Die ungeliebten Kranken

Wie das AK St. Georg Obdachlose behandelt – oder auch nicht

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Christopher William schüttelt den Kopf. Der Krankenpfleger, der für die Mobile Hilfe der Caritas arbeitet, kann immer noch nicht glauben, was er vergangenen Herbst erlebte. Damals versuchte er, einen schwer kranken Obdachlosen im Allgemeinen Krankenhaus (AK) St. Georg behandeln zu lassen. Der Mann hatte eine große offene Wunde am Bein, eitrig, verrottet und geschwollen. So saß er seit Wochen in der Innenstadt, umkreist von dicken Fliegen, und bettelte.

Immer wieder versuchten die Mitarbeiter des Caritas-Busses, den Mann zu bewegen, sich helfen zu lassen. Endlich willigte er ein – aber nur zu einer Klinikbehandlung.

William fuhr mit dem Patienten in die Notfallaufnahme des AK St. Georg. „Nichts haben die Ärzte gemacht“, sagt der 45-Jährige. „Sie haben ihn nicht mal angefasst!“ Obwohl die Wunde dem erfahrenen Pfleger zufolge schon den Knochen angegriffen zu haben schien, schickte man die beiden Männer von der Chirurgie in die Dermatologie. Mit demselben Ergebnis: Trotz Williams Angebot, der unter Überlastung klagenden Ärztin zu assistieren, habe sie die Wunde weder untersucht noch gereinigt, nur kurz darauf gedrückt und gesagt: „Das ist kein Fall fürs Krankenhaus.“

„Die wollten einfach nichts damit zu tun haben“, sagt William. „Wenn die Humanität fehlt, bleibt nur noch Bürokratie übrig, kein Gefühl, keine ärztliche Neugier“, so der Pfleger fassungslos.

Schwere Vorwürfe. Aber Christopher William ist nicht der Einzige, der sich über den Umgang mit Obdachlosen besonders in der Notaufnahme des AK St. Georg beklagt. Immer wieder erzählen auch Hinz & Künztler, trotz eines Notfalles nicht mal untersucht worden zu sein.

So wie Verkäufer Uwe, der im Dezember während eines Besuchs im Landessozialamt umkippte und erst im Krankenwagen wieder zu sich kam. „Sie müssen richtig durchgecheckt werden“, habe der Notarzt auf dem Weg ins AK St. Georg gesagt. Dort wurde dem 41-Jährigen eine Infusion gelegt und bedeutet, er könne jederzeit gehen. Die Infusion lief nicht durch, aber darum habe sich niemand gekümmert. „Es könnte ein epileptischer Anfall gewesen sein“, sagt der Hinz & Künztler, der vor Jahren unter dieser Krankheit litt und die Symptome kennt. Untersucht wurde er nicht.

Das AK St. Georg erklärte gegenüber H&K nur, Gespräche mit der Caritas seien geplant. Für weitere Stellungnahmen verwies es auf den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK), der nach mehrmaliger Anfrage mitteilen ließ: „Alle Menschen werden in den Häusern des LBK gleich behandelt, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status. Das schließt Obdachlose ausdrücklich mit ein.“

Ein Krankenhaus-Mitarbeiter (Name der Redaktion bekannt) sieht das anders: „Obdachlose gelten als ungeliebte Klientel. Sie stinken, sind verlaust, schmutzig – und weil sie sich oft nicht wehren können, werden sie schlecht oder gar nicht behandelt.“ Die Arbeitsbelastung in den Notaufnahmen sei extrem hoch, bringt er zur Entschuldigung an.

Obdachlose – erst recht wenn psychische Beeinträchtigungen hinzukämen – seien zudem schwierige und zeitaufwändige Patienten. Dennoch: „Leute, die gut gekleidet und gepflegt sind und aussehen, als könnten sie ihre Rechte durchsetzen, werden eindeutig besser behandelt.“ Gegenüber Obdachlosen, deren Behandlung in der Regel das Sozialamt bezahlt, sei der Umgangston dagegen oft „unglaublich“.

Auch die Mitarbeiter der Mobilen Hilfe wissen um die Arbeitsbelastung des Krankenhauspersonals. Früher, so Schwester Annette Wyrwol, gab es zudem in jeder Klinik eine kleine Hautabteilung. Heute können bei Notfällen nur noch das AK St. Georg und die Uniklinik helfen. Kein Wunder also, dass die Ärzte des city-nahen AK St. Georg viele obdachlose Patienten behandeln müssen, die häufig unter schweren Hautkrankheiten und Wunden leiden. Aber: „Wir machen uns vorher Gedanken, wo wir die Leute hinfahren, ob es wirklich nötig ist und ob der Patient es will“, sagt der Arzt Stanislaw Nawka, der seit sieben Jahren für die Mobile Hilfe im Einsatz ist. Werden Obdachlose dann von den Krankenhausärzten abgewiesen oder abfällig behandelt, hat das oft fatale Folgen: Teils wochenlange Überredungskünste, sich endlich in die Klinik zu begeben, sind im Nu zunichte gemacht. Die Patienten gehen lieber wieder.

Und noch etwas kritisieren die Mitarbeiter der Mobilen Hilfe: „Wir müssen häufig die Fehler ausbügeln, die der nachlässigen Behandlung im AK St. Georg geschuldet sind“, so Christopher William. Wunden werden nicht korrekt gesäubert, Haare vor dem Nähen nicht entfernt. Mit unter den Verbänden faulenden, verklebten und aufgeweichten Wunden landen die Patienten schließlich im Bus der Caritas.

Deren Mitarbeiter geben sich mehr Mühe. „Wir machen die Leute regelrecht bühnenreif“, so Wyrwol. Die meisten Kranken würden sich in der Krankenstube für Obdachlose im ehemaligen Hafenkrankenhaus rasieren und waschen, bevor sie von einem niedergelassenen Arzt eine Krankenhauseinweisung erhalten. Oft ohne Erfolg: „Häufig stehen die Patienten ein paar Stunden später wieder vor der Tür “, sagt Klaus Scheiblich, Pflegedienstleiter der Krankenstube. Dabei sind die 14 Betten durchgehend belegt – mit all jenen, die nicht krankenhausreif sind, aber ein Bett und Pflege anstelle einer Parkbank benötigen, um sich auszukurieren.

Letztlich entscheiden aber die Krankenhaus-Ärzte, ob sie eine stationäre Behandlung für nötig halten. Diese Entscheidung fällt offenbar häufig anders aus als bei den Kollegen außerhalb der Klinik, wenn es sich um Obdachlose handelt. Die Schuld dafür wird den Patienten zugeschoben. „Alle Patienten werden in gleicher Weise über ihre Erkrankung, die damit verbundenen Risiken sowie die Behandlungsempfehlungen aufgeklärt. Zu einer erfolgreichen Behandlung gehört allerdings auch die Bereitschaft der Patienten, den Empfehlungen zu folgen. Diese Bereitschaft ist leider nicht bei allen Menschen vorhanden“, so der LBK.

„Mit den Füßen könnte man trampeln“, sagt dagegen Schwester Elsbeth über die aufnehmenden Ärzte im AK St. Georg. Die Ordensschwester, die über 45 Jahre Pflegeerfahrung verfügt, versuchte einen obdachlosen, psychisch kranken Mann im AK St. Georg unterzubringen. Schon zwei Jahre zuvor hatte ein niedergelassener Arzt festgestellt, dass dessen zum Teil abgestorbenes Bein nicht zu retten sein würde. Ende November vergangenen Jahres wurden die offenen Füße des Mannes schlimmer, das Bein schwarz.

Doch im AK St. Georg schickten die Ärzte ihn und seine Begleiterin fort. „Wir sind doch kein Pflegeheim“, hätten sie zu hören bekommen. „Sie haben ihm ’ne Wanne zum Füße waschen hingestellt und ihm ein Paar neue Socken gegeben. Sie haben nichts verbunden, ihm noch nicht mal beim Reinigen der wunden Füße geholfen“, so Schwester Elsbeth – trotz ärztlicher Einweisung.

Auch der zweite Versuch Mitte Dezember scheiterte, ebenfalls trotz Einweisung und obwohl der Patient kaum noch laufen konnte. „Den behalten wir nicht hier, da können sie noch so fordernd sein“, hätten die Ärzte gesagt. Mit Hilfe eines Taxifahrers und einem Rollstuhl brachte die verzweifelte Frau ihren Schützling in die völlig überfüllte Krankenstube für Obdachlose. Von dort wurde der Mann erneut ins AK St. Georg eingewiesen und endlich stationär aufgenommen, um ihm Bein zu amputieren.

Annette Bitter

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