Pinneberger Ratgeber : „Hartz IV verharmlost“

Es wird viel geschimpft gegen einen Ratgeber für Arbeitslose, der unter anderem empfiehlt, durch Fleischverzicht Geld zu sparen. Finden auch Betroffene das Heft im Comic-Stil vom Jobcenter Pinneberg „albern“ und „diskriminierend“? Wir haben bei Hinz&Künztlern nachgefragt.

„Albern“, „dümmlich“, „diskriminierend“: Es hagelt Kritik für eine Broschüre, die das Jobcenter Pinneberg für Hartz-IV-Empfänger herausgegeben hat, scharf. Der „Ratgeber Arbeitslosengeld II“ erklärt auf mehr als 100 Seiten „das komplette Leistungsspektrum des Jobcenters“ und gibt Empfehlungen zum Leben mit Hartz IV. Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, lobte das Heft via Twitter ausdrücklich als „tollen ALG-2-Ratgeber“. Wohlfahrtsverbände und Hilfeempfänger sehen das anders. Als „völlig verunglückt“ bezeichnet der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes die Broschüre – und empfiehlt, sie einzustampfen. Als eine „Diskriminierung der Betroffenen“ bezeichnet der Awo das Heft. Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosenforums Deutschland spricht von „geschmacklosem Unsinn“.

Anstoß nehmen die Kritiker vor allem an der Aufmachung der Broschüre, die wie ein Comic gestaltet ist und die Geschichte der Musterfamilie Fischer enthält. Für Papa Knut Fischer, so die Erzählung, läuft das Arbeitslosengeld I aus. Sein Weg zum Jobcenter und wie die Familie die neue Situation meistert wird mit Zeichnungen und fiktiven Dialogen erzählt und von Tipps ergänzt – von der Erklärung von Formularen bis zu Spartipps. Da wird Hilfeempfängern etwa empfohlen, nicht hungrig einkaufen zu gehen, zu baden statt zu duschen oder zeitweilig auf Fleisch zu verzichten – aber auch, wie man sich von Rundfunkgebühren befreien lassen kann und wo im Kreis es Sozialkaufhäuser mit günstigen Angeboten gibt. BEB

Ist die Pinneberger Hartz-IV-Broschüre wirklich so misslungen? Die Hinz&Künztler Torsten, Chaka und Florian sehen das Heft zwar kritisch – finden aber auch gute Seiten.

Gut gemeint, aber nicht so gut gemacht. Hinz&Künztler Torsten mit dem Titelbild der Pinneberger Hartz-IV-Broschüre
Findet, das Heft ist gut gemeint, aber nicht so gut gemacht. Hinz&Künztler Torsten mit dem Titelbild der Pinneberger Hartz-IV-Broschüre

„Es müsste noch viel mehr Beratung zur Sozialgesetzgebung geben.“

Torsten: „Wenn ich mir die Gestaltung angucken, finde ich das schon sehr infantil. Das ist unpassend. Nach dem Motto: Der dumme Hartz-IV-Empfänger muss jetzt mal die Welt erklärt bekommen. Die Broschüre wendet sich schließlich an erwachsene Menschen. Den Bedarf für die Spartipps gibt es auf jeden Fall. Die sind in der Broschüre auch ganz konkret. Die Hinweise zu Befreiungsmöglichkeiten von Gebühren zum Beispiel – die kannte ich auch noch nicht. Wenn die Verbraucherzentrale so etwas herausgebracht hätte, hätte es so einen Aufschrei nie gegeben. Aber dass das Jobcenter das macht, das ja quasi dafür sorgt, dass Menschen am Existenzminimum leben müssen, das ist schon verhöhnend. Eingestampft werden sollte die Broschüre nicht. Im Gegenteil: Es müsste noch viel mehr Beratung zur Sozialgesetzgebung geben. Die finde ich fast so kompliziert wie die Steuergesetzgebung – und seine Steuererklärung macht ja auch kaum einer ohne Steuerberater.“

„Ich fühle mich verschaukelt.“

Florian: „Das ist doch beschämend. Soll das ein Heft für Kinder sein? Für mich? Bin ich etwa 12 Jahre alt? Ich fühle mich verschaukelt. Das Leben mit Hartz IV wird hier schon ziemlich verharmlost. Die Seite über den Besuch im Jobcenter ärgert mich besonders. Da hat Papa Knut echt Glück gehabt mit seiner Sachbearbeiterin. Ich war heute in meinem Jobcenter und die haben mich da nicht so zuvorkommend behandelt und helfen konnten sie mir unterm Strich auch nicht.“

„Das Adressregister mit Beratungsstellen finde ich gut.“

Chaka: „Ich finde Spartipps generell eine gute Sache. Vor allem das Adressregister mit Beratungsstellen finde ich gut. Aber manche von den Tipps in der Broschüre sind Blödsinn. Menschen vorzuschreiben, wie sie sich ernähren sollen – das geht gar nicht. Und wovon soll ich eine Wasserstop-Taste für die Toilette bezahlen? Auch der Vorschlag, im Schlussverkauf Klamotten zu kaufen, ist daneben: Ich kann mir schon lange keine neuen Klamotten aus dem Kaufhaus mehr leisten. Dafür reicht das Geld vorne und hinten nicht.“

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Den „Ratgeber Arbeitslosengeld II“ vom Jobcenter Pinneberg, aus dem auch die Bilder stammen, kann man sich kostenlos herunterladen: www.huklink.de/alg2ratgeber