„Ich habe mich geschämt“

David (20) verkauft seit vier Monaten Hinz&Kunzt, meistens in der Nähe des Hauptbahnhofs.

(aus Hinz&Kunzt 214/Dezember 2010)

davidWenigstens muss David jetzt nicht mehr draußen schlafen. Seit Anfang November lebt der 20-Jährige in einem Wohn­container in Wilhelmsburg. Solche Container dienen im Winter als Notschlaf­plätze für Obdachlose. „In Wilhelmsburg ist es sehr nett“, sagt David mit seiner leisen Stimme. „Und im Container habe ich auch meine Ruhe.“
Dass der schüchterne, ordentlich gekleidete David auf der Straße gelandet ist, liegt an einer unglücklichen Liebesgeschichte. Im September vergangenen Jahres – er macht gerade in der Nähe von Stuttgart eine Ausbildung zum Textilreiniger – lernt David über das Internet die Kellnerin Nadine kennen. Sie lebt in Hamburg und ist zehn Jahre älter als er. Die beiden schicken sich E-Mails, im Dezember besucht David sie das erste Mal in Altona. Dann ist er sicher: Nadine ist seine große Liebe. Sofort will er nach Hamburg ziehen und seine Ausbildung dort beenden. Sein Chef und seine Eltern raten ihm davon ab, aber David hört nicht hin: Er ist sicher, das Richtige zu tun. Im Januar zieht er zu Nadine. Weil er keinen Ausbildungsplatz findet, jobbt er zunächst in einer Zeitarbeitsfirma als Lagerarbeiter.
Ende Februar erfährt Nadine, dass sie schwanger ist. David ist überglücklich: „Ich wollte eine Familie gründen, nur noch für sie und das Kind da sein.“ Aber Nadine wird alles zu viel. Sie sagt David, dass sie Platz für sich braucht und er sich eine eigene Wohnung suchen soll. David sieht sich fast 20 Wohnungen an. „Mit meinem kleinen Lohn hatte ich keine Chance“, sagt er. Im Juli setzt Nadine ihn vor die Tür. Für David bricht eine Welt zusammen: „Ich finde es unvorstellbar, nur ein Wochenend-Papa zu sein.“ Obdachlos irrt er durch die Stadt und macht in der Nähe des Hauptbahnhofs Platte. Als er im August zu Hinz&Kunzt kommt, nimmt er das erste Mal Hilfe an. „Ich habe mich geschämt“, sagt er. Deshalb hat er bis heute keinen Kontakt zu seiner Familie.
Jetzt, wo er ein Dach über dem Kopf hat, will David sein Leben neu beginnen. Vor Kurzem hat er Nadine wiedergetroffen, sie hat ihm Ultraschallfotos von ihrer Tochter gezeigt. „Sie hat meine Nase“, sagt David stolz. Obwohl er nicht weiß, ob sein Kind schon geboren wurde, hofft er immer noch auf eine Versöhnung mit Nadine. „Sie und das Kind sind mir wichtiger als ich selbst“, sagt er. „Mir würde es gut gehen, wenn ich wüsste, dass es ihnen gut geht.“

Hinz&Kunzt: Was hast du diese Woche Besonderes erlebt?
David: Ich habe Geld gespart und mir ein Radio für meinen Wohncontainer gekauft. Jetzt kann ich dort endlich auch Musik hören.

H&K:
Was hast du im Moment in der Hosentasche?
David: Ein Feuerzeug und mein Mundspray. Das benutze ich nach dem Rauchen. Viele Kunden mögen es gar nicht, wenn man nach Rauch riecht.

H&K: Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen?
David: Dass ich wieder mit meiner Ex-Freundin zusammen bin und mich um sie und unser Kind kümmern kann. Das wünsche ich mir mehr als alles andere.

Text: Hanning Voigts
Foto: Mauricio Bustamante