Ein jeder aber kann das nicht…

Das „Tüdelband“ kehrt nach Hamburg zurück- mit einem Film, Theater und viel Musik

(aus Hinz&Kunzt 127/September 2003)

Der junge Mann hat eine komische blaue Stoffkappe auf dem Kopf und trägt eines dieser blau-weiß gestreiften Fischerhemden. Mit federndem Schritt läuft er auf den Bootsanleger hinter der Fischauktionshalle und singt leise vor sich hin: „An der Eck steiht ’nen Jung mit nem Tüdelband, in der ander Hand ’nen Butterbrot mit Käs…“ Er grinst dabei etwas verlegen in die Kamera, und sein Akzent ist offensichtlich amerikanisch.

Der junge Mann ist Dan Wolf, 29, Rapper und Schauspieler aus San Francisco. Das Lied ist eine heimliche Hamburger Hymne. Die komische Mütze und das Fischerhemd gehörten früher Dans Urgroßvater Leopold Wolf. Gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig gründete er ein komisches Gesangsduo, das in den zwanziger und dreißiger Jahren weit über die Grenzen Hamburgs hinaus berühmt war. Die beiden haben auch das Lied vom Tüdelband erfunden.

Das wissen nicht nur die meisten Hamburger nicht, das hatte auch Dan Wolf nicht gewusst – bis er vor vier Jahren Besuch von einem Hamburger Filmemacher bekommt. Der spielt ihm Lieder in eine Sprache vor, die er nicht versteht, zeigt ihm alte Notenblätter, Programmzettel und vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos: sein Urgroßvater auf unterschiedlichen Bühnen in einem blau-weiß-gestreiften Hemd mit einer komischen blauen Mütze auf dem Kopf.

Genau die Kleidungsstücke, die er ein paar Monate zuvor in einer alten Aktentasche auf dem Dachboden seines gerade verstorbenen Opas Donat gefunden hatte. Zusammen mit einem Brief, in dem Donat seinem Enkel Dan zum ersten Mal beschreibt, dass und wie er 1943 vor den Nazis aus Deutschland hatte fliehen müssen.

Auch dazu kann ihm der Hamburger Filmemacher Jens Huckeriede mehr erzählen, denn er hatte sich schon seit fast zehn Jahren mit Dan Wolfs Familiengeschichte beschäftigt. Jener unfassbaren Geschichte der Hamburger Gebrüder Wolf, die erst als Künstler Erfolge feiern, dann als Juden verfolgt werden und nach dem Krieg vollständig in Vergessenheit geraten – obwohl noch immer jeder das Lied vom „Tüdelband“ kennt.

„Bei einer Kunstaktion, die an das jüdische Leben in Altona erinnern sollte, haben wir 1994 mal den Liedtext auf den Bürgersteig geschrieben“, erinnert sich Jens Huckeriede. „Die Leute sind fast alle stehen geblieben, manche haben sofort angefangen zu singen, andere haben Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt, die sie mit dem Lied verbinden – und niemand wusste, vom wem es war.“

Wenn er dann von den Hamburger Juden und jüdischen Hamburgern Leopold und Ludwig Wolf erzählt habe, seien die Leute immer überrascht gewesen, „aber auch neugierig. Ganz anders als diese abwehrenden Reaktionen, die sonst oft kommen, wenn man über jüdische Geschichte reden will.“ Damals hatte er beschlossen, einen Film zu machen, der das Leben und die Kunst der Gebrüder Wolf wieder in Erinnerung rufen sollte – und dieser Plan führte ihn schließlich nach San Francisco, zu Dan Wolf, dem Rapper.

„Das Verrückte war“, sagt Jens Huckeriede, „dass ich immer schon überzeugt war, dass die Wolfs, wenn sie heute lebten, Rapper wären.“ Vielleicht lag es daran, dass zwischen Dan und ihm „sofort ein Draht war, obwohl ich damals ziemlich schlecht Englisch sprach und er kein Wort Deutsch“. Schnell war zwischen den beiden klar: Dan Wolf würde sich auf den Weg machen, seine Familiengeschichte zurückzuerobern. Und Jens Huckeriede würde ihn dabei mit der Kamera begleiten.

So sieht man nun im Film „Return of the Tüdelband“, wie Dan Wolf durch die Hamburger Neustadt oder durch St. Pauli streift, zu den Orten, die im Leben seiner Urgroßeltern und Großeltern so wichtig waren. Er geht in die Synagoge und zum Fußball, nach Neuengamme und zum alten Flora-Theater und spürt, wie er sich denen, „die mir früher immer etwas fremd waren, jetzt nahe fühlt“. Er, der sich oft gefragt hat, warum es ihn schon als Kind zum Theater zog, begreift sich jetzt als Sprössling einer Künstlerfamilie.

Gemeinsam mit seiner amerikanischen Band „Felonius“ macht sich Dan die hamburgischen Laute des „Tüdelbandes“ zu eigen. Sie beginnen damit zu spielen, Text und Musik von damals mit ihrem heutigen Leben zu verbinden. In historischen Fotos und knapp gehaltenen Texten vermittelt der Film dazwischen die nötigen historischen Hintergrundinformationen – doch die Hauptrolle spielt die Gegenwart.

Jens Huckeriede macht Dan mit Hamburger Musikern wie Fink oder den Hip-Hoppern von Trainingslager bekannt, mit denen er inzwischen richtig befreundet ist. Im Film kann man sehen, wie die Jungs von Felonius gemeinsam mit den Jungs von Trainingslager den Bunker unter dem Bismarckdenkmal mit seinen Nazi-Durchhalteparolen erkunden. Plötzlich fangen sie dort an, jeder für sich zu rappen. In diesem Moment wird mehr als nur eine Erinnerungslücke in der Familiengeschichte geschlossen.

Dan Wolf hat seine künstlerischen Wurzeln entdeckt und verarbeitet sie auch in einem Theaterstück. „Ich bin zurückgekehrt an den Anfang. Ich bin Leopold und Ludwig und James und Donat. Deutsch und jüdisch. Stark und frei. Verängstigt und unterdrückt. Wir verbinden die Vergangenheit mit der Gegenwart und erschaffen eine Zukunft. Endlich findet meine Familie ihren Frieden.“

Jens Huckeriede dokumentiert Dans Eroberung der eigenen Geschichte und gibt auch den Zuschauern eine Chance: wieder zu entdecken, was die Nazis für immer aus der Erinnerung tilgen wollten. Deshalb – und weil es auch heute noch ein toller Song ist – sollte „Tüdelband“ noch einmal ein Hit werden. Einer, den man laut singen kann, weil man jetzt seine wahre Geschichte kennt.

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