Nr. 9: Kleinere Unterkünfte

Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen

(aus Hinz&Kunzt 130/Dezember 2003)

Darum geht es:

Weit mehr als 10.000 Menschen in Hamburg leben in Massenunterkünften – manchmal mehrere hundert auf engem Raum. Neben 2800 Wohnungslosen (allein Stehende und Familien) sind auch viele Zuwanderer betroffen. Für die meisten bedeutet das ein oft jahrelanges perspektivloses Leben im Ghetto. Deshalb fordert H&K, Wohnungslose und Flüchtlinge in Wohnungen oder kleinen Unterkünften unterzubringen, in denen maximal 20 Menschen leben. Das erhöht ihre Chance auf Integration, vermindert Konflikte – und spart langfristig Geld.

Der Hintergrund:

Wer seine Wohnung verliert oder nie eine eigene gehabt hat, wird „öffentlich untergebracht“. Für die Stadt erledigt das in der Regel „pflegen & wohnen“ (p&w, 14.700 Plätze), daneben haben die Bezirke eigene Unterkünfte angemietet. Oft leben dort mehrere hundert Menschen, in Hamburgs größter Unterkunft, dem Billstieg, sind mehr als 900 Flüchtlinge untergebracht.

Für die Vermieter der meist schlicht gebauten Häuser, die oft in Industriegebieten liegen, bedeutet das ein einträgliches Geschäft: Die Unterbringung eines allein stehenden Wohnungslosen kostet laut Sozialbehörde durchschnittlich 222 Euro pro Monat, die eines Zuwanderers im Schnitt 176 Euro. Die Bezirke überwiesen im Jahr 2001 im Mittel sogar 310 Euro monatlich pro Zuwanderer, so der Senat in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage (neuere Zahlen liegen nicht vor, Red.). Da sich in den kleinen Zimmern und Wohnungen oft mehrere Menschen drängen, kommen bemerkenswert hohe Summen zusammen. Wohlgemerkt: Sozialarbeit ist in diesen Preisen nicht inklusive.

Das Problem ist: Der Stadt fehlen Alternativen. Will sie oder ein freier Träger in einer „normalen“ Wohngegend Sozialwohnungen für Flüchtlinge oder eine Unterkunft für Wohnungslose errichten, bildet sich meist postwendend eine Bürgerinitiative dagegen. Frei nach dem Motto: Sozialstaat ja, aber nicht vor meiner Haustür! Auch Wohnungseigentümer vermieten eher ungern an sozial Schwache. Selbst die städtischen Wohnungsgesellschaften SAGA und GWG, klagen Sozialarbeiter, würden Wohnungslosen und Flüchtlingen immer seltener die Chance auf eigene vier Wände eröffnen. Die Folge: Wenige Betroffene schaffen den Sprung aus der Massenunterkunft. Je länger sie dort jedoch bleiben, desto schwerer finden sie zurück in ein normales Leben.

Zwar wollen die Hamburger Wohnungsunternehmen zusätzlich 600 Mietwohnungen bereitstellen. Doch auch das Kontingent von dann 1570 Wohnungen reicht offenkundig nicht. Mehr als 2500 Hamburger verlieren jedes Jahr ihre Wohnung. Und 8000 Sozialwohnungen fallen jährlich aus der Mietpreisbindung heraus – aber nur 2000 neue werden gebaut.

Selbst wenn es ausreichend Wohnungen gäbe: Nicht für jeden macht der sofortige Sprung in eigene vier Wände Sinn. Wie gut kleine, dezentrale Unterkünfte im Vergleich zu Massenquartieren sind, zeigt die Arbeit der Neuen Wohnung. Nicht mehr als 20 ehemals Obdachlose leben in den Containerdörfern und Häusern des gemeinnützigen Projekts und werden dort von je einem Sozialarbeiter betreut (der Betreuungsschlüssel in einer p&w-Unterkunft liegt bei 1:100).

Das kostet zwar erst mal mehr – 600 Euro pro Bewohner und Monat –, doch rechnet sich die Investition: Jeder zweite zieht früher oder später in die eigene Wohnung, so die Neue Wohnung, im Schnitt bleiben die Bewohner nicht mal ein Jahr. Zum Vergleich: Aus den p&w-Unterkünften schaffen nach Angaben des Betreibers pro Jahr 400 der 2300 untergebrachten Menschen (allein Stehende und Familien) den Sprung in privaten Wohnraum. Einer internen Untersuchung von p&w-Sozialarbeitern zufolge leben 72 Prozent der allein stehenden Wohnungslosen länger als ein Jahr in einer Unterkunft.

Wie machen es andere:

Was 2004 endlich auch in Hamburg Wirklichkeit werden soll – die Einrichtung bezirklicher Fachstellen, deren oberstes Ziel die Vermeidung von Wohnungslosigkeit ist –, praktizieren andere Städte schon lange. So gelang es beispielsweise Duisburg, durch Prävention die Zahl der Zwangsräumungen quasi auf Null zu drücken. Folge: In den städtischen Notunterkünften leben statt ehemals 2500 nur noch knapp 100 Menschen. Vorteil der Duisburger: Wohnraum fehlt dort nicht.

In Berlin dürfen Asylbewerber seit kurzem in den eigenen vier Wänden statt in Massenunterkünften leben. Das ermögliche den Betroffenen nicht nur mehr Eigenständigkeit, sondern sei auch „finanziell günstiger“, so Sozialsenatorin Heide Knake-Werner (PDS). Bisher zahlte die Hauptstadt rund 300 Euro monatlich für die Unterbringung eines Asylbewerbers in einer Unterkunft. Mit der Reform werde der Haushalt deutlich entlastet, so eine Sprecherin. In der Regel müssen die Sozialämter die Kosten der Unterbringung tragen, da Asylbewerber in Deutschland nicht arbeiten dürfen. Vorteil für Berlin: Auch dort ist der Wohnungsmarkt deutlich entspannt.

So müsste es laufen:

– Sozialbehörde und Bezirke müssten die Verträge mit Vermietern überteuerter Massenunterkünfte kündigen und mit dem Geld kleine, dezentrale Unterkünfte für Wohnungslose und Flüchtlinge anmieten beziehungsweise errichten lassen

– Die städtischen Wohnungsunternehmen SAGA und GWG müssten verpflichtet werden, vermehrt an sozial Schwache zu vermieten

Ulrich Jonas

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