Prostitution : Huren zeigen ihre Welt

Flatrate-Bordelle, Menschenhandel, Zwangsprostitution – über Sexarbeit gibt es viele Klischees. Hamburger Sexarbeiterinnen und Beratungsstellen laden am Sonntag dazu sein, sich in St. Georg selbst anzuschauen, wie es hinter den Fassaden von Stundenhotels und Co. aussieht.

„Prostitution zwischen Faszination und Schaudern“ ist das Thema vom „Kulturstrich St. Georg“ am Sonntag
„Hamburg und die Huren – Prostitution zwischen Faszination und Schaudern“ ist das Thema vom „Kulturstrich St. Georg“ am Sonntag

Frauen, die auf Freier warten, gehören in Hamburg zum Stadtbild. Von Flatrate-Sex in Kleinstadtbordellen hat auch schon fast jeder gehört. „Es ist nicht so, dass das Thema käuflicher Sex verschwiegen wird“, sagt Sexarbeiterin Undine de Rivière. „Es wird viel darüber diskutiert. Aber leider oft aufgrund falscher Vorstellungen.“  Undine de Rivière, die in Hamburg in St. Georg lebt und arbeitet, setzt sich dafür ein, dass mehr Menschen ein realistisches Bild von der Welt, in der sie und ihre Kolleginnen arbeiten, bekommen. Denn: „Medienberichte entsprechen oft nicht dem, was wir erleben. Da kann man im Fernsehen sehen, wie Busladungen von Kunden vor Bordellen vorfahren. Das müsste mir mal passieren. Zu mir kam noch nie ein Bus voller Freier.“

Falsch sei auch, Prostitution und Menschenhandel miteinander zu vermischen. Viele Menschen könnten sich nicht vorstellen, für Sex mit einem fremden Menschen zu bezahlen, sagt Undine de Rivière. „Und aus diesem ,Ich kann es mir für mich nicht vorstellen‘ wird dann schnell ein ,Da kann doch keiner freiwillig mitmachen.‘“ Undine de Rivière hat ihren Job als Sexarbeiterin bewusst gewählt – und reagiert wütend auf „Zwangsrettungsversuche“.

„Wir werden zu Opfern gemacht und unsere Kunden zu Tätern, dabei stimmt das nicht. Und wenn wir das sagen, werden wir mit in die Täterschublade gesteckt und unemanzipiert und unterdrückt genannt.“ Prominenteste Kämpferin gegen Sexarbeit ist Alice Schwarzer, deren Magazin Emma in einem Appell sogar die „Abschaffung des Systems Prostitution“ fordert.

Falsche Vorstellungen von Sexarbeit haben dramatische Konsequenzen auf die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen, sagt Undine de Rivière. Vielerorts erschwerten die Gesetzgeber den Frauen das Gewerbe. Im Stadtteil St. Georg gilt seit Januar 2012 eine „Kontaktverbotsverordnung“. Die besagt, dass Freier mit einer Geldbuße bestraft werden können, wenn sie Kontakt zu Sexarbeiterinnen rund um den Hanspaplatz aufnehmen. Ende Januar hat der Ausschuss für die „Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter“ (FEMM) des Europäischen Parlaments dafür gestimmt, das sogenannte „Schwedische Modell“ europaweit einzuführen. Das Gesetz stellt den käuflichen Erwerb von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe – und kriminalisiert damit faktisch Prostitution. Undine de Rivière teilt die Sorge von Organisationen wie Sexwork Europe, die sich für Sexarbeiterinnen einsetzen: „Sexarbeit wird in den Untergrund verdrängt und damit gefährlicher für uns.“

Undine de Rivière ist eine der wenigen Prostituierten, die sich offen zu ihrem Beruf bekennen. „Viele Kolleginnen trauen sich das nicht – wenn sie Familie haben zum Beispiel. Oder junge Frauen, die die Arbeit nur vorübergehend machen wollen.“ Wer sich aber ein Urteil über Sexarbeit und den Frauen, die ihr nachgehen, bildet, soll sich zunächst ein eigenes Bild machen, findet Undine de Rivière. Dazu laden sie und andere Sexarbeiterinnen in Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen in St. Georg am Sonntag ein.

Dann veranstaltet der Zusammenschluss „Ratschlag Prostitution Hamburg“ den ersten „Kulturstrich St. Georg“ – mit der Möglichkeit, Orte, Menschen und die Szene rund um Sexarbeit kennen zu lernen. Dazu gehört die Besichtigung von Stätten der Prostitution: vom Stundenhotel über ein SM-Studio bis zum exklusiven Nachtclub. Willkommen ist jeder, der für das Thema Sexarbeit offen ist – „oder sich öffnen will“, sagt Undine de Rivière. Sie und ihre Kolleginnen werden dabei sein und für alle Fragen zur Verfügung stehen. Zu den begleiteten Führungen in Gruppen gibt es Gesprächsrunden, eine Theaterperformance und den Film „Frau Mercedes – Alt werden auf dem Autostrich“.

Text: BEB
Bild: Ratschlag Prostitution Hamburg

Kulturstrich St. Georg, So, 16.2., 14 bis 20 Uhr, Treffpunkt vor dem Hansatreff, Hansaplatz 6
Tour 1: 14.00 bis 15.30 Uhr mit Betriebsführungen: Stundenhotel, Steige oder SM-Studio; offenes Café bei Ragazza e.V. und BASIS-Projekt; Kurzfilme
Tour 2: 15.30 bis 17.00 Uhr mit Betriebsführungen: exklusiver Nachtclub oder SM-Studio; offenes Café bei Ragazza e.V. und BASIS-Projekt; Performance: „Pictures of a Reality“; Diskussion mit Sexarbeiterinnen und Emilija Mitrovic (ver.di)
Tour 3: 17.00 bis 18.30 Uhr mit Programm wie Tour 2
Tour 4: 18.30 bis 20.00 Uhr mit Betriebsführungen: Stundenhotel, Steige oder SM-Studio; offenes Café beim Sperrgebiet und BASIS-Projekt; Film „Frau Mercedes – Alt werden auf dem Autostrich“

Pro Tour wählen die Teilnehmer eine Veranstaltung aus. Die Teilnehmerzahl ist zum Teil begrenzt. Kurzfristige Programmänderungen vorbehalten. Es ist keine Anmeldung erforderlich. Die Teilnahme ist kostenlos. Die beteiligten Einrichtungen freuen sich über Spenden.

Tag der offenen Tür bei Ragazza: Die Mitarbeiterinnen führen durch ihre Einrichtung, in der der Verein seit mehr als 20 Jahren für drogenabhängige Prostituierte da ist. So, 16.2., 14 – 17 Uhr, Brennerstraße 19

Trailer zum Film „Frau Mercedes – Alt werden auf dem Autostrich“

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