glaubt man seinen Verfechtern, bringt es mancherorts sogar Bürgermeister mit Straßenkids ins Gespräch.

Ein feuchtwarmer Spätnachmittag im Juli. Zum achten Mal innerhalb von drei Wochen suchen Kirsten Winkler und Rixa Gohde-Ahrens Kontakt zu Bewohnern von Neu-Steilshoop. Der Einsatz der Landschaftsarchitektinnen und ihres kleinen Helfer-Teams aus engagierten Bürgern ist Teil des Senatsprogramms Lebenswerte Stadt. Heute haben sie für ihre Mission den kleinen Platz ausgewählt, zu dem sich die Fußgängerpassage, die hier Mittelachse heißt, an der Ecke zum Erich-Ziegel-Ring weitet. Viergeschössige Rotklinkerbauten und Laubbäume bestimmen das Bild. Ein leerstehender Unterstand mit dem Charme einer maroden Dorf-Bushaltestelle wirft die Frage auf, was deren Erbauer sich dachten. Eine von Moos überzogene Holzbank und ein schlicht-steinernes Tischfußballspiel, bei dem ein Rechtsaußen fehlt, erinnern daran, dass öffentliche Annehmlichkeiten nicht nur hingestellt, sondern auch gepflegt werden sollten.

Uwe Schramm hat heute seinen freien Tag. Der Hotelkoch lebt seit 22 Jahren in Neu-Steilshoop und hat klare Vorstellungen davon, was ihm fehlt. „Ein Backshop um die Ecke wäre schön“, sagt er. Für die kleinste Besorgung müsse er zum Einkaufszentrum laufen. Das aber biete „nicht mehr als eine Notversorgung“, meint der 47-Jährige und kommt in Fahrt: „Schauen Sie sich das doch an! Das ist alles sehr billig. Das erinnert mich an den Osten.“ Schramm muss es wissen, schließlich stammt er aus Chemnitz. Am liebsten wäre ihm, das EKZ würde abgerissen, „dann könnte man das ganz anders machen.“ Weil er weiß, dass das nicht geschehen wird, greift Schramm zu Stift und Papier und skizziert, wie er das Herz des Quartiers umgestalten würde: „Die Busbuchten müssten erneuert und verbreitert werden und die Straße neu geteert. Und die U-Bahn wäre schön. Aber die kommt ja eh nicht.“

Tatsächlich warten die Neu-Steilshooper seit mehr als 30 Jahren auf den versprochenen U-Bahn-Anschluss. Ihr Quartier ist auch in anderer Hinsicht besonders: Bis zu 13 Stockwerke hoch ragen die Häuser in den Himmel, auf zweieinhalb Quadratkilometern leben 15.000 Menschen aus aller Herren Länder. Zwei von drei Wohnungen sind Sozialwohnungen, jeder fünfte Bewohner hat keinen deutschen Pass. Rechnet man die Kinder der Einwanderer hinzu, dürfte die Hälfte der Menschen im Viertel zwischen verschiedenen Kulturen leben. Als Neu-Steilshoop Anfang der 70er-Jahre gebaut wurde, galt die „verdichtete Wohnsiedlung“ als mustergültig. Heute modern mancherorts die Fassaden, Wohnungen stehen leer, und jeder fünfte Bewohner lebt von Hartz IV.

Was das bedeutet, weiß Urte Bliesemann. Die 37-jährige Sozialpädagogin arbeitet seit sieben Jahren im Jugendbüro in der „Blauen Kachel“, wie die Gebäude der Martin-Luther-King-Gemeinde genannt werden. 70 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 16 erreichen die Sozialarbeiter des Vereins für Jugendpflege mit ihren Gruppenangeboten für Mädchen und Jungen. Vor wenigen Wochen stand ein Höhepunkt an: die 14-tägige Sommerreise. Da falle ihr besonders auf, aus welchen Verhältnissen die Jugendlichen kommen, erzählt die Sozialarbeiterin. 100 Euro kostet die Reise dank Spenden, Stiftungsgeldern und Zuschüssen. Doch selbst dieser Betrag scheint für manchen zuviel. „Die Familien haben kein Geld. Und noch schlimmer: Die Eltern kümmern sich nicht.“ In vielen Wohnungen herrsche Depression. Das färbe ab auf die Kinder. „Langzeitarbeitslosigkeit, Sucht, Gewalt: Darum müsste man sich kümmern!“

Dabei sollte alles längst besser sein. Schon 1991 rückten die Stadtentwickler an, um dem vernachlässigten Quartier auf die Beine zu helfen. Es war die Zeit, als Jugendgangs durch die Straßen stromerten und der Boulevardpresse für ein paar hundert Mark wilde Geschichten erzählten. Dann wurden Häuser saniert, Spielplätze gebaut, das und das Kulturzentrum eröffnet. Rund acht Millionen Euro flossen ins Viertel, bis der Senat im Jahr 2000 zufrieden verkündete: „Steilshoop steht auf eigenen Füßen.“ Und das Quartier in der Folge wieder vergaß. Es folgten: Stellenstreichungen beim Allgemeinen Sozialen Dienst, Mittelkürzungen bei der Straßensozialarbeit. Die Bücherhallen wurden gestutzt zur „ortsnahen Familienbibliothek“, nach der Schließung der Gesamtschule kommenden Sommer wird es in Steilshoop keine Schule mehr geben, die das Abitur anbietet.

„Bizarre Wellenbewegungen“ im städtischen Engagement nennt das Dieter Maibaum. Der langjährige Direktor der Gesamtschule hat vor wenigen Wochen sein Büro geräumt. Nun kann sich der Ruheständler ganz seinem ehrenamtlichen Engagement als Vorsitzender der Koordinierungskonferenz (Koko) widmen. Der 65-Jährige ist einer der umtriebigen Menschen, die seit vielen Jahren fürs Quartier kämpfen und wissen, was seine Bewohner benötigen: „Wir brauchen ein Stadtteilbüro, in dem zum Beispiel Übersetzungshilfe für Migranten angeboten wird. Altenpflege und Jugendarbeit müssen ausgebaut werden. Und vor allem: Wir müssen ans EKZ ran. Der Leerstand dort ist gewaltig!“ Um attraktive Läden ins Quartier zu holen, so Maibaum, müsse die Stadt Mieten für Gewerbetreibende subventionieren. Stadtentwicklungssenator Axel Gedaschko (CDU) soll sich das vorstellen können. Zumindest soll er das kürzlich auf einer Veranstaltung in Steilshoop geäußert haben. Seine Sprecherin dementiert auf Anfrage jedoch. Der Senator könne sich „nicht erinnern, Ähnliches gesagt zu haben“.

„Schloss der Mysterien“ nennen Koko-Mitglieder das Einkaufszentrum in Neu-Steilshoop ironisch. Jeder Versuch der Kontaktaufnahme zum Eigentümer sei bislang gescheitert. Da niemand Genaues weiß, heißt der Mann, der das EKZ vor knapp einem Jahr erworben hat, nur „der Däne“. Wie will er dem Einkaufszentrum das Leben einhauchen, das dieses wie auch das Quartier so dringend benötigen? Wird er in den Stadtteil investieren, und wenn ja: wofür? Auch die Fragen von Hinz&Kunzt blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Wenn Kira Pothen Liebeskummer hat, geht sie an den Bramfelder See und versenkt dort unliebsame Erinnerungsstücke. Zurzeit hat die 20-Jährige jedoch andere Sorgen. Die gelernte Fachkraft im Gastgewerbe hat ihren Job im Billardcafé verloren, „ich war noch in der Probezeit, und mein Chef hatte zu viele eingestellt.“ Nun zieht sie zu einer Freundin ins nordrhein-westfälische Olfen, weil sie in Hamburg keine Arbeit findet, und arbeitet dort in einer Pizzeria als Kellnerin. „Es fällt mir schon schwer wegzugehen. Schließlich leben Freunde und Familie hier“, sagt Kira. Viele ihrer Jugendfreundinnen, erzählt sie, wohnen heute nicht mehr in Steilshoop. Und sie? Wird sie zurückkommen? „Die Menschen hier finde ich toll. Die alten verrotteten Häuser und den Schimmel in den Wohnungen nicht.“

Über die Gagfah, den größten Vermieter im Quartier, klagt so mancher Bewohner, der mit feuchten Wänden zu kämpfen hat (siehe auch H&K Nr. 165). Seitdem das Unternehmen in die Hände sogenannter Heuschrecken gefallen ist, zählt offenbar vor allem der Profit – auch wenn der Pressesprecher der Gagfah versichert, sobald Schimmel auftrete, werde dieser „fachgerecht beseitigt“. Mit dem Vermieter neuen Typs könnten einkommensschwache Menschen noch Probleme bekommen. Jede dritte der 6400 Wohnungen im Quartier gehört der Gagfah, und überwiegend sind das Sozialwohnungen. Was wird geschehen, wenn die aus der Mietpreisbindung fallen? Die Gagfah verweist auf ihre Sozialcharta, die die Mieten bis 2014 begrenzt. Der Mieterverein spricht von „Propaganda“, da diese Selbstverpflichtung nicht in die Mietverträge aufgenommen worden sei. Und: Was passiert, wenn der Vertreibungsschutz für Altmieter endet? Zwar kann denen laut Stadtentwicklungsbehörde frühestens zehn Jahre nach dem Weiterverkauf der Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt werden. Doch hat die Gagfah die ersten Wohnungen offenbar schon versilbert – wie viele, ist unbekannt. Das seien „Unternehmensinterna“, so der Sprecher.

Die Zukunft der Sozialwohnungen, so fordert mancher, müsse zum Thema gemacht werden. Doch der Senat setzt andere Schwerpunkte. Er will zwar die Wohnungseigentümer in die Pflicht nehmen – doch vor allem bei der Umgestaltung und Pflege der Mittelachse. Ein Ideenwettbewerb läuft, auf dem Stadtteilfest sollen erste Ergebnisse präsentiert werden. Der Senat mache nicht mehr, als den Stadtteil „anzuhübschen“, lästert die SPD. Die Hoffnung vieler im Quartier hat einen alten Namen: „Aktive Stadtteilentwicklung“. Noch mal 1,3 Millionen Euro will die Stadt bis Ende 2008 ins Quartier stecken, acht Jahre soll das Programm laufen. Wofür das Geld ausgegeben wird, steht noch nicht fest. Ein Quartiersmanager soll sich das überlegen.

Uli Jonas

Unter Neu-Steilshoop versteht man den Teil Steilshoops nördlich der Steilshooper Allee. Hier wohnen drei Viertel der gut 19.000 Bewohner des Stadtteils, der zum Bezirk Wandsbek gehört. Infos unter www.wir-steilshooper.de

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