Mit Feuer und Musik

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Rund 500 Hamburger kamen zur Nacht der Wohnungsnot am Michel. 120 blieben bis zum nächsten Morgen.

Mit Pfiffen und Applaus wurden die Redebeiträge begleitet, mit Fußwippen und Hüftschwung die musikalischen Acts, mit Oh-Rufen und Gejohle die Feuerkünstlerin. Die Nacht der Wohnungsnot an der St. Michaeliskirche, zu der Hamburger Einrichtungen der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe eingeladen haben, war ein voller Erfolg.

500 Hamburger – Wohnungslose, Mitarbeiter von Hilfeeinrichtungen und privat Engagierte – zeigten mit ihrer Teilnahme: Die schlimme Wohnungssituation hier nehmen wir nicht einfach so hin. Stark spürbar war die Unterstützung – im Mitgefühl und ganz handfest – für wohnungslose Hamburger zu spüren.

Besonders berührend: Der Beitrag von Schauspieler Rolf Becker, der sich seit Jahren sozial engagiert und aus der Bibel zitierte: „Jesus sagte: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“

Nach Angaben der Stadt leben in Hamburg rund 1000 Menschen auf der Straße, weitere 3000 haben Schätzungen zufolge keine eigene Wohnung. Dazu kommen etliche arme Menschen, die als Wohnungsnotfälle gelten können, weil sie in heruntergekommenen Zimmerchen – oft schimmelig und unzureichend sanitär ausgestattet, teils ohne Heizung – hausen müssen (Hinz&Kunzt berichtete zu Beispiel im Oktober 2009, im April 2010, im Juni 2010 und im September 2010)

Gleichzeitig stehen in Hamburg hunderte als Wohnungen brauchbare Häuser (siehe Hinz&Kunzt 208/Juni 2010),  und mehr als eine Million (!) Quadratmeter Büroräume leer. Die katastrophalen Zustände auf dem Hamburger Wohnungsmarkt sind seit Jahren bekannt. Getan hat der Senat kaum etwas, um sie zu beheben. Das regt auf! Besonders die Teilnehmer der Nacht der Wohnungsnot. Obwohl man da noch zulegen könne, findet Hinz&Künztler Torsten. „Hier am Michel haben wir ja niemanden gestört. Da wird die Wut nicht deutlich genug“, sagt er.

In diesem Jahr, das merken Obdachlosenhelfer wie Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer, hat sich nun auch die Situation in den Notunterkünften verschärft. Die Notschlafstellen sind seit Ende des Winternotprogramms voll belegt und viel zu oft überbelegt. 25 Personen wohnen aktuell immer noch in der Sportallee, Unterkunft im Rahmen des Winternotprogramms, das bereits im April endete. Niemand weiß, wo diese 25 Personen sonst hin sollten. Der Grund, den auch die Sozialbehörde einräumt: Die Wohnunterkünfte, die nicht für akute Notfälle, sondern für kurz- oder mittelfristige Unterbringung gedacht sind, sind genau so übervoll, weil es für ihre Bewohner keine kleinen, günstigen Wohnungen gibt.

Die Nacht der Wohnungsnot war nicht nur politische Protestaktion, sondern auch ein Zusammenkommen von Betroffenen, Helfern und interessierten Hamburgern. Studentin Sheida hat in ihrem Wohnheim die Werbetrommel für die Aktion gerührt. „Da muss man sich doch solidarisch zeigen“, findet sie. Die Teilnehmer verbrachten den Abend bei Gratis-Erbsensuppe und –Crêpes, Musik von den Bands Spandau (http://www.myspace.com/spandaumusic) und The Johnnys, der Show der Feuerkünstlerin und Gesprächen an den Feuertonnen nahe.

120 blieben dann auch die ganze Nacht – den größten Teil davon wach. Erst gegen drei Uhr rollten sie ihre Schlafsäcke rund um den Michel direkt auf dem Vorplatz oder im großen Gemeinschaftszelt aus.

Nicht sehr erholsam für die, die ein weiches Kopfkissen, Vorhänge und vor allem eine geschlossene Wohnungstür gewohnt sind. „Ich hatte mich ein wenig vor der Kälte gefürchtet“, sagt Teilnehmerin Karen Schueler-Albrecht. „Am schwierigsten war dann aber, dass es so laut war.“ Dutzende Menschen rundherum, manche mit munteren Hunden und ab fünf Uhr früh der Straßenverkehr auf der mehrspurigen Ludwig-Ehrhard-Straße – viel Schlaf haben die Teilnehmer des Sleep Out nicht bekommen, dafür umso mehr zu spüren, was tägliche Realität für mindestens 1000 Menschen in Hamburg ist.

Hinz&Künztlerin Bianca ist zur Veranstaltung am Abend gekommen – zum Schlafen aber nicht geblieben. Die Obdachlose und ihr Partner haben wie jede Nacht „weiter außerhalb, Richtung Pinneberg“ übernachtet. „Da haben wir unsere Ruhe.“ Bianca hat resigniert: Sie hat kein Dach über dem Kopf, sondern nur einen Schlafsack, in den sie sich verkriechen kann. Dass sich das so bald ändert, glaubt sie nicht: „Eine Wohnung bekomme ich hier nie!“

600 Hamburger sind der Einladung zur Nacht der Wohnungsnot am Michel gefolgt.
600 Hamburger sind der Einladung zum Michel gefolgt.
In der lauen Septembernacht herrschte beinahe so etwas wie romantische Stimmung, über die aber der ernste Hintergund nicht vergessen wurde.
Beinahe so etwas wie romantische Stimmung
Wohlfühlatmosphäre rund um den Michel
Wohlfühlatmosphäre rund um den Michel
Infos rund um die schlimme Situation am Hamburger Wohnungsmarkt
Infos rund um die Situation am Wohnungsmarkt
Schauspieler Rolf Becker sprach – selbst sichtlich bewegt – zum Auftakt
Schauspieler Rolf Becker sprach zum Auftakt
Großer Andrang bei der Ausgabe heißer Erbsensuppe
Großer Andrang bei der Ausgabe heißer Erbsensuppe
Etwas heißes im Bauch zu haben: Für viele Obdachlose längst nicht alltäglich!
Etwas heißes im Bauch: für Obdachlose nicht alltäglich!
Seemannslieder mal anders, präsentiert von der Punk-Rock Band The Johnnys
Seemannslieder mal anders: Die Punk-Rocker The Johnnys
Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer erzählte, wie schwierig es für Helfer ist, Obdachlose bei der Wohnungssuche zu unterstützen
Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer
Studentin Sheida ist eine von 120, die die ganze Nacht geblieben sind
Studentin Sheida blieb die ganze Nacht
Feuertonnen auf dem Michelplatz: Orte für Gespräche und zum Aufwärmen
Feuertonnen: Orte für Gespräche und zum Aufwärmen
Obdachlose und Unterstützer trafen sich, um im Schlafsack gegen Wohnungsnot zu protestieren
Protest: im Schlafsack gegen Wohnungsnot
Heimlicher Höhepunkt: Feuerkünstlerin zur späten Stunde
Heimlicher Höhepunkt: Feuerkünstlerin
So heiß kann politischer Protest sein!
So heiß kann politischer Protest sein!
Schlaf finden an der Schnellstraße...
Schlaf finden an der Schnellstraße...
Die Nacht war kurz. Dass sich das gelohnt hat, da sind sich alle einig
Die Nacht war kurz.
Kaffee und belegte Brötchen: Wachmacher auf dem Michel-Vorplatz
Kaffee und belegte Brötchen zum Frühstück
Nicht die Kälte, sondern die Geräusche der Nacht haben ihr den Schlaf erschwert: Karen Schueler-Albrecht (rechts)
Hatte eine lange Nacht: Karen Schueler-Albrecht (rechts)
Verlassenes Lager vor der Pforte des Hamburger Wahrzeichens Michel
Lager vor der Pforte des Michel
Isomatte und Schlafsack unter den Arm geklemmt und ab nach Hause. Auf 1000 Obdachlose wartet die nächste Nacht im Freien
Auf 1000 Obdachlose wartet die nächste Nacht im Freien

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