Zuwanderungsdebatte : „Populistischer Kram“

Von wegen Sozialtouristen aus Osteuropa! Klaus Rainer Kirchhoff, Honorarkonsul von Rumänien, ist verärgert über die Zuwanderungsdebatte. Und viele Osteuropäer fühlen sich verunglimpft.

(aus Hinz&Kunzt 252/Februar 2014)

1_HK252_IN
Pater Calinic, Pfarrer der rumänisch-orthodoxen Gemeinde in Hamburg, seit 17 Jahren in Hamburg: „Der Vorteil ist: Durch die Debatte werden wir bemerkt. Das bietet uns die Möglichkeit, den Menschen zu zeigen, dass wir keine Bösewichte sind.“

Meistens wirkt Klaus Rainer Kirchhoff gelassen und souverän. Wenn es allerdings um Europa, die Krise und die „Armutswanderung“ der Rumänen und Bulgaren geht, kann der 58-Jährige scharf werden. „Dass 0,3 Prozent der Hartz-IV-Empfänger in Hamburg aus diesen beiden Ländern kommen, davon brechen unsere Sozialsysteme nicht zusammen. Das ist einfach lächerlicher, populistischer Kram, den Horst Seehofer da in Gang gesetzt hat“, sagt der Honorarkonsul für Rumänien. Mit dieser Meinung steht er nicht allein da: Gewerkschaften und die Wirtschaft sind ähnlicher Ansicht. „Ich sehe viel mehr mit Sorge, dass hoch qualifizierte Leute aus Rumänien weggehen, wo sie dringend gebraucht werden. Bei uns sind sie nur eine Bereicherung.“

Natürlich gebe es auch Menschen, „die denken, Hamburg ist nicht nur das Tor zur Welt, sondern auch das Paradies. Die dann ihr letztes Geld zusammenkratzen und hierherkommen“, sagt Kirchhoff. Aber das seien vergleichsweise wenige. Ansonsten: Die Hälfte der rumänischen Zuwanderer, die im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sind, habe einen Hochschulabschluss, 25 Prozent hätten eine qualifizierte Ausbildung und nur 25 Prozent keine Qualifikation.

1_HK252_IN
George Opran, 34, mit seiner Frau Luminita und Sohn Arsenie: „Ich arbeite als Ingenieur für einen Airbuszulieferer. Ausländerfeindlichkeit spielt bei uns keine Rolle, viele Kollegen kommen selbst aus Rumänien, Italien oder Frankreich.“

„Was nicht heißt, dass sie auf der Straße sitzen. Sie arbeiten meist in der Ernte, auf dem Bau, als Putzleute oder in der Fleischindustrie.“ Aber statt die Menschen mit offenen Armen aufzunehmen, würden sie verunglimpft. „Sie kommen hierher, weil sie arbeiten wollen, um ihre Familie zu ernähren. Sie kommen nicht hierher, um zum Sozialamt zu gehen“, sagt er.

Oft sei sogar das Gegenteil der Fall: „Die werden von irgendwelchen ausbeuterischen Arbeitgebern beschäftigt und in die Scheinselbstständigkeit getrieben. Ein Bauarbeiter, der den ganzen Monat arbeitet, kriegt oftmals nur 600 Euro, manche bekommen dann ­tatsächlich zusätzlich Hartz IV“, sagt Kirchhoff. „Und der Arbeitgeber spart die Sozialleistungen und den vernünftigen Lohn, den er zahlen müsste. Der eigentliche Sozialschmarotzer ist in meinen Augen nicht der Rumäne, der sich ausbeuten lässt, sondern der Unternehmer, der ihn ausbeutet und Dumpinglöhne bezahlt.“ Dass einzelne Gemeinden wie Duisburg und Dortmund „ein Riesenproblem“ haben, will er nicht wegdiskutieren. Aber auch da habe die Politik versagt. „Man hat zugesehen, wie sich Gettos gebildet haben. Das hätte man steuern können und müssen.“

Kirchhoff, der sich als überzeugten Europäer bezeichnet, kritisiert: „Die ganze Debatte zeigt eigentlich nur, dass wir in der Ausländerpolitik in den letzten 30 Jahren versagt haben. Es gibt keine Integration. Wenn das behauptet wird, dann ist das aus meiner Sicht Schön­färberei.“ Als Chef einer internationalen Kommunikationsagentur, auch in der Türkei tätig, hat er viel Kontakt zu Deutschen mit türkischem Hintergrund.

„Immer häufiger erlebe ich es, dass hoch qualifizierte Türken, die hier aufgewachsen sind, hier studiert haben, in die Türkei gehen. Die gehen lieber in ein für sie fremdes Land, wo sie sich nicht heimisch fühlen, als dass sie hierbleiben. Warum? Weil sie sich nicht willkommen fühlen.“ Seine Befürchtung: „Da, wo wir versagt haben, versagen wir wieder.“ Der Unternehmer hofft, dass das Leben für die Arbeitsmigranten in Deutschland jetzt leichter wird. Denn seit Januar genießen die Rumänen und Bulgaren volle Freizügigkeit.

„Mittelfristig werden wir von der Neuregelung alle profitieren. Die Rumänen und Bulgaren müssen sich nicht mehr in die Scheinselbstständigkeit drängen und ausbeuten lassen, und dadurch werden auch die Sozialkassen profitieren, weil sie dann mit dem, was sie verdienen, klarkommen werden“, sagt er. Das kann man nur hoffen. Denn nach wie vor wird es strafrechtlich zu wenig verfolgt, wenn Subunternehmer ihre Mitarbeiter ausbeuten, kritisieren auch die Gewerkschaften und einschlägige Beratungs­stellen. Eine Schwierigkeit: Die Firmen lösen sich schnell wieder auf, melden Insolvenz an und sind nicht dingfest zu machen. Und eine Generalunternehmerhaftung gibt es nicht. Das bedeutet: Die deutschen Auftraggeber, respektierte Unternehmen, werden juristisch nicht zur Verantwortung gezogen, wenn ihre Subunternehmer ihre Mitarbeiter ausbeuten, selbst wenn das auf dem Gelände des Generalunternehmers passiert.

Und es gibt noch mehr Möglichkeiten, Menschen auszubeuten. So werden beispielsweise einige Rumänen von deutschen Firmen in Rumänien eingestellt, werden aber auch in Deutschland zur Arbeit eingesetzt – erhalten aber nur ein rumänisches Gehalt. Das gilt sogar für hoch qualifizierte Arbeitnehmer. Kennt Kirchhoff solche Fälle? „Das habe ich auch erlebt: Ingenieure, die eigentlich ein Gehalt von 3000 Euro und mehr verdienen müssten und die dann für 1300 arbeiten müssen“, so Kirchhoff. Sogar ein neues Schlupfloch tut sich für „Sozialschmarotzer“ auf. „Beim Mindestlohn sollen Praktikanten ausgenommen werden. Wenn wir Pech haben, arbeiten demnächst überall auf den Baustellen nur noch rumänische und bulgarische Praktikanten, die dann wieder mit ausbeuterischen Löhnen abgespeist werden.“

Aber Jammern liegt ihm nicht. Er würde gerne deutsche Firmen gewinnen, die in Rumänien eine Bildungsakademie gründen und dort junge Menschen ausbilden. Genug Arbeitsfelder sind vorhanden: Pflege, Autozulieferer und die Textilwirtschaft suchen dringend Nachwuchs. „Dann hätten die jungen Menschen auch die Chance, in Deutschland zu arbeiten oder auch wieder zurückzugehen. Es kann ja nicht der Sinn sein, dass wir überall die Fach­kräfte absaugen und die Länder dann ausbluten“, sagt Klaus Rainer Kirchhoff. „Auf jeden Fall sollten wir darüber nachdenken, wie wir den Ländern in der Peripherie helfen, auch stark zu werden, damit das Thema Armutszuwanderung keines mehr ist.“

Diskussion darüber, was die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien für Hamburg bedeutet. Mit dabei: Die beiden Honorar­konsuln, Prof. Dr. Karsten Nowrot (Uni
Hamburg), Michael Klahn (Sozialbehörde) und Rüdiger Winter (Arbeit und Leben),
3.2., 18 Uhr, Patriotische Gesellschaft,
Trost­brücke 6, Eintritt frei.

Text: Birgit Müller
Fotos: Mauricio Bustamante