Leben im Giftschrank

Früher war das Niebuhr-Hochhaus an der Reeperbahn als „Nuttenbunker“ verschrien, heute werden die Wohnungen luxussaniert. Die Bewohner haben nicht nur Angst vor Verdrängung, sondern auch vor Asbest.

(aus Hinz&Kunzt 236/Oktober 2012)

Giftalarm auf Probe: Aktivisten von S.O.S.-St. Pauli demonstrieren Mitte September vorm Niebuhr-Hochhaus.

Drinnen ein Fahrstuhl, der ständig stecken bleibt. Heruntergekommene Flure, Risse in den Wänden. Draußen Tag und Nacht der Lärm der Reeperbahn mit ihren Tausenden Betrunkenen, die jedes Wochenende hier Radau machen und an die Hauswände pinkeln. Dazu der Ruf als „Nuttenbunker“ aus vergangenen Zeiten. Das 1971 erbaute Niehbuhr-Hochhaus hat’s in sich.

Und trotzdem gibt es eine Menge Menschen, die dort gerne wohnen. Dirk Bunte zum Beispiel. Seit neun Jahren lebt der 45-Jährige jetzt schon im Hochhaus an der Reeperbahn 157. Er schätzt die Anonymität, aber auch die Fürsorglichkeit seiner Nachbarn. Als es mal knapp war mit dem Geld, haben sie ihm Mittagessen spendiert. „Andererseits kann im Haus jeder machen, was er will“, sagt er. Leben und leben lassen an der Reeperbahn. Seit Kurzem ändert sich das.

Reihenweise neue Bewohner kommen in das Haus, seit der Eigentümer des Hochhauses, die Excelsior GmbH aus Bad Oldesloe, die ehemaligen Mietwohnungen als Eigentumswohnungen verkauft. Mindestens 47 von 150 Wohnungen sind seit dem Frühjahr 2011 bereits verkauft und größtenteils saniert worden. Hier ziehen keine Studenten, Galeristen, Club-Promoter oder Maler wieder ein, die vorher die vielfältige Nachbarschaft geprägt haben. „Jetzt ziehen hier Leute ein, für die das eine Ich-hab’s-geschafft-Wohnung ist“, beklagt Bewohner Christian Hündgen*. Auf der Reeperbahn wohnen ist schick geworden.

Der freischaffende Schlagzeuger Bunte zahlt für seine Wohnung 560 Euro Miete warm. „Das kriege ich gerade so hin“, sagt er. Die sanierten Wohnungen im Haus werden für das Doppelte vermietet, kaum einer der bisherigen Bewohner könnte sich das leisten. Unerschwinglich wären für sie auch die Eigentumswohnungen, die als „Design Wohnung im Szene-Viertel“ für 4700 Euro pro Quadratmeter zum Kauf angeboten werden. „Da merkst du, dass du störst“, sagt Christian Hündgen. „Das ist erst mal ein Scheißgefühl.“ Viele hier rechnen damit, dass auch ihre Mieten steigen werden.

Seit dem 15. Februar 2012 müssen auf St. Pauli Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen vom Bezirk genehmigt werden. Mit der „Sozialen Erhaltensverordnung“ soll die Verdrängung von Mietern verhindert werden. Dumm gelaufen: Die Genehmigung, die ehemaligen Mietwohnungen zu verkaufen, hat der Bezirk kurz vor Inkrafttreten der Verordnung erteilt. Seitdem verkauft Excelsior im Eiltempo.

Mit den Eigentumswohnungen kamen auch die Sanierungsarbeiten in das Niebuhr-Hochhaus. Arbeiterkolonnen fingen an, Bauschutt offen durchs Haus zu transportieren. Durch die maroden Flure und den Fahrstuhl bis auf die Reeperbahn. Das Problem: Teilweise war dieser Schutt hoch giftig. Denn als das Niebuhr-Hochhaus errichtet wurde, verwendeten die Bauarbeiter Asbest, Polychlorierte Biphenyle (PCB) und Kunststofffasern. 40 Jahre später werden die jetzt zur Gefahr, denn bei Bauarbeiten können die Gifte, die als krebserregend gelten, freigesetzt werden.

Von den Giften in ihren Wänden erfuhren die Bewohner zufällig. Sie wendeten sich erst an den Eigentümer, dann an das Bauprüfamt des Bezirks Hamburg-Mitte. Damit das Amt überhaupt etwas unternahm, mussten die Mieter erst einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht stellen. Sie fordern einen vorläufigen Baustopp, bis das Bezirksamt in einem Gefahrstoffkataster, eine Art Verzeichnis, alle Gifte im Haus dokumentiert oder den Eigentümer dazu verpflichtet. Bauarbeiten an belasteten Stellen im Haus sollen nur noch unter entsprechenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden. So verlangt es auch das Gesetz.

Erst schien es, als käme das Bauprüfamt den hilfesuchenden Bewohnern entgegen, es erließ den gewünschten Baustopp. Doch die Auflagen wurden abgeschwächt. Es folgten zähe Gerichtsverfahren zwischen dem Bezirksamt und den Bewohnern, die sich nicht ausreichend geschützt fühlen. Die Bauarbeiten gehen derweil weiter. Derzeit muss nicht mehr angezeigt werden, wenn außerhalb der Wohnungen gewerkelt wird. In den Wohnungen müssen nur noch Arbeiten an Reparaturstellen der Behörde gemeldet werden: zugespachtelte Bohrlöcher und Risse in den Wänden. Denn für die wurde damals nachweislich asbesthaltige Spachtelmasse verwendet.

In Markus Oltmanns’* Wohnung ist der Lüftungsschacht abgeklebt, weil er darin giftige Fasern gefunden hat. Zwar behauptet das Bauprüfamt, die womöglich kontaminierte Luft könne gar nicht hinein, sondern nur hinaus. Aber ein Praxistest beweist das Gegenteil. Zum Lüften hat er jetzt nur noch die Balkontür, weil die Fenster sich nicht öffnen lassen. 120 nummerierte Zettel kleben an Wänden und Decken. Reparaturstellen – womöglich asbestverseucht. Eigentlich wollte der Hausbesitzer sie untersuchen lassen. Passiert ist bislang nichts.  „Wir wollten unsere Wohnung renovieren, aber das können wir so nicht“, sagt Oltmanns.

Wo sich im Haus überall Giftstoffe befinden, müssen die Mieter nachweisen. Das jedenfalls sagen Bezirksamt und Hamburger Verwaltungsgericht. Oltmanns hat bereits über 2000 Euro für Gutachten ausgegeben. Der teure Streit dreht sich unter anderem darum, wie stark krebserregend die einzelnen Stoffe sind und ob der Bezirk handeln muss. „Die Behörde wird ihrer öffentlichen Aufgabe in keiner Weise gerecht“, sagt Oltmanns’ Anwalt Mathias Wagner. Der Eigentümer sei zum Handeln verpflichtet, nicht die Behörde, so eine Bezirksamtssprecherin. Die Bewohner sollten sich gerichtlich an die Bauherren wenden. Nur: Da ein Drittel der Wohnungen mittlerweile verkauft wurde, wissen die Bewohner oft gar nicht, wem die Wohnung gehört, in der gearbeitet wird. Selbst wenn, müssten sie gegen jeden einzeln vorgehen.

Markus Oltmanns sagt, er sei wohl zu naiv gewesen: „Ich dachte: Wenn jemand gegen geltendes Recht verstößt und man wird tätig, dann ändert sich was.“ Aber: „Die Bauprüfabteilung war immer eher abweisend, ein bisschen patzig und dreist.“ Manchmal verging fast ein halbes Jahr, bis aus dem Amt eine Antwort kam. Inzwischen überlegt er, auszuziehen.

Der Streit beschäftigt nun auch die Politik. In einem fraktionsübergreifenden Antrag fordert der Bezirk Mitte Excelsior auf, die Arbeiten zu stoppen, bis das Gefahrstoffgutachten vorliegt. Auch ein runder Tisch soll kommen. Fakt ist: Der Eigentümer kann alles ignorieren. „Wir haben keine rechtliche Handhabe“, so Erkan Sahin von der SPD-Fraktion Mitte. Excelsior hat sich bislang nicht geäußert. Die zuständige Sachbearbeiterin sei derzeit im Urlaub, hieß es auf Nachfrage von Hinz&Kunzt. •

* Namen auf Wunsch geändert.

Text: Benjamin Laufer
Foto: Dimitrij Leltschuk