Mit Herz, Hirn und Humor

Hinz & Kunzt zu Gast bei der Kabarettistin Lisa Politt

(aus Hinz&Kunzt 130/Dezember 2003)

Zur Begrüßung bellt der Hund, die Katzen schnurren, die Küche ist mit hellen Holzschränken, Trockensträußen und einer blubbernden Kaffeemaschine warm und gemütlich. Man redet über dies und jenes – und dann, irgendwann, sagt Lisa Politt diesen Satz: „Bevor ich Comedy mache, eröffne ich ein Heim für schwer erziehbare Kinder!“ Diesen Satz sagt Lisa Politt ziemlich am Ende des Gesprächs, und da glaubt man ihr schon lange aufs Wort. Nicht nur, weil sie als diplomierte Psychologin tatsächlich die nötigen Qualifikationen für diesen Berufswechsel mitbrächte, sondern vor allem, weil die 46-jährige Kabarettistin tatsächlich nicht zu denen gehört, denen egal ist, worüber gelacht wird, solange es nur laut ist.

Sie will Gesellschaftsstrukturen verstehen und verändern und komme eher vom Agit-Prop als aus der Schauspielerei, definiert sie selbst ihre Berufung. „Ganz anders als Gunter, der ist so ein richtiger Schauspieler, der sich vor einem Auftritt lange Gedanken macht über Maske, Kostüm und darüber, wie er die Rolle anlegen soll.“

Gunter Schmidt ist ihr Kompagnon in ihrer kürzlich eröffneten Kabarettbühne „Polittbüro“ im ehemaligen Neuen Cinema und die andere Hälfte ihres gemeinsamen Kabarett-Duos „Herrchens Frauchen“, das im nächsten Jahr 20-jähriges Bühnenjubiläum feiert. Und noch länger ist er mindestens die Hälfte in Lisa Politts Leben. Der Mann, der ihren verlegten Führerschein findet und die Zeitungsausschnitte und Briefumschläge, auf denen sie sich wichtige Notizen für ihr neues Programm gemacht hat. Derjenige, den sie zwar kurz und heftig bepöbelt, weil die Kaffeemaschine nicht funktioniert, von dem sie aber, kaum hat er die Küche verlassen, vollkommen ohne Ironie sagt, dass er sie in schweren Zeiten gerettet habe. Damals, als ihre Tochter ein Jahr alt war und sie sich vom Vater des Kindes getrennt hatte. Und auch später, als sie nach dem Selbstmord ihres Bruders wochenlang einfach nicht mehr sprechen konnte.

„Dafür habe ich auch mit diversen Blumensträußen um ihn gekämpft“, sagt sie und vertreibt mit ihrem Lachen die schweren Erinnerungen. „Damals leitete Gunter den Hamburger Tuntenchor, und ich musste einige männliche Konkurrenten aus dem Feld schlagen.“ Inzwischen bewohnen die beiden ein Hinterhof-Häuschen in Altona, das sie mit einem sehr großen, sehr schwarzen Hund teilen und mit ein paar puscheligen Katzen. Im schmalen Garten pflanzt Frau Politt gerne mal ein paar Kartoffeln an, weil Gartenarbeit sie fast so sehr entspannt wie putzen oder kochen, sagt sie und verrät dem Fotografen auch gleich noch ein Rezept für Möhrensuppe. Nein, ihre Tochter wohne nicht mehr hier, „die ist schließlich schon 23 und kommt alleine klar.“ So flapsig sie das sagt, so glücklich strahlt sie, wenn sie von ihrer Tochter erzählt, die nicht nur in einer Band singt, sondern auch studiert und „alles total straight durchzieht“.

Dass Lisa Politt damals überhaupt im Tuntenchor landete, hatte mit Ernie Reinhard zu tun, den sie noch aus der Schulzeit kannte. Als einziger bot er ihr eine Band an, in der sie singen konnte. „Die Hamburger Musikszene war damals derart arrogant, dass ich keine andere Möglichkeit hatte“, sagt Lisa Politt.

Rocksängerin hatte sie schon werden wollen, als sie noch ein aufsässiger Teenager war, im niedersächsischen Bomlitz. „Zwischen Vogelpark und Löns-Denkmal“, wie die Kabarettistin ihre Heimat charakterisiert, mit deren Enge sie sich bis heute nicht ganz versöhnt hat. Der Mutter zuliebe, mit der sie es auch nicht einfach hatte, schrieb sie sich dann doch in Hamburg an der Uni ein. Zuerst nur, damit die Mutter den Anspruch auf Kindergeld nicht verliert, aber die Psychologie hatte sie dann wirklich gepackt. Eine Zeit lang wollte sie sogar Psychoanalytikerin werden, „aber die Distanz zu dem anderen Menschen, die dafür ja zu Recht gefordert wird, die hätte ich einfach nicht aushalten können.“

Also verlegte sie ihre Analysen auf die Bühne, wo bei aller intellektueller Schärfe auch Raum ist für Lisa Politts Leidenschaft, die sich, einmal entfesselt, so leicht nicht mehr aufhalten lässt. Vor allem, wenn es gilt, gegen Ungerechtigkeit und für die Schwachen zu kämpfen. Diese Mischung aus Gefühl und Härte charakterisiert all ihre Programme von „Fühlt euch wie zuhause“ bis „Rache“, sie hat ihr den ein oder anderen Ärger nicht nur mit der Presse eingehandelt und ist jetzt endlich mit dem Deutschen Kabarettpreis gewürdigt worden.

„Verdient“ findet sie selbst diese Auszeichnung, und sie freut sich auch deswegen ganz besonders, weil der Preis, seitdem er 1984 erfunden wurde, jetzt zum ersten Mal an eine Frau geht. Dabei, bemerkt sie trocken, gebe es ja nun schon seit einiger Zeit ganz hervorragende Kabarettistinnen, doch möglicherweise bräuchten Männer eben etwas länger, um das zu bemerken. Immerhin haben die Presse-Meldungen über den Kabarettpreis dazu geführt, dass ein Polizist auf St. Pauli sie erkannt hat. Der pfiff seinen Kollegen zurück, der ihr einen Platzverweis erteilen wollte, weil er sie zur autonomen Szene rechnete, „dabei wollte ich nach einem Auftritt doch nur Pommes essen!“ Sehr fröhlich, fast schon albern erzählt Politt diese Geschichte. Hat einen genauen Blick noch für das absurdeste Detail, beschreibt die Situation mit wenigen Worten so, dass man sich fühlt, als sei man auf dem Kiez dabeigewesen.

Doch bei aller Liebe zu den kleinen Absurditäten des Alltags – auf der Bühne würde sie die Geschichte nie erzählen, ohne wenigstens einen kleinen Hinweis auf die politische Bedeutung von Platzverweisen einzubauen. Sonst könnte sie ja gleich Comedy machen. Deshalb sagt sie auch, blitzartig wieder ernst, dass sie nicht abhängig sei von Preisen und Auszeichnungen, denn „künstlerischer Maßstab können für mich doch nur Leute sein, die meine linke politische Grundhaltung teilen und mich vor diesem Hintergrund kritisieren.“ Dafür gebe es ein Netzwerk guter Freunde, und ansonsten sage ein Verriss oft mehr über den Kritiker als über die Verrissene. Was nicht bedeutet, dass sie eine schlechte Kritik nicht immer noch als persönliche Verletzung empfände.

Diese Empfindsamkeit hat sie sich trotz 20 Jahren Bühnenerfahrung bewahrt, wie auch die Überzeugung, dass Frauen solchen Angriffen unter der Gürtellinie häufiger ausgesetzt sind als Männer. Überhaupt habe sich an ihrer Haltung wenig verändert in den letzten zwei Jahrzehnten, „an den Verhältnissen ja schließlich auch nicht“.

Aber natürlich habe sie heute viel mehr Erfahrung und ein ganz anderes Verhältnis zum Publikum. „Früher hatte ich richtig Angst vor denen und habe versucht, möglichst jeden Kontakt zu vermeiden.“ Inzwischen mache es ihr Spaß, mit ihnen von der Bühne aus in eine Art Gespräch zu kommen. „Wenn es mir gelingt, gerade diejenigen, die nicht von Anfang an meiner Meinung sind, mit einer Geschichte abzuholen, die sie aus eigener Erfahrung kennen und sie damit an andere Themen und Einsichten heranzuführen, ist das ein Erfolg“, beschreibt sie ihre heutige Arbeitsweise. Freundlicher sei sie mit den Jahren geworden, meint sie. Tatsächlich könnte sie mit dieser Methode wohl auch schwer erziehbaren Kindern gut tun. Doch bevor es soweit kommt, hat Lisa Politt noch einiges vor: „Erstens: Das Theater am Steindamm mit guten Programmen gut füllen. Zweitens: Der Welt zeigen, dass nicht nur Männer das Recht haben, mit Falten im Gesicht noch auf der Bühne zu stehen.“ Und drittens: Die Welt verändern, mit Herz und Hirn. Alles weitere findet sich.

Sigrun Matthiesen

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