Götterspeise in Eimsbüttel : Essen vor dem Müll gerettet

Essen für alle – und zwar umsonst! Das ermöglicht in Eimsbüttel Wirt Marco Scheffler zusammen mit zahlreichen Helfern. Sie verteilen Lebensmittel, die ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben und ansonsten auf dem Müll landen würden.

Marco Scheffler
Jeden Abend gibt Marco Scheffler unter der Woche abgelaufene Lebensmittel weiter. Der Andrang ist groß.

Ein lauer Sommerabend in Eimsbüttel. Es ist 21.15 Uhr. Die Geschäfte sind geschlossen, hinter den Häuserfassaden versinkt allmählich die Sonne. Auf der Osterstraße ist Ruhe eingekehrt. Doch an zwei Holzbänken versammeln sich etwa 30 Anwohner. Sie warten. Darauf, dass Marco Scheffler und seine Helfer aufkreuzen. Mit ihren Kisten voller Lebensmittel, die sie hier Abend für Abend kostenlos weitergeben.

„Bei uns werden große Mengen Essen weggeschmissen, wenn ich nicht da bin“, erzählt Chris. Er ist Auszubildender in einem Supermarkt an der Osterstraße. Fast jeden Abend holt er die Lebensmittel aus dem Supermarkt. Es sind Produkte, die ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben und die anderswo weggeworfen werden. „Mein Chef hat mir erlaubt, dass ich den abgelaufenen Kram mitnehme“, erzählt Chris. So entstand zusammen mit Marco Scheffler die Idee zur kostenlosen Essensweitergabe.

„Sein Chef ist cool. Wo anders wäre das nicht möglich“, meint Marco Scheffler. Drei Bars leitet der 45-Jährige in Hamburg. Er ist ein Macher, jemand, der den Ton angibt und der gerne Leute um sich versammelt. Und er engagiert sich für die Menschen in Eimsbüttel. „Ich möchte helfen, auf schöne Art und Weise“, sagt Scheffler.

Bildergalerie: Götterspeise für Arme in Eimsbüttel


  • Kisten voller Lebensmittel: Milchprodukte, Salat und Fleisch.

  • Marco Scheffler ist Initiator der Eimsbütteler „Götterspeise“.

  • Nach Ladenschluss werden die abgelaufenen Lebensmittel aus dem Supermarkt getragen.

  • Etwa 30 Anwohner bedienen sich an diesem Abend bei der „Götterspeise“.

Unterstützung erhält er dabei von den Mitgliedern des Eimsbütteler Salons. „Das sind Leute, die gesellschaftlich, politisch interessiert sind. Und die Lust haben, nicht nur zu reden, sondern auch versuchen, etwas zu verändern“, so Scheffler. Ein Projekt der Gruppe ist das „Bunte Dinner“. Ein nachbarschaftliches Miteinander im Sinn eines Weißen Dinners, das dieses Jahr am 17. August auf dem Else-Rauch-Platz stattfand.

Und täglich präsentiert der Eimsbütteler Salon die „Götterspeise“. So nennen die Mitglieder die Essensausgabe. Marco Scheffler kann derzeit nicht mit anpacken: „Ich habe mir bei einem Fahrradunfall den Fuß gebrochen.“ Im Rollstuhl schieben Chris und die anderen Marco Scheffler in die Osterstraße. Fünf Kisten tragen die Helfer aus dem Supermarkt: Brot, Obst, Gemüse, Fleisch und Milchprodukte.

Scheffler begrüßt in der Zwischenzeit die Wartenden. Viele kennt er inzwischen namentlich. Im vergangenen November startete das Projekt. „Am Anfang gab es Probleme. Manche haben sich ums Essen gestritten“, erzählt Scheffler. Inzwischen hat er ein System entwickelt: Aus einer Blechdose ziehen die Wartenden ihre Losnummer. Dann ruft Scheffler die Nummern nacheinander auf. „Jeder darf sich im ersten Durchgang nur zwei Sachen aus jeder Kiste nehmen“, ergänzt Chris. „Dadurch packen sich die Leute nicht blind die Taschen voll.“

Aussortierte Lebensmittel werden weitergegeben

Denn Scheffler und seine Helfer wollen nicht nur Armen helfen. Sie setzen sich auch für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln ein. Der Aufwand, den sie dafür betreiben, ist enorm. Auch wenn die Essensausgabe nur eine halbe Stunde andauert, ohne die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer wäre die Arbeit nicht zu leisten. Und das wiederum ist gut so: „Es geht darum, dass die Leute anfangen, sich gegenseitig zu unterstützen“, erklärt Scheffler seine Motivation. Im Kleinen gelingt das bereits: „Man trifft hier seine Nachbarn. Einige haben kein Geld, manche sind traurig. Aber wir helfen uns gegenseitig“, sagt Anwohner Conny, der in der Schlange steht. „Das ist unwahrscheinlich gut.“

Bedienen darf sich bei der „Götterspeise“ jeder. Niemand muss seine Bedürftigkeit nachweisen. Häufig kämen neue Leute, berichtet Scheffler. Eine Nachbarin, die erst zum zweiten Mal bei der „Götterspeise“ ist, präsentiert ihre Ausbeute: Stachelbeeren, ein Schoko-Croissant, Tortellini, Bierschinken und Brötchen. „Das reicht dann morgen locker für das Frühstück und das Mittagessen“, sagt sie. Bevor sie wieder nach Hause geht, bedankt sie sich bei Scheffler und seinen Helfern.

Mit der „Götterspeise“ ist Marco Scheffler in Eimsbüttel bekannt geworden. Gute Werbung für ein weiteres Projekt des 45-Jährigen: Als unabhängiger Kandidat möchte er gerne in den Bundestag einziehen. Die etablierten Parteien stellen für ihn keine Alternative dar. „Es ist schwierig, dort seine Vorstellungen durchzusetzen. Ich müsste mich verbiegen und das will ich nicht.“ Sein Anliegen: Er setzt sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Deswegen hat er sich bereits 2009 zur Einzelkandidatur für den Bundestag entschieden. 1295 Stimmen erhielt er damals nur.

Das Ergebnis will er dieses Jahr steigern. Lokal ist Marco Scheffler durch seine Projekte inzwischen gut verankert. Was will er dann in Berlin? „Die rein formellen Dinge, die in Bezirksversammlungen besprochen werden, finde ich nicht so spannend“, entgegnet Scheffler. „Das ist so wie dritte und erste Liga. Und ich spiele eben lieber in der ersten Liga.“ Deswegen zieht er mit seinem mobilen Werbestand seit Wochen durch den Bezirk. Dient die „Götterspeise“ am Ende womöglich nur als Werbeaktion? Das weißt Scheffler klar zurück: „Mir ist die Essensverteilung wichtiger als jede Stimme für den Bundestag.“

Text: Jonas Füllner
Fotos: Mauricio Bustamante