Lampedusa in Hamburg : Leben in der Warteschleife

111 Rechtsanwälte befürchten eine Abschiebung der Lampedusa-Flüchtlinge. Sie fordern den Senat auf, der Gruppe ein Bleiberecht zu gewähren.

(aus Hinz&Kunzt 250/Dezember 2013)

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Das Künstlerkollektiv Enmedio hat die Lampedusa-Flüchtlinge als neue Beatles inszeniert und unterstützt damit deren Forderung nach einem Bleiberecht für die ganze Gruppe.

Ein Zusammenschluss von 111 Hamburger Rechtsanwälten befürchtet, dass fast alle Bleiberechtsanträge der Flüchtlinge abgelehnt werden. Innensenator Michael Neumann hatte in seinem Blog erklärt: „Nach allem, was wir wissen, ist unwahrscheinlich, dass die Männer in Deutschland bleiben können.“

Die Rechtsanwälte warnen vor einer Rückführung. „Italien gewährt den Flüchtlingen nicht die Rechte, die ihnen zu­stehen“, so Insa Graefe. Die Afrikaner würden keine staatliche Unterstützung erhalten. Zuletzt hätten sie in Italien auf der Straße gelebt. Die Sprecherin der Rechtsanwälte meint: „Hamburg hat die juristische Verpflichtung, zu helfen.“

Die Juristen fordern den Senat deswegen dringend zum Handeln auf. „Nur die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß Paragraf 23 Aufenthaltsgesetz kann eine Abschiebung verhindern“, so Graefe. Der Paragraf ermöglicht dem Senat, Kriterien für eine Gruppe aufzustellen, unter denen aus humanitären Gründen im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium ein Bleiberecht gewährt wird. „Von Hamburg könnte ein Signal für einen Wandel der europäischen Flüchtlingspolitik ausgehen“, sagt Graefe.

Der Senat will diesen Schritt nicht gehen. Senator Neumann fordert vielmehr, dass sich alle Flüchtlinge einem Einzelprüfverfahren stellen. Bis zum Redaktionsschluss waren 58 Flüchtlinge dieser Aufforderung gefolgt. Dass die Nordkirche inzwischen ebenfalls zu diesem Vorgehen rät, kritisieren die Flüchtlinge in einem offenen Brief. „Die absolute Mehrheit von uns lehnt diesen Weg aufgrund seiner Unsicherheit und aufgrund der gleichen ablehnenden Haltung des Senats ab“, heißt es in dem Schreiben. Der Druck auf die Kirche sei offenbar zu groß geworden. Dazu soll die Kirche offen stehen, „statt der Gruppe in den Rücken zu fallen und zu versuchen, Einzelne aus der Gruppe zu überreden, dem zweifelhaften Vorschlag zu folgen“, fordern die Flüchtlinge.

Zugleich bedanken sie sich ausdrücklich für die große Hilfsbereitschaft der Kirche. Seit Juni hatten etwa 70 Flüchtlinge einen Notschlafplatz in der St.-Pauli-Kirche gehabt. Pastor Sieghard Wilm geht davon aus, dass die Flüchtlinge bald in Wohncontainer umziehen.

Aus Sicht der Kirche stehen die Forderung nach einem Bleiberecht und die Empfehlung an die Flüchtlinge, sich jetzt bei der Behörde zu melden, nicht im Widerspruch zueinander. „Die Flüchtlinge haben doch innerhalb ihres Antragsverfahrens weiterhin die Möglichkeit, für ihre bisherigen Forderungen einzutreten“, so Bischöfin Kirsten Fehrs.
Darin werden die Flüchtlinge auch vom Künstlerkollektiv Enmedio unterstützt: Einige Flüchtlinge werden auf knalligen Plakaten als John, Paul, George und Ringo, quasi als neue Beatles. Mit dem Appell an Hamburgs Bürgermeister: „Herr Scholz, hätten Sie auch die Beatles abgeschoben?“

Text: Jonas Füllner
Foto: Enmedio