„Ich hatte eine Scheißangst“

Warum Günter Heckler seine Beine verloren hat

(aus Hinz&Kunzt 175/September 2007)

Wir hätten ihn auch in seiner Wohnung treffen können. Aber Günter Heckler ist das noch nicht recht. „Mein Schlafzimmer sieht toll aus, aber in meinem Wohnzimmer fehlen mir noch viele Möbel.“ 17 Jahre obdachlos – da ist es ein großer Schritt, Besuch in der eigenen Wohnung zu empfangen. Deswegen erzählt er seine Geschichte vor dem Harburger Bahnhof – seinem Lieblingsplatz.

Viele Obdachlose scheitern daran, die Empfehlungen ihres Arztes umzusetzen. Bei Günter Heckler hatte das schlimme Folgen: er verlor beide Beine. Damals lebte er noch auf der Straße. Viel stehen, unbequem schlafen, Heckler bekommt Krampfadern. Das Blut staut, Wunden entstehen. Der Arzt verschreibt ihm Stützstrümpfe.

„Naja, da habe ich gedacht, die muss ich jetzt einfach so bis zum Ende meiner Tage tragen.“ Heckler wechselt die Stützstrümpfe nicht. Wenn er sich gewaschen hat, zieht er die alten Strümpfe wieder über. Bis sich die offenen Stellen entzünden.

Zehn Monate lang tut er nichts gegen die Entzündung. „Ich wollte nicht ins Krankenhaus, davor hatte ich Angst.“ Bis die Schmerzen unerträglich werden.

Dann endlich traut er sich. „Im Krankenhaus haben die mir als erstes den Schädel rasiert – mit nem Einwegrasierer.“ Günter holt seinen Personalausweis heraus, auf dem er mit Stoppelhaaren zu sehen ist. „Sieht richtig scheiße aus, ich hatte mein ganzes Leben lange Haare.“ Die Begründung: „‚Ihr habt doch alle Läuse‘, haben die Pfleger gesagt. Natürlich hatte ich keine Läuse – aber da war es schon zu spät.“

Trotz Behandlung im Krankenhaus und Nachsorge in der Krankenstube für Obdachlose verbessert sich Hecklers Situation nicht. Nach einem halben Jahr die Nachricht: Die Beine müssen amputiert werden. „Das war natürlich ein extremer Schlag. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Ich hatte eine Scheißangst.“

Nach der Operation kommt Heckler wieder in die Krankenstube. „Das war meine Rettung. Hätte ich zurück auf die Straße gemusst, ich wäre völlig abgestürzt.“

Heute geht es Günter Heckler manchmal besser als vor der Amputation. „Ich habe mich mit der Behinderung abgefunden – was soll ich auch machen?“ Sich gehen lassen, wie er es früher oft getan hat, kommt nicht mehr in Frage. „Ich muss mich doch jetzt um alles kümmern – und ohne Beine ist das alles doppelt schwer.“

Einen kleinen Traum hat der gebürtige Münchener noch: Einmal in den Urlaub fahren. „Nicht weit weg, nur innerhalb Deutschlands.“ Der große Traum, den er hat, spielt in einer fernen Zukunft. Günter Heckler zuckt mit den Schultern: „Bei dem ganzen Fortschritt in der Prothesentechnik: Vielleicht gibt’s ja später mal die Möglichkeit, wieder Beine zu bekommen.“

Marc-André Rüssau

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