Wochenrückblick : Flüchtlinge: Alles außer Zelten

Schiffe, Parkplätze, Kasernen: Bei der Suche nach Unterkünften für Flüchtlinge schließen Hamburgs Politiker fast keine Option mehr aus. Dafür will Sozialsenator Scheele sogar Polizeirecht anwenden. Unser Wochenrückblick dieses Mal zum Thema Flüchtlinge.

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Zelte als Notunterkünfte für Flüchtlinge will Sozialsenator Detelf Scheele (SPD) künftig nicht mehr aufbauen. Foto: Dmitrij Leltschuk

„Die Welt ist aus den Fugen“, Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) sagte diesen alarmierenden Satz am Mittwoch in der Bürgerschaft. Am Ende des Abends wurde der Etat für die Betreuung von Flüchtlingen um 148 Millionen Euro auf 300 Millionen erhöht. Zusätzlich wurden 200.000 Euro für Ehrenamtliche bewilligt.

Das Geld wird dringend benötigt: Bis Jahresende muss die Stadt insgesamt 14.000 Plätze bereit stellen, 1500 fehlen noch. „Kein Standort ist verzichtbar“, so SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, der Hilfe vom Bund fordert. Nicht genutzte Kasernen, leerstehende Gebäude aber auch Großparkplätze vor Baumärkten sind im Gespräch. Alles ist recht, nur noch mehr Zelte sollen es nicht sein. „In einer wohlhabenden Stadt kann es nicht sein, dass Flüchtlinge im Winter im Zelt schlafen müssen“, so Dressel. Die will auch der Sozialsenator „unter allen Umständen verhindern.“ Derzeit übernachten 339 Flüchtlinge in der Zentralen Erstaufnahme in Zelten. Scheele hat keine Zeit mehr zu verlieren und greift daher zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Die Behörden sollen Polizeirecht anwenden können. Das bedeutet im Klartext: Flächen und Gebäude können beschlagnahmt werden, wenn „Gefahr im Verzug ist“. Der Hintergrund: Immer wieder kommt es zu massiven Zeitverzögerungen, weil monatelang über Bauanträge entschieden wird (wie bei den Sophienterrassen), was eine kurzfristige Umnutzung verhindert.

Unterdessen konkretisieren sich Pläne, Flüchtlingen wie schon in den 90er Jahren auf Schiffen unterzubringen: Im Hamburger Binnenhafen sollen zunächst 600 Menschen Platz finden. Eine Delegation reiste dafür in die Niederlande, wo es ähnliche Projekte gibt. Nicht alle aber wollen diese Lösung: „Wir halten Schiffe für völlig ungeeignet“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Heimath. Die „positive Entwicklung des Hamburger Binnenhafens“ sei gefährdet, orakeln die Gegner.

Ganz real hingegen sind die Gefahren, vor denen immer mehr Minderjährige aus Staaten wie Syrien, Afghanistan, Libyen und Albanien flüchten. Laut Sozialbehörde waren Ende August 296 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter 18 Jahren gemeldet – offiziell gibt es nur 221 Plätze. Allein in der Erstversorgungseinrichtung Feuerbergstraße halten sich aktuell 92 minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge auf: 48 mehr als vorgesehen. Flüchtlingsinitiativen weisen darauf hin, dass immer wieder Minderjährige vom zuständigen Kinder- und Jugendnotdienst abgewiesen werden: weil sie angeblich erwachsen sind. Anne Harms von Fluchtpunkt kritisiert das willkürliche „Ältermachen schon lange: „Wir haben in vielen Fällen gesehen, dass diese Schätzungen oft jeder Grundlage entbehren.“

Sozialbehörden-Sprecher Marcel Schweitzer räumt ein, dass es vom 15. bis 20. August einen „begrenzten Aufnahmestopp“ für Jugendliche gegeben habe, die „offensichtlich oder nach eigenen Angaben über 14 Jahre waren“. Es werde aber niemand „weggeschickt“ ohne einen „Hinweis“, dass er sich bei einer Flüchtlingsorganisation rechtlich beraten lassen kann. Laut Fluchtpunkt jedoch wüssten die Betroffenen oft nicht, wo sie hin sollen und fühlen sich allein gelassen.

Bei vielen Flüchtlingen liegen die Nerven blank: Das Abendblatt berichtet von einer Massenschlägerei unter 100 Flüchtlingen nahe der Unterkunft Schnackenburgallee, in der mittlerweile 1100 Menschen auf engstem Raum untergebracht sind. Tags darauf musste die Polizei erneut nach Stellingen ausrücken: Flüchtlinge besetzten neu aufgestellte Container, die schon für andere Flüchtlinge vorgesehen waren. Dabei sollen auch Sicherheitskräfte angegriffen worden seien. Sollten Zweifler noch nach einer Begründung für Scheeles Satz „Die Welt ist aus den Fugen“ gesucht haben, hier wird er auf traurige Weise fündig.

Das darf nicht so bleiben, sagt Dirk Ahrens, Landespastor und Diakonie-Chef: „Wir können und wollen die Flüchtlinge nicht ihrem Schicksal überlassen. Genauso wenig wie Wohnungslose dürfen Flüchtlinge ohne ein festes Dach über dem Kopf bleiben.“ In den 90er Jahren seien bereits „wesentlich mehr Menschen untergebracht“ worden. Hamburg habe eine „lange und großartige Tradition bürgerschaftlichen Engagements.“ Ahrens: „Ich bin überzeugt: Hamburg schafft das!“

Text: Simone Deckner
Foto: Dmitrij Leltschuk

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