Öffentlichen Unterkünfte : Über 600 Kinder wohnungslos

Sie sind die jüngsten Opfer der Wohnungsnot: Mindestens 607 Kinder, die meisten im schulpflichtigen Alter, sind in Hamburg wohnungslos. Die Stadt bringt sie und ihre Eltern in Hotels oder öffentlichen Einrichtungen unter. Dort sind die Umstände alles andere als kindgerecht.

 

Kinder dürfen sich nicht an ein Leben in Armut gewöhnen, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer.
Kinder dürfen sich nicht an ein Leben in Armut gewöhnen, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer.

Mindestens 607 Kinder leben in Hamburg mit ihren Eltern nicht in einer Wohnung. Diese erschreckende Zahl ergibt sich aus der Senatsantwort auf eine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Cansu Özdemir (Linke). 370 von ihnen sind demnach im schulpflichtigen Alter. Sie leben in insgesamt 280 Familien (142 Elternpaare mit Kind oder Kindern, 138 Alleinerziehende).

Die als wohnungslos – nicht zu verwechseln mit obdachlos, also auf der Straße lebend – bekannten Familien sind von der Stadt in Hotels, Pensionen oder in Wohnunterkünften des städtischen Träger fördern und wohnen untergebracht. In letzteren leben 255 Familien. Die Unterbringung in einem Hotel oder einer Pension bleibt die Ausnahme (25 Familien), wie der Senat in der Antwort auf eine frühere Anfrage Özdemirs bereits betonte.

Laut aktueller Senatsantwort sind die Unterkünfte für wohnungslose Familien entweder Doppelzimmer in Gemeinschaftsunterkünften oder abgeschlossene Wohnungen. Familien würden „wenn möglich“ in Wohnungen untergebracht, immer sei das „aufgrund geringer Kapazitäten“ aber nicht möglich.

Gemeinschaftsküche und -bad mit anderen Wohnungslosen

Wie viele Familien auf Zimmer in Gemeinschaftsunterkünfte angewiesen sind, steht in der Senatsantwort nicht. In welchen Verhältnissen Eltern mit ihren Kindern dort leben schon: Die Doppelzimmer haben demnach eine Größe von „mindestens 14 oder 15 Quadratmetern“. Sie sind mit einem Bett und einem Stuhl pro Person, sowie einem großen oder zwei kleineren Schränken, einem Tisch und einem Kühlschrank ausgestattet. Gekocht werden kann in der Gemeinschaftsküche der Unterkunft, wo es Herde oder Kochplatten gebe.

„Schon für Erwachsene ist es in diesen Unterkünften kaum auszuhalten“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. „Für Kinder ist es unmöglich. Die Zimmer sind zu klein, die Bewohner haben keinen Rückzugsort für Intimsphäre. Oft teilen sich mehrere Bewohner ein Etagenbad. Im direkten Umfeld leben viele Menschen mit sozialen Schwierigkeiten. Das kann kein echtes Zuhause sein. Kinder erleben dort extreme Armut hautnah.“

Besonders verheerend sei, wenn Kinder sich an solche Lebensumstände gewöhnen: „Es darf auf keinen Fall normal für Kinder werden, dort auszuharren“, sagt Karrenbauer. „Solche Erfahrungen sind prägend für das ganze weitere Leben. Kinder dürfen sich nicht an Armut gewöhnen.“ Er weiß: Auch wenn solche Einrichtungen eigentlich als vorübergehende Unterkünfte gedacht sind, bleiben viele Wohnungslose über Jahre dort. „Die Familien müssen schnellstmöglich in eigenen Wohnungen untergebracht werden, damit die Kinder sich auch kindgerecht entfalten können.“

Folge der Wohnungsnot in Hamburg

Auch die Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir ist von der Senatsantwort auf ihre Anfrage alarmiert: „Ich bin erschrocken, dass die Zahl der wohnungslosen Kinder in Hamburg so hoch ist“, sagt Cansu Özdemir. Dies passe aber zu den erschreckenden Zahlen zu Kinderarmut, die das Statistikamt Nord am Montag veröffentlichte. Demnach lebten 2011 hamburgweit 22,9 Prozent der Kinder unter sieben Jahren von Sozialleistungen. In manchen Stadtteilen galt dies sogar für jedes zweite Kind lebte fast jedes zweite Kind ganz oder teilweise von Sozialleistungen.

„Dass so viele Kinder sogar wohnungslos sind, ist ein besonders schlimmes Ergebnis der Wohnungsnot, die wir in der Stadt haben. Die Unterkünfte für Wohnungslose platzen aus allen Nähten. Da reicht es nicht, ein paar Wohnungen für Familien vorzuhalten. Gerade wenn Kinder betroffen sind, muss schnell gehandelt werden. Dafür muss der Senat eine Lösung finden.“ Özdemir verweist darauf, dass ihre Fraktion bereits vor mehreren Monaten gefordert habe, leerstehende Häuser in städtischem Besitz als Wohnraum zu nutzen.

Text: Beatrice Blank
Foto: Jörg Sabel/pixelio.de