Flüchtlingscamp auf St. Pauli : „Leute, es geht!“

Pastor Wilm von der St. Pauli Kirche zieht nach vier Wochen Flüchtlingscamp eine positive Bilanz: Nachbarn und Helfer haben es geschafft, Flüchtlingen aus Libyen ein Leben in Geborgenheit zu ermöglichen. Die Botschaft an den Rest der Stadt: Bitte nachmachen!

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Treffen unter Freunden: Pastor Wilm zusammen mit Flüchtlingen im provisorischen Flüchtlingscamp.

Es gibt etwas zu feiern: „Ein Toast auf einen Monat!“, sagt Pastor Sieghard Wilm. Er sitzt vor seiner Kirche auf St. Pauli unter einem Pavillion im Kreis mit libyschen Flüchtlingen und ehrenamtlichen Helfern. Ihre Plastikflaschen mit isotonischer Brause ploppen gegeneinander. „Ich möchte mich bei allen hier bedanken“, sagt Wilm auf Englisch. Er sieht jetzt gerade nicht aus wie ein Pastor: Wilm trägt weiße Turnschuhe zur blauen Stoffhose. Es ist ein Treffen unter Freunden: „Wir haben gelernt, uns gegenseitig zu respektieren und zu mögen.“

Hier auf St. Pauli haben sie es geschafft: Seit vier Wochen leben jetzt 80 afrikanische Flüchtlinge in der Kirche am Pinnasberg. Pastor Wilm wollte nicht mehr tatenlos zusehen, wie bis zu 300 von ihnen auf der Straße schliefen, nachdem die Verhandlungen mit der Sozialbehörde über eine Unterkunft gescheitert waren. Von seiner anfänglichen Unsicherheit, ob die Gemeinde mit dieser Aufgabe fertig werden wird, ist heute keine Spur mehr. „Ich bin von meinem Team sehr begeistert“, sagt Wilm zufrieden.

Die Flüchtlinge fühlen sich zu Hause

Ohne dieses Team wäre der Pastor aufgeschmissen. Neben zahlreichen Nachbarn und anderen Unterstützern, die zum Beispiel Essen spenden und Wäsche waschen, gibt es einen harten Kern von Helfern, die jeden Tag zur Kirche kommen. Darunter ist die 26-jährige Cosma Dujat, die seit dem ersten Tag dabei ist, auch heute wieder. Zu helfen ist für sie selbstverständlich: „Ich habe kein Geld, das ich geben kann, aber ich habe Zeit“, sagt die Schauspielerin. Anfangs sei es noch richtig anstrengend gewesen, aber inzwischen genießt sie die Zeit in der „Embassy of Hope“, wie sie ihre improvisierte Notunterkunft genannt haben: Botschaft der Hoffnung. „Es ging anfangs darum, die Jungs zu schützen, damit sie mal zur Ruhe kommen. Inzwischen packen die auch mit an“, sagt Dujat.

Die Flüchtlinge geizen nicht mit Dankbarkeit: „Die Leute sind großartig!“, sagt der 30-jährige Andreas, Sprecher der in der Kirche untergekommenen Flüchtlinge. „Es ist, als ob wir hier zusammen mit ihnen leben.“ Inzwischen geht es ihm und den anderen Flüchtlingen viel besser als noch vor einem Monat. „Ich fühle mich hier wie zu Hause“, sagt Andreas. „Ich kann hier schlafen gehen und aufstehen, wann ich will.“ Der Tag in der Botschaft der Hoffnung ist strukturiert: Um 8 Uhr gibt es Frühstück, dann folgt der selbst organisierte Deutschunterricht. Wer es sportlich mag, kann vorher noch mit Pastor Wilm durchs Viertel joggen. „Dann laufen die Jungs in gespendeten St. Pauli-Trikots an den Orten vorbei, an denen sie vor einem Monat noch geschlafen haben“, sagt Wilm und lacht. Er ist sichtbar froh darüber, was sie hier erreicht haben.

Pastor ruft zu mehr Offenheit auf

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Seit vier Wochen ist die St. Pauli Kirche am Pinnasberg nun schon die Botschaft der Hoffnung.

Das soll nun auch Vorbild für andere Stadtteile sein: Anderswo protestieren Anwohner gegen geplante Unterkünfte für Flüchtlinge und Obdachlose, manche ziehen sogar vor Gericht. Für Pastor Wilm ein „Armutszeignis“, die Hamburger müssten dringend umdenken: „Wir wünschen uns von den anderen Stadtteilen, dass sie auch so offen sind“, sagt er. Von den Erfahrungen auf St. Pauli könnten nun auch die Menschen in anderen Quartieren profitieren, sodass dort öffentliche Unterkünfte entstehen könnten. Den Menschen dort ruft er zu: „Leute, es geht!“

Wie lange es auf St. Pauli noch geht, ist offen. Eine Dauerlösung ist die Unterkunft in der Kirche jedenfalls nicht, aber einen Ausweg weiß auch Wilm nicht: „Wir sind ja nicht die Entscheidungsträger“, sagt er. Bislang wollen die Entscheider im Senat und im Bundesinnenministerium den Flüchtlingen kein Bleiberecht erteilen, weil offiziell Italien für sie zuständig ist. Den Helferinnen und Helfern macht das kaum etwas aus, sie zeigen keine Spur der Resignation: „Das kann noch Wochen oder Monate so weiter gehen, weil hier alle so gut organisiert sind“, sagt Cosma Dujat. „Ich möchte so lange hier bleiben, bis alle eine Aufenthaltserlaubnis bekommen.“

Text und Foto: Benjamin Laufer