„Ich habe niemanden, zu dem ich gehen kann“

David, 21 Jahre alt, liebt seinen Verkaufsplatz vor dem Alex am feinen Jungfernstieg.

(aus Hinz&Kunzt 226/Dezember 2011)

Davids größter Wunsch ist eine eigene Familie. Er selbst ist im Heim aufgewachsen, sein Vater lehnte jeden Kontakt zu ihm ab.

Aufmerksamkeit und Liebe? David kann sich nicht erinnern, dass ihm eines von beidem je entgegengebracht worden wäre. Und trotzdem ist er Optimist. Seine Mutter starb, als er ein Jahr alt war. Vollkommen überfordert flüchtete sich der Vater in den Alkohol. Er kapselte sich ab, von seinen Erinnerungen und von seinen Kindern. Die Nachbarn alarmierten das Jugendamt. Danach ging alles ganz schnell: Seine Schwester kam zu einer Pflegefamilie, David in ein Heim in Olpe.

Ständig wechselnde Betreuer konnten David die Familie nicht ersetzen. Das wurde ihm im Kindergarten bewusst. Seine Freunde wurden von ihren Müttern herzlich in die Arme geschlossen, David wartete auf den Fahrer eines Gemeinschaftsbusses. Er hatte Sehnsucht nach Familie. Deshalb suchte David mit neun Jahren – mithilfe des Jugendamtes – den Kontakt zu seinem Vater. Er schrieb ihm Briefe, bekam aber nie eine Antwort. Dann suchte David den direkten Weg und rief ihn an. Aber der Vater wollte keinen Kontakt. David weiß nicht warum. Er hoffte vergebens – auf einen Anruf, wenigstens eine Geburtstagskarte.

Mit zehn Jahren kam David in eine WG der Evangelischen Jugendhilfe in Iserlohn. Er redet gut über diese Zeit. Doch nach Abschluss seiner Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik wurde er arbeitslos. Die WG musste er verlassen. Das Jugendamt zahlte nicht mehr. Was ihm blieb, waren ein Koffer und ein Zettel mit der Adresse einer Notunterkunft. Dort konnte David schlafen, den Tag verbrachte er auf der Straße. Seine Geldsorgen löste er mit Betrügereien.

David wollte einen Neustart. Aber: „Ich habe niemanden, zu dem ich gehen kann“, sagt der 21-Jährige. So verschlug es ihn nach Hamburg, wo er eine Notunterkunft mit Tagesaufenthalt fand, das „Pik As“. Von dort war der Weg nicht weit zu Hinz&Kunzt: „Hier konnte ich ehrliches Geld verdienen, anstatt Scheiße zu bauen.“ Doch seine Vergangenheit holte ihn schnell ein: Wegen seiner Betrügereien lag eine Anzeige gegen ihn vor. David hatte mit gefälschten Ausweispapieren Telefonverträge abgeschlossen, um dann die Telefone meistbietend zu verkaufen. Der Richter gab ihm eineinhalb Jahre Einzelzelle zum Nachdenken.

Heute lebt David wieder in Hamburg, in einem 16-Mann-Zimmer einer Notunterkunft, und verkauft Hinz&Kunzt auf Hamburgs Flaniermeile. Er trägt ein akkurat gebügeltes, blütenweises Hemd: „So kann mich keiner angucken wie den letzten Dreck.“ David schützt sich vor abschätzigen Blicken, er hat genug Zurückweisungen erlebt. Zuletzt von seiner Schwester: Als David im Knast saß, hat sie den Kontakt zu ihm abgebrochen.

H&K: Was wünscht Du Dir von Deiner Zukunft?
David: Eine eigene Familie in einem Einfamilienhaus, nichts Protziges, nur eben genügend Platz für eine Familie. Und einen Job in meinem Ausbildungsberuf.

H&K: Wie würdest Du Dich beschreiben?
David: Aufgeschlossen und hilfsbereit. Ich teile immer.

Text: Christian Hagen
Foto: Mauricio Bustamante