Ende des Winternotprogramms : Im Sitzen schlafen oder Straße

Hunderte Obdachlose landen auf der Straße, wenn das Winternotprogramm endet. Für Frauen ist es besonders schwierig, im Anschluss eine Unterkunft zu finden. Wir haben Hinz&Künztlerin Melinda bei der Suche nach einem neuen Dach über dem Kopf begleitet.

Voller Angst, auf der Straße zu landen: Melinda auf dem Weg zur Vermittlungsstelle für Wohnungslosenunterkünfte

Melinda hat Angst. Ihr steifer Körper, ihre langen Schritte, ihr unsteter Blick verraten, unter welcher Spannung die 29-Jährige steht. Es ist Freitag Vormittag und Melinda hat nur noch ein paar Stunden Zeit, um einen Ort zu finden, wo sie künftig schlafen kann. Noch kommt sie Nacht für Nacht im Winternotprogramm der Stadt unter: In der Spaldingstraße teilt sie sich mit zwei anderen Frauen ein Zimmer. Seit dem 24. Dezember 2011 ist sie dort, nachdem sie von einem Tag auf den anderen aus der Wohnung musste, die die ihr Ex-Freund den Mietvertrag gekündigt hatte, ohne Melinda davon zu erzählen. Doch die Nacht auf Montag wird die letzte sein, die Melinda in der Spaldingstraße verbringen kann: Das Winternotprogramm endet wie jedes Jahr Mitte April.

Ohnehin, in der Spaldingstraße ist es schwer auszuhalten, erzählt Melinda. So viele Leute – mehr als 200 – schlafen dort. Die meisten von ihnen sind Männer und viele von ihnen trinken viel Alkohol. „Zur Ruhe kommt man da nicht“, sagt Melinda. Im Gegenteil: Nicht selten werden die Mitbewohner zudringlich, erzählt sie. Auf jeden Fall: Zeit, dass sie da herauskommt. Aber nur nicht auf die Straße! „Ich hab da schon einige Geschichten gehört“, sagt Melinda. So allein, wenn ein Mann sie überfällt, oder sogar mehrere, wie soll sie sich da wehren?

Wir sind auf dem Weg zur Vermittlungsstelle des Unterkunftsbetreibers fördern und wohnen. Hier sollen Obdachlosen Einrichtungen zugewiesen werden, wo sie bleiben können. Dass ein solcher Platz für sie bewilligt ist und vom Amt bezahlt wird, darüber hat Melinda schon eine Bescheinigung der Fachstelle für Wohnungsnotfälle in der Tasche. Allerdings hatte man ihr dort gesagt, dass sie selber sehen muss, wo sie unterkommt. Ein Mitarbeiter der Spaldingstraße verwies sie an eine Unterkunft am Holstenkamp in Altona. Melinda fuhr hin, doch dort war kein Platz für sie. Jetzt ein neuer Versuch, der letzte mögliche, bevor am Wochenende alle Ämter zu haben.

Die Mitarbeiterin bei der Vermittlungsstelle gibt sich zerknirscht. „Da ist was schiefgelaufen mit dem Holstenkamp.“ Sie hat schlechte Nachrichten für Melinda: Auch anderswo ist nichts frei. „Ich habe nichts anderes. Mit Frauenplätzen ist es sehr schwierig“, sagt sie. Melinda gerät in Panik: „Ich muss in drei Tagen aus der Spaldingstraße raus.“ – „Ich weiß, ich weiß.“ Einzige Lösung: Der nächste freie Platz im Holstenkamp wird für Melinda reserviert. Bis dahin kann sie nur im Frauenzimmer unterkommen, der Frauen-Notschlafstelle, die jede Hilfesuchende ausnehmen muss. Nur: Das Frauenzimmer ist längst überfüllt, gesteht die Vermittlerin. „Es gibt nur noch Sitzplätze.“ – „Sitzplätze? Etwa zum Schlafen?.“ – „Ja.“

Besser als nichts: ein schmales Bett in einem kleinen Zimmer

Melindas Panik weicht Resignation: Man wird ihr wieder nicht helfen. Aber die Beraterin hat noch eine Idee. Vor zwei Tagen hat sie einen Schlafplatz an eine Frau vergeben. Aus dem Containerdorf an der Sengelmannstraße, wo sie sie hinschickte, kam aber noch keine Rückmeldung. Vielleicht ist der Platz noch frei? „Bitte warten Sie einen Moment. Ich muss schnell telefonieren.“

In Melinda keimt Hoffnung auf. „Sengelmannstraße, das wär’s.“ Da oben im Bezirk Nord hat sie früher mal gewohnt, da kennt sie sich aus. Es ist auch viel besser zu erreichen als der Holstenkamp.

Als die Mitarbeiterin zurückkommt, lächelt sie. Das sieht gut aus! Erwartungsvoll sieht Melinda sie an. Und tatsächlich: Es klappt. Wenn Melinda sofort zur Sengelmannstraße fährt, kann sie einen Platz bekommen. Eine dauerhafte Unterkunft im Doppelzimmer mit einer anderen Frau. Das ist ein Riesenglück, das ist ganz klar. Die nächste Frau, die sich um eine Unterkunft bemüht, wird dieses Glück wohl nicht haben. Die Vermittlungsstelle hat keine Plätze mehr, die sie noch vergeben könnte.

Auf dem Weg in die Sengelmannstraße
sprudelt Melinda über. „Ich bin so erleichtert. Endlich kann ich da raus“, sagt sie und meint die Spaldingstraße. Immer wieder sagt sie das. Nach einer S-Bahn- und einer Busfahrt sind wir da. Im Containerdorf in der Sengelmannstraße wird Melinda freundlich in Empfang genommen. Sie bekommt eine Decke, ein Kissen und Bezüge und man zeigt ihr ihr Zimmer. Haus 1, im Erdgeschoß. Da lebt schon eine junge Frau, die beiden kennen sich sogar schon.

Melinda strahlt: Ihr neues Zimmer in einem Containerdorf ist nichts Besonderes, aber allemal "besser als nichts".

Von ihrem Zimmer ist Melinda schon etwas enttäuscht: Es ist klein, gerade zwei schmale Betten, ein Tisch mit Sühlen und zwei wackelige Schränke passen hinein. Das Bad teilen sie sich zu sechst. Melinda konzentriert sich auf die positiven Seiten: „Das hier ist besser als nichts.“ Und: „Man kann kommen und gehen, wann man will.“ In der Spaldingstraße nämlich musste sie jeden Morgen um neun Uhr raus und durfte erst um 17 Uhr wieder hinein. „Endlich kann ich da raus“, sagt Melinda wieder. „Endlich kann ich mal ausschlafen und zur Ruhe kommen. Es geht aufwärts.“ Melinda hat heute Glück gehabt. Viele andere werden das nicht haben.

Text und Fotos: Beatrice Blank