Geschäfte mit der Not

Vermieter schlagen Profit aus der Unterbringung von Obdachlosen – Sozialbehörde kündigt die Verträge

(aus Hinz&Kunzt 137/Juli 2004)

Der Mitbewohner von Ralf (Name geändert) lässt sich nicht stören. Es ist Nachmittag, und er schläft seinen Rausch auf der oberen Matratze des Stockbetts aus. „Hübsch, was?“, sagt Ralf (50) sarkastisch und zeigt sein Reich: Mehr Luxus als das Bett und einen Tisch mit einem Uralt-Fernseher bietet das zwölf Quadratmeter kleine Zimmer nicht. Dazu feuchte Flecken an der Wand. Ein unwohnlicher Raum in einem „Hotel“ am Hamburger Berg (St. Pauli), einer Straße mit vielen Kneipen und Discos, deren Besucher jede Nacht zum Tag machen. Ralf lebt hier seit mehr als einem Jahr. Er teilt sich das Zimmer mit einem Junkie, der ihm schon mal die Herzmedikamente klaut und verkauft, so Ralf. Einmal sei der Typ durchgedreht, habe ihn mit einer Eisenstange auf den Kopf schlagen wollen.

Dabei hat es Ralf noch gut getroffen: „In anderen Zimmern schlafen drei Personen“, sagt er. Die meisten Bewohner haben vorher noch schlechter gelebt: Sie kommen aus dem Gefängnis, vom Plattemachen auf der Straße oder von Notunterkünften wie dem „Pik As“. Die Kosten für alle Bewohner übernimmt derzeit noch das Sozialamt. Und der „Hotelier“ langt kräftig zu: Ralfs Zimmer kostet pro Tag und Person 12,78 Euro. Allein für seine Schlafstatt zahlt das Amt 383,40 Euro monatlich. Das Hotel kassiert insgesamt 766,80 Euro für das winzige, heruntergekommene Zimmer, für die Dreibettzimmer sogar 1150,20 Euro.

Holger Hanisch vom „Cafée mit Herz“, einer Anlaufstelle für Wohnungslose und andere Menschen in Not, die auch Ralf nutzt, regt das auf: „Es ist abscheulich, wie skrupellos manche aus der Not und Abhängigkeit ihrer Mitmenschen Profit schlagen.“ Nach seiner Ansicht sollte das Sozialamt genauer kontrollieren, mit wem es die Verträge abschließt: „Das Geld, das dem Hotelbesitzer in den Rachen geworfen wird, sollte eingesetzt werden, um den Menschen wirklich zu helfen.“

Die Sozialbehörde hat mittlerweile gehandelt. „Wir haben die Verträge mit fünf Hotels auf St. Pauli gekündigt“, sagte Behördensprecherin Anika Wichert. Darunter ist auch die Unterkunft von Ralf. Die Hotels seien ohnehin nur eine Notlösung gewesen, so Wichert, weil der Platz in anderen Einrichtungen nicht ausgereicht habe. Die Bewohner sollen nun bis Ende des Jahres in Unterkünfte von pflegen & wohnen umziehen.

Dass findige Geschäftleute am Wohnraummangel immer wieder gut verdienen, bestätigt Hinz & Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer: „Natürlich ist auch Hinz & Kunzt gegen Mietwucherer. Aber ich muss mit solchen Leuten verhandeln, weil ich froh bin, überhaupt Wohnungen vermitteln zu können.“ Ein Bett in einem heruntergekommenen „Hotel“ zu astronomischen Preisen sei für viele besser, als auf der Straße zu schlafen.

Eine richtige Wohnung allerdings dürfte längst nicht so viel kosten wie das Hotelzimmer. Das Sozialamt übernimmt Wohnungsmieten nur bis 318 Euro. Das heißt nicht, dass der Sozialhilfeempfänger bei einer teureren Wohnung die 318 Euro vom Amt bezahlt bekommt und den Rest von seiner Sozialhilfe abknapsen oder mit dem Hinz & Kunz-Verkauf verdienen darf. Für eine Wohnung, die mehr kostet, zahlt das Amt oft gar nicht. „Zum Glück ist das Landessozialamt bei Mieten, die drei oder vier Euro zu teuer sind, kulant“, so Karrenbauer, „aber die Sozialämter in den Bezirken bestehen oft auf der Höchstgrenze von 318 Euro.“

Die Geschichte von Ralf beweise aber, wie utopisch diese Grenze ist. „Wenn selbst das Sozialamt keine billigeren Unterkünfte findet, müsste die Mietübernahme aufgestockt werden. An den Betreiber der Übernachtungsstelle wird ja auch mehr gezahlt“, argumentiert Karrenbauer. Auf diese Weise könnten auch Menschen wie Ralf eine menschenwürdige Unterkunft finden.

Marc-André Rüssau

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