Erst gefeiert, dann gefeuert

Eben noch Party mit den Kollegen am Polarkreis, dann muss man sie entlassen. Ein Erfahrungsbericht aus der Werbung von Jens Ade

(aus Hinz&Kunzt 157/März 2006)

23 Jahre habe ich in der bunten Welt der Werbung verbracht. Ich habe diverse Agenturen, Inhaber und Kollegen kennen gelernt, für die unterschiedlichsten Kunden und Branchen gearbeitet und dabei viel Spannendes, Schönes und Faszinierendes erlebt. Die letzten sieben Jahre habe ich mich für eine internationale Werbeagentur engagiert, zuletzt als Geschäftsführer Beratung und Managing Director des Hamburger Büros. Zeitweise waren wir 70 bis 100 Werber, die für Kunden wie Mars, Philips, Procter oder Lego arbeiteten.

Der „normale“ Alltag war immer mit ein wenig Hektik und Irrsinn verbunden: Man sprang von einem Meeting in das nächste, kreative Ideen wurden geboren, getötet oder erschienen wirklich auf dem Fernsehschirm, Arbeit am Abend, in der Nacht und am Wochenende war üblich, bei Neu-Kunden-Gewinnen gab es krachende Parties, das Fünf-Jahre-Agentur-Jubiläum wurde am Polarkreis gefeiert, und viele neue Beziehungen wurden dabei begründet. Ohne dass man es wollte, gratulierte einem die Lufthansa plötzlich mit diesen bei manchen Kollegen überaus begehrten roten Kofferanhängern. Ich muss zugeben: dieses anarchische Treiben hat seinen Charme – vorausgesetzt, man kann sich eine gewisse Distanz und Menschlichkeit bewahren und sich die szenebekannten Choleriker, Beta-Blocker-Fresser und Intensiv-Kokser vom Leibe halten.

Für mein circa 25-köpfiges Team war Mars einer unserer Hauptklienten. Wir betreuten den deutschen Kunden quer durchs Markenportfolio – Mars und Twix, Uncle Ben’s und Whiskas, Frolic und Catsan, Trill und Cesar. In den sieben Jahre intensiver Arbeit hatten wir uns ein sehr gutes Standing erarbeitet. Über Deutschland hinaus.

Wenn man eng am Kunden ist, bekommt man mit, wenn es kriselt. Besonders kritisch, wenn das aus der US Zentrale des Kunden kommt. Wie häufig hatten wir schon darauf hingewiesen, dass auf internationaler Top-Ebene die anderen Agenturen besser besetzt sind und uns das Wasser abgraben.

Aber unsere Internationals reagierten genauso wenig wie der deutsche Agenturchef. Und so kam dieser Montag im Mai. Ich machte morgens meinen Computer an, checkte die Mails und las die kurze Notiz, die mir aus unserer New Yorker Zentrale kommentarlos weitergeleitet worden war: „Der Vertrag zwischen Mars und der Agentur wurde gekündigt mit einer Frist von 90 Tagen.“

Mein Gedanke: sieben Jahre Engagement für Mars bedeuten sieben mal 365 Tage mal 24 Stunden macht 61.320 Stunden. Es bleiben noch 90 Tage mit 2160 Stunden. Summa summarum kannst du jetzt 63.480 Stunden deines Lebens über die Schulter werfen. Da kommt schon eine stattliche Portion Frust auf, wenn nach all dem Engagement und der Leidenschaft alles für die Katz gewesen ist.

Inhaltlich war dagegen gar nichts zu sagen, aber bekanntlich macht der Ton die Musik, und selbst in atonalen Branchen sollte man einen gewissen Stil der Menschlichkeit und Fairness wahren. Sollte!

Schon früher hatte ich mit Einstellungen und Kündigungen zu tun – das gehört zu den Aufgaben eines Geschäftsführers. Ich erinnere gut, wie ein Kollege nach einem Jahr bester Arbeit plötzlich einen eklatanten Leistungsabfall hatte; ein Kunde rief mich an und bat, ihm diesen Mann nicht mehr zu schicken. In dem Fall ist der Kunde leider König. Ich ließ den Kollegen fortan für einen anderen Kunden arbeiten und führte lange Gespräche mit ihm, woran es liege. Private und berufliche Hilfestellungen fruchteten leider nicht, ich musste ihm kündigen. So etwas fiel mir nie leicht, schließlich nimmt mancher so einen Vorgang leicht als menschliche Abwertung. Und es ist ja für die Betroffenen keinesfalls einfach, etwas adäquates Neues zu finden. Wenn ich insgesamt aber die Überzeugung hatte, mich menschlich fair, offen und ehrlich verhalten zu haben, dann konnte ich einigermaßen unbelastet nach Hause gehen und abends beim Zähneputzen frei in den Spiegel sehen.

Nach dieser globalen Kundenkündigung hatte ich relativ schnell den Auftrag meines Deutschlandchefs und seines gehorsamen Finanzchefs auf meinem Tisch: „Nach 90 Tagen wird dir der Betrag x im Endergebnis deiner Abteilung fehlen, also arbeite ein Konzept aus, wie du das wieder ausgleichen willst.“ Da auch in Werbeagenturen sechs Richtige im Lotto und vom Himmel fallende neue Etats die Ausnahme sind, ist der Ausgleich von weniger Einnahmen nur mit weniger Kosten möglich, sprich Personaleinsparung.

Also ließ mir der Finanzchef eine Personalliste vom Junior- bis zum Senior-Berater zukommen, und ich hatte dann das zweifelhafte Vergnügen, die Leute anzumarkern, die ich freisetzen würde. Wenn man kein kalter Fisch ist, ist es ein wenig erstrebenswerter Job, über Menschen zu entscheiden, die man kennt, die mit einem seit Jahren vertrauensvoll arbeiten und die auch nicht ohne weiteres eine neue Perspektive haben.

Und viele der Kollegen haben natürlich auch ein Gefühl dafür, dass „etwas passieren muss“. Man spürt auf den Fluren die Angst um den Job, die Unsicherheit, wen es treffen wird. Man bekommt angstbeladene Gespräche und Vermutungen mit. Langjährige Kollegen flüchten sich in den Grundsatz „Last In – First Out“ – die werden ja wohl den Neulingen zuerst kündigen! Oder hoffen darauf, dass eine allein erziehende Mutter nicht auf der schwarzen Liste stehen kann. Da muss es doch eher den Single aus dem Nebenbüro treffen.

Der Finanzvorstand machte auch noch eine Rechnung auf: „Wenn du selbst den Job des einen Seniors machst, sparst du dir dessen dickes Gehalt. Sag mal, ist der nicht sowieso ausgebrannt? Hast du nicht auch das Gefühl, der hat ein Alkoholproblem? Dafür kannst du dann die beiden Junioren halten.“ Erstaunlich, wenn „Human-Kapital“ nur noch eine Rechengröße wird und jedes Gesicht, jede Persönlichkeit verliert.

Um es kurz zu machen: Ich habe mir einen Plan abgerungen, der nach meiner Einsicht erstens sozial einigermaßen verträglich war und der zweitens mein Team aus meiner Sicht weiterhin schlagkräftig sein ließ. Der oben genannte ältere Senior wäre weiter Mitglied dieses Teams geblieben. Dann kamen die „fachkundigen“ Einschätzungen des Deutschlandchefs in Abstimmung mit seinem linientreuen Finanzchef, die beide nur sehr bedingt die Mitglieder meines Teams einschätzen konnten, denn nicht sie, sondern ich hatte ja sieben Jahre mit ihnen zusammengearbeitet. Mein Plan wurde auf den Kopf gestellt, die Karten neu gemischt – und der ältere Senior war draußen.

Das Stilvollste: Der Finanzchef sagte zu mir, „jetzt müssen wir ja dem Senior die Kündigung aussprechen. Am besten, du sagst vorher nichts zu ihm und bringst ihn am Dienstag um neun Uhr in mein Büro, und wir kündigen ihm dann zusammen.“ Ich habe meinem Mitstreiter über sieben Jahre lieber selbst unter vier Augen die traurige Botschaft überbracht. Was dem Finanzchef wahrscheinlich lieb war.

Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Zwei Wochen nachdem ich alle Kündigungen in meinem Team ausgesprochen hatte, wurde ich selber betriebsbedingt gekündigt.

Was am bittersten an der ganzen Geschichte ist: Inzwischen ist die gesamte Agenturkette weltweit ausradiert, von der Konkurrenz geschluckt. Der Agentur- und der Finanzchef haben einen neuen Job. Wieder in der Werbung. Gönnen wir es ihnen.

Auch ich habe eine neue Aufgabe gefunden. Nur der Senior ist mit 44 Jahren bisher auf der Strecke geblieben. Nachdem es in Deutschland nach Arbeitslosen- und Überbrückungsgeld und diversen Bewerbungen nichts mehr geworden ist, versucht er es nun im Ausland. Wir schreiben uns noch regelmäßig, und du weißt, Alter, ich drück dir die Daumen. Alles Gute in der Ferne.

PS:Weit verbreitet ist auch die Methode, einen nicht mehr erwünschten Kollegen in ein abgelegenes „Sterbezimmer“ zu setzen oder an den Praktikantentisch im Flur. Versieht man ihn dann noch mit den übelsten Aufträgen, kündigt er vielleicht von selbst – und der Finanzchef hat die Abfindung gespart. Noch perfider ist der Anruf des Deutschland-Chefs beim Chef einer anderen Agentur: „Wirb du uns doch den Kollegen ab und feuere ihn in der Probezeit, dann hast du bei mir einen gut.“

Autor: Jens Ade