Podiumsdiskussion : „Jugendliche brauchen Ermutigung“

Während 3000 Jugendliche weder Job noch Ausbildung finden, suchen Betriebe nach Lehrlingen. Die Chancen junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt sind Thema einer Veranstaltung aus der Reihe „Hamburg – Gerechte Stadt“ am Dienstag.

Die Wirtschaft ist alarmiert. Zum traditionellen Ausbildungsbeginn am 1. August waren in Hamburger Handwerksbetrieben noch knapp 400 Lehrstellen unbesetzt. „Es werden jedes Jahr mehr“, sagt Jörg Ungerer, Bereichsleiter Bildungspolitik bei der Hamburger Handwerkskammer. Auch der Handel hat Schwierigkeiten, Auszubildende zu finden: In der Online-Lehrstellenbörse der Hamburger Handelskammer werden angehende Kaufleute, Elektronikerinnen oder Köche gesucht – häufig für einen sofortigen Ausbildungsbeginn. Auch hier waren am 1. August noch rund 400 Stellen frei. Insgesamt werden in Hamburg nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit noch 2000 Azubis gesucht.
Geburtenschwache Jahrgänge und eine sinkende Zahl von Schulabgängern sind ein Hauptgrund dafür, dass viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Außerdem kommen immer weniger Jugendliche aus dem Umland nach Hamburg, um eine Lehre zu beginnen – der demografische Wandel macht sich in ländlichen Regionen schon viel stärker bemerkbar. „Vor fünf Jahren kamen noch sechs Prozent unserer Azubis aus Mecklenburg-Vorpommern, 2010 waren es nur noch 1,9 Prozent“, rechnet Fin Mohaupt vor, der den Bereich Aus- und Weiterbildungsberatung bei der Hamburger Handelskammer leitet. „Und das wird auch nicht mehr besser.“
Handel und Handwerk haben erkannt, dass sie sich stärker um ihren Nachwuchs bemühen müssen: Die Betriebe verschieben den Beginn der Ausbildungen, suchen schon jetzt Lehrlinge für 2012 oder versuchen über „Nachvermittlungs-Aktionen“ doch noch geeignete Jugendliche für dieses Ausbildungsjahr zu finden. Zudem wächst die Zahl der Betriebe, die auf Lehrstellenmessen frühzeitig nach Auszubildenden suchen. Manche Unternehmen geben auch Jugendlichen eine Chance, die sie noch vor einigen Jahren abgelehnt hätten – aufgrund schlechter Schulnoten oder anderer Defizite. „Man muss diese Jugendlichen fit machen“, fasst Fin Mohaupt den Einstellungswandel zusammen. „Denn wir brauchen sie.“
Obwohl die Betriebe händeringend nach Auszubildenden suchen und offenbar bereit sind, bei ihren Erwartungen Abstriche zu machen, gibt es viele Jugendliche in Hamburg, die beruflich gar keinen Anschluss finden: Keine Lehrstelle, keinen Job. Horst Weise, der Sprecher des Hamburger Jobcenters, schätzt ihre Zahl auf ungefähr 3000. „Das Problem ist, dass die Wirtschaft vor allem sehr engagierte Leute sucht“, sagt Weise. „Viele junge Langzeitarbeitslose haben aber keinen Schulabschluss und kaum Motivation, oder sie haben Probleme bei grundlegenden sozialen Umgangsformen.“ Aufgrund der schnellen Modernisierung in Wirtschaft und Gesellschaft gäbe es junge Leute, die mehr und mehr abgehängt würden – obwohl die Jobcenter alles in Bewegung setzten, um sie in Arbeit oder Ausbildung zu vermitteln.

Christina Mc Donell weiß: Manchmal brauchen junge Leute Zeit und intensive Betreuung, um ihren Platz in der Arbeitswelt zu finden.
Christina Mc Donell weiß: Manchmal brauchen junge Leute Zeit und intensive Betreuung, um ihren Platz in der Arbeitswelt zu finden.

Die Schwierigkeiten, die dabei auftreten können, kennt Christina Mc Donnell gut. Vier Jahre lang hat die Sozialarbeiterin das Vermittlungsprojekt „Ju!“ für Jugendliche geleitet, die Probleme hatten, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. „Die meisten kamen mit einem sehr niedrigen Selbstbewusstsein zu uns“, sagt die 49-Jährige. Oft sei es schwierig gewesen, die Jugendlichen überhaupt zu motivieren. Wenn man sie aber intensiv betreue, ihre individuellen Stärken ermittle und gute Kontakte in die Wirtschaft habe, habe man auch Erfolg. „Man muss mit den Jugendlichen ringen, und sie brauchen eine kontinuierliche Anlaufstelle“, sagt sie. Von den 1200 jungen Menschen, die an dem Projekt teilnahmen, konnten 880 in Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden – allerdings oft erst nach sechs Monaten intensiver Betreuung. „Wer meint, er kriegt einen Jugendlichen, macht ihm einen Vermittlungsvorschlag und fertig, der irrt“, sagt Mc Donnell. „Ich muss Vertrauen schaffen, das kriege ich nur, wenn ich Wertschätzung schaffe. Und Wertschätzung braucht Zeit.“ Da den Jobcentern diese Zeit oft fehle, müsse man stärker auf private, spezialisierte Vermittlungsagenturen setzen, so Mc Donnell. „Die Jugendlichen brauchen einfach Menschen, die sie ermutigen.“

Text: Hanning Voigts
Foto: Hannah Schuh

Die Podiumsdiskussion aus der Reihe  „Hamburg – Gerechte Stadt“ thematisiert die Probleme von Jugendlichen beim Übergang in Ausbildung und Arbeit. Neben der Sozialarbeiterin Christina Mc Donnell diskutieren u.a. die Soziologin Bettina Kohlrausch und Hjalmar Stemmann, der Vizepräsident der Hamburger Handelskammer. Dienstag, 27. September, 16.30 Uhr, Haus der Jugend St. Georg, Kirchenweg 20, Eintritt frei.