Zentrum Älterwerden : Konfetti im Kopf

Michael Hagedorn fotografiert seit acht Jahren Menschen mit Demenz. Die berührenden Begegnungen inspirierten ihn zur Gründung eines Vereins, der das bunte und facettenreiche Leben feiert. Im Mai lädt der Verein in Hamburg zur Aktivierungskampagne mit Straßenfestflair.

„Wir neigen dazu, Menschen in Schubladen zu stecken“, sagt Michael Hagedorn. „Beim Thema Demenz haben wir fest­sitzende Bilder im Kopf.“ Mit Bildern kennt sich der 47-Jährige aus. Er ist Fotograf und gewohnt, genau hinzusehen. Auch er verband mit der Krankheit früher trübe Stimmung und leere Gesichter. Doch ein 2005 begonnenes Fotoprojekt öffnete ihm Augen und gab den Anstoß zur Gründung der Aktion „Konfetti im Kopf – Demenz berührt mit vielen Gesichtern“. Ab 24. Mai beweist der gemeinnützige Verein in Hamburg zehn Tage lang, dass das Leben trotz Demenz bunt und facettenreich sein kann.

Ein Moment im Mai: Alfred Redmann aus Berlin, der von seiner Frau betreut und  gepflegt wird, schnuppert an einem Fliederbusch. Michael Hagedorn sagt:  „Wenn das Kognitive nachlässt, übernehmen die SINNESREIZE das Kommando.“
Ein Moment im Mai: Alfred Redmann aus Berlin, der von seiner Frau betreut und
gepflegt wird, schnuppert an einem Fliederbusch. Michael Hagedorn sagt:
„Wenn das Kognitive nachlässt, übernehmen die Sinnesreize das Kommando.“

„Ein Faible für das Alter hatte ich schon immer“, meint Michael Hagedorn. Er selbst hat durchaus noch ein wenig Zeit bis zur Rente, aber mit seinem grau-silbernen Haar und seiner gelassenen Ausstrahlung kann man ihn sich schon recht gut als zufriedenen ­Senioren vorstellen. Zu seiner Besonnenheit trägt sicher bei, dass er sich als Fotograf schon länger auf das Thema Alter spezialisiert und intensiv damit beschäftigt hat. Eine Wahl, die er genauso wenig bereut wie die Entscheidung, Fotograf geworden zu sein. „Schon mit 15 kaufte ich meine erste Kamera“, erzählt Hagedorn. Die Investition zahlte sich aus. „Ein Jahr später hatte ich schon kleinere Aufträge von der Lokalzeitung.“ Seitdem ist er freier Fotojournalist. Michael Hagedorn hat in der Antarktis fotografiert und auf Java, doch die größten Abenteuer erlebte er mit deutschen Senioren.

Nach intensiver Recherche und Klinkenputzen bekam Hagedorn vor acht Jahren ein Foto-Stipendium zum Thema Demenz und wagte erste Gehversuche in spezialisierten Einrichtungen. „Vor dem Fotografieren gab es eine längere Phase des Zuhörens und Mitmachens – bis hin zum Singen und Tanzen. Auch wenn ich damals ungeduldig war, schätze ich diese Erfahrung sehr.“ Er spürte sofort, wie mächtig Musik und Bewegung als Ansätze für den Zugang zu erkrankten Menschen sind. „Dadurch erlebte ich überraschend lustige Momente und zufriedene Menschen.“ Michael Hagedorn lächelt bei der Erinnerung. „Dieser Lebensabschnitt kann sehr erfüllend sein, wenn das Umfeld stimmt.“

Diese Erkenntnis dürfte für die meisten überraschend sein. Und tröstlich, denn immerhin leben in Deutschland laut Bundesgesundheitsministerium rund 1,4 Millionen Menschen mit Demenz. 2050 werden es fast doppelt so viele sein. Demenz ist der Oberbegriff für mehr als 50 Krankheitsformen, Alzheimer ist die häufigste. Sie verlaufen unterschiedlich, führen alle jedoch langfristig zum Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit. Je älter wir werden, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken. Die Einschränkungen erfolgen in Schüben, die mit dem Abbau der geistigen, körperlichen und später auch sozialen Fähigkeiten verbunden sind. Je mehr die Krankheit fortschreitet, desto weniger ist Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben möglich und desto größer wird die Belastung für die Angehörigen.

Immerhin gibt es große Fortschritte, was Unterbringung, Umfeld und Umgang mit Mensch mit Demenz angeht. „Da hat sich viel getan in den letzten zehn Jahren“, meint Michael Hagedorn. Spezielle Wohnformen und Tagespflegemöglichkeiten sorgen dafür, dass Betroffene und Familien ihren Alltag längere Zeit selbstbestimmt und mit so viel Lebensqualität wie möglich gestalten können.

Mit der Erkenntnis, dass die Menschen mit Demenz ganz anders sind, als er sie sich vorgestellt hat, reifte Michael Hagedorns Entschluss, seine Erfahrungen mit anderen zu teilen und seine Fotos allgemein zugänglich zu machen. Rund 50.000 Aufnahmen sind so im Laufe der Jahre in dieser einmaligen Langzeitdokumentation entstanden. Gemeinsam mit drei anderen Initiatoren gründete er 2007 die Kampagne „Konfetti im Kopf“, um mit vielen ehrenamtlichen Mitstreitern mit düsteren Klischees aufzuräumen und Berührungsängste abzubauen.

Den Namen prägte einer der Betroffenen. „Wir waren auf der Basler Fassnacht. Überall war Konfetti. Der Mann, den ich mit der Kamera begleitete, strich es von seiner Schulter und sagte: ‚Und ich habe Konfetti in meinem Kopf.‘“

2009 lief eine groß angelegte Kampagne in Berlin. Nun freuen sich Michael Hagedorn und ein großes Netzwerk aus Unterstützern auf Hamburg. Das Herzstück bildet eine Open-Air-Fotoausstellung rund um die Petrikirche. Flankiert werden die Bilder anhand von Workshops, Konzerten, Theaterstücken, Filmen, Lesungen, Vorträgen und ungewöhn­lichen Straßenaktionen – nicht nur in der Innenstadt, sondern auch überall in den Bezirken.

Prominente wie Bettina Tietjen, Susanne Holst und Bischöfin Kirsten Fehrs unterstützen das Projekt. Lokale Schirmherrschaft: Bürgermeister Olaf Scholz. Schirmherrschaft insgesamt: Roman Herzog. Mit ihrer Hilfe möchten Michael Hagedorn und seine Mitstreiter Betroffenen und Angehörigen Mut machen, offen mit der Erkrankung umzugehen und die Schubladen zu verlassen, in die wir sie gesteckt haben.

Text: Sybille Arendt
Foto: Michael Hagedorn

Aktivierungskampagne „Konfetti im Kopf“, 24.5. bis 2.6., rund um St. Petri in der Innenstadt und in ganz Hamburg, Eintritt frei, Programm unter www.konfetti-im-kopf.de