Endlich zu Hause

Von der Parkbank in den Altbau: Hotte und andere Hinz&Künztler zeigen ihr Heim und ihre alte Platte

(aus Hinz&Kunzt 189/November2008)

Früher zugige Unterschlupfe, heute Erholung auf der Sofagarnitur – sieben Hinz&Künztler in zwei Welten

War Enrico Tuchard gezwungen, die Nacht im Freien zu verbringen, blieb er schlaflos. „Höchstens ein paar Stunden dösen im Sitzen“ waren drin. Auf den Holzbänken im Alsterpark oder am Hauptbahnhof hat er sich nie sicher gefühlt. Wenn es irgendwie ging, ist der 32-Jährige bei Bekannten untergekrochen. Richtig zur Ruhe kommt er aber erst, seit er seine eigenen vier Wände hat. Enrico ist ein Einzelgänger, nur selten steigt mal Besuch die vielen Stufen hoch zu seinem Nest im 4. Stock des Eimsbütteler Altbaus. Seit einem Jahr hat er hier seinen Lebensmittelpunkt: Ruhig ist es, die Fenster mit Tüchern abgedunkelt, die Räume schon im Frühherbst voll beheizt. „Ich hol mir immer so schnell ’ne Erkältung“ und „Tageslicht hab ich nicht so gern“, sagt er noch, während er seine Wohnungstür sorgfältig abschließt.

„Das Highlight ist das Badezimmer“, sagt Karin Rumelies. Seit Juli 2004 lebt sie mit ihrer vierjährigen Tochter in Langenfelde – und freut sich immer noch über ihre eigene Dusche. Vorher hat sie fünf Jahre lang im Sozialhotel „Paulinenhof“ gewohnt und sich mit 30 anderen ein Bad geteilt. „Alle Bewohner waren auf irgendwas drauf, die Dealer sind ein- und ausgegangen“, sagt die 41-jährige Karin. Keine Umgebung für ein Kind – deswegen schaffte die damals Hochschwangere den Absprung in ein eigenes Zuhause. Ihrer Tochter zeigt sie das Gebäude immer, wenn sie daran vorbeikommen: „Hier bist du entstanden.“ Heute ist der „Paulinenhof“ mit Brettern vernagelt. Im Park gegenüber treffen sich jetzt nicht mehr Drogenhändler und Süchtige, sondern Kinder zum Spielen.

Eigentlich darf Pauli sich nicht auf die neue Sofagarnitur legen, aber fürs Foto wird eine Ausnahme gemacht. Der 13-jährige Schäferhund-Collie-Mischling wohnt hier schließlich zusammen mit seinem Herrchen Dieter Redenz. Der ehemalige Hinz&Kunzt-Vertriebsleiter ist vor 14 Jahren in die Wandsbeker Erdgeschosswohnung zu seiner Lebensgefährtin gezogen. Nachdem er 1991 seine Wohnung in Walsrode verloren hatte, ist er zwei Jahre lang herumgezogen. In Hamburg hat er sich sieben Monate lang im Rohbau eines neuen Wohnhauses auf der Seilerstraße eingerichtet: „Das war gar nicht übel. Mit den Bauarbeitern habe ich mich richtig gut verstanden. Ich habe nachts die Baustelle bewacht und die haben mir eine Matratze und ein Federbett spendiert.“ Trotzdem ist der 65-Jährige heilfroh, in sein Zuhause zurückzukehren – wo Pauli sich um die Nachtwache kümmert.

„Hier könnte man heute gar nicht mehr auspennen“, sagt Axel Hammer über seinen alten Schlafplatz. Auf einer Bank im Kirchhof der St.-Pauli-Kirche hat er sich so manche Nacht ausgestreckt. Die Bank ist weg und mit „Park Fiction“ ist es rund um den Kirchhof heute viel belebter. Es ist schließlich schon gut 15 Jahre her, dass Axel hier Platte gemacht hat. Das Schild am Eingangstor gab es damals schon: Abends wird der Kirchhof geschlossen – für den gelernten Schlosser kein Hindernis. Er hat auch am Altonaer Bahnhof oder auf der Mönckebergstraße geschlafen – wo er eben gerade umgefallen ist, wenn er mal wieder getrunken hatte. Seit zweieinhalb Jahren ist er trocken. In seiner gemütlichen Zwei-Zimmer-Wohnung in der Springeltwiete lebt er seit zehn Jahren. „Ich will nirgendwo anders mehr hin“, sagt der 65-Jährige – schon gar nicht auf die Straße, wo er tierische Angst bekam, wenn ihn nachts streunende Katzen besuchten.

Manchmal hat sich über Nacht eine Eisschicht auf seinem Schlafsack gebildet. Mehrere Jahre übernachtete Fritz Krenz im zugigen Durchgang unter der Mundsburger Brücke. „Wenn es noch mal so kommen sollte, würde ich halt wieder hier schlafen“, sagt der 51-Jährige lakonisch. Er weiß sich zu arrangieren. In seine Wandsbeker Ein-Zimmer-Wohnung ist er erst vor 14 Tagen eingezogen, doch gemütlicher könnte es hier auch nach 14 Jahren nicht sein: Neben der einladenden Sitzgruppe blubbert ein Aquarium, in der Küche steht frisches Obst bereit und im Vitrinenschrank Plätzchen zum Kaffee. Trotzdem: Fritz hält es nie lange drinnen aus. Mit seiner Hündin Paula ist er oft und lang im Hamburger Westen unterwegs – bei Wind und Wetter.


Peter Reinhardt
mochte das Plätschern. „Ich hab mir zum Schlafen am liebsten Plätze am Wasser gesucht. Fünf Jahre verbrachte er im Drogenrausch auf Hamburgs Straßen, an Landungsbrücken und Kanälen. Auch Wilhelmsburger Winter sind hart: Zum Glück fand er am Ufer des Veringkanals eine überdachte Stelle. Ironie des Schicksals: Seine vorige Wohnung wurde nach einem Brand im darüberliegenden Geschoss von Löschwasser komplett ruiniert. Heute lässt er die Fenster seiner Zwei-Zimmer-Wohnung im Hamburger Süden auch – oder vor allem – bei Regen weit offen stehen. Sauber und aufgeräumt wie das Zuhause des 47-Jährigen sind auch seine Zukunftspläne: Nächstes Jahr will er vollkommen clean und ohne Wohnung will er nie wieder sein.

„Ja, nee, mir geht’s gut“, betont Horst Knauer, den alle als Hotte kennen, immer wieder. Vielleicht muss er sich auch selbst manchmal noch sagen, dass er sich richtig entschieden hat. Nach zwanzig Jahren auf der Straße ist er vor drei Monaten ins Containerdorf der Neue Wohnung gGmbH in Barmbek gezogen. Ein Quantensprung: Lange wehrte der 69-Jährige sich gegen die Versuche von Sozialarbeitern und Freunden, ihn unterzubringen. Nun ist er froh über sein eigenes Bett: „Ich kann schlafen, wann ich will, und ich kann aufstehen, wann ich will.“ Hottes Nachbarn besorgen die Einkäufe und niemand nervt ihn, wenn er für sich sein will: „Ich fühl mich wohl“, beteuert er.

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