Diakonie-Studie : Respekt im Jobcenter Fehlanzeige?

Der Umgangston in Hamburgs Jobcentern ist häufig respektlos und herabwürdigend. Das zumindest ist das Ergebnis einer qualitativen Studie der Diakonie, die jetzt vorgestellt wurde. Betont wird: Das sind keine Einzelfälle!

19 Leistungsempfänger und elf Experten hat die Diakonie in der Studie befragen lassen.

„Dramatisch“ sei die Situation in den Jobcentern, sagt Diakonie-Vorstandsmitglied Gabi Brasch. Die Behandlung der Leistungsempfänger durch ihre Sachbearbeiter sei häufig miserabel: „Viele fühlen sich wie Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse behandelt.“ Sie schildern die Behandlung oft als entwürdigend, intransparent und rechtswidrig und haben manchmal sogar Angst, das Jobcenter aufzusuchen. Das ist das Ergebnis einer qualitativen Studie der Hamburger Diakonie. Mit 19 Arbeitslosengeld-II-Empfängern und elf Experten aus Beratungsstellen haben Forscher im Auftrag der Diakonie Interviews geführt, um das Verhältnis zwischen dem „Dienstleister“ Jobcenter und ihren „Kunden“, den Leistungsempfängern, zu beleuchten. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, welche negativen Erfahrungen die Betroffenen im Detail machen.

Das Problem fängt für viele schon beim Betreten des Jobcenters an. Denn schon die Architektur habe häufig abschreckenden Charakter, so die Studie. Eine 20-jährige Interviewpartnerin sagte: „Wenn man da in dieser Schlange steht und man hört die ganzen Probleme der anderen und man kriegt mit, wie die Mitarbeiter dann über diese Probleme einfach immer hinweg schauen und dann will man eigentlich sofort wieder umkehren und wieder weg und da gar nicht wieder rein!“ Angeblich witzige Büroposter mit Aufschriften wie „Mittagspause 12-17 Uhr“ vermittelten den Leistungsbeziehern ein Gefühl, grundsätzlich zu stören, bemängeln andere. Diakonie-Vorstand Gabi Brasch fordert deswegen eine „ansprechende und bürgerfreundliche Atmosphäre“ in den Jobcentern. Doch das kann nur der Anfang sein, wie die Ergebnisse der Forscher zeigen.

In drei unterschiedliche Kategorien haben sie die schlechten Erfahrungen der Leistungsbezieher eingeteilt. Zunächst werde die bürokratische Abwicklung von den Betroffenen als schikanös erlebt. „Das Vertrauen in einen ordnungsgemäßen bürokratischen Ablauf wird auch durch die typische Erfahrung unterminiert, dass im Briefkasten des Jobcenters eingeworfene Unterlagen ihre Empfänger/innen im Haus nur selten erreichen“, heißt es dazu in der Studie. Zweitens sei die Ansprache der Leistungsbezieher durch Sachbearbeiter oft respektlos und herabwürdigend. Außerdem seien die Betroffenen auf der rechtlichen Ebene mit „eklatanter Unzuverlässlichkeit und großer Intransparenz“ konfrontiert.

Seit Jahren schon beschweren sich Betroffene über unwürdige Behandlung

Wirklich überraschend sind die Ergebnisse nicht. Seit Jahren gibt es immer wieder Beschwerden über unwürdige Behandlung von Leistungsbeziehern in Jobcentern. „Wir haben aber noch nie so genau auf Einzelfälle geguckt“, sagt Brasch. Erschrocken sei sie darüber, dass fast jeder der Befragten ähnliche Erfahrungen gemacht habe. „Da kann man nicht mehr von Einzelfällen sprechen.“ Zwar ist die Studie nicht repräsentativ, da nur relativ wenige Interviewpartner befragt wurden und diese nicht zufällig ausgewählt wurden. „Unsere Ergebnisse sind aber schon verallgemeinerbar“, unterstreicht Forscherin Kathrin Englert. Denn andere Befragungen, unter anderem von der Agentur für Arbeit selbst, kämen zu ähnlichen Ergebnissen.

Woran liegt es, dass so viele Menschen sich über Schikane im Jobcenter beklagen? Ein Aspekt sei der Paradigmenwechsel, der in den Behörden mit der Einführung von Hartz IV Einzug gehalten habe, sagt Wolfgang Völker von der Diakonie: „Der Gedanke des Forderns führt dazu, dass die Existenzsicherung nachrangig behandelt wird.“ Hauptsache Arbeit, scheint die Devise – egal wie. Aber auch die hohen Fallzahlen, die die Sachbearbeiter zu bewältigen hätten, der Stress und der Arbeitsdruck in den Behörden sei ein Grund. Vielen Mitarbeitern fehle darüber hinaus ein „soziales Ethos“, sagt die an der Studie beteiligte Soziologin Ariadne Sondermann. „Das kann man mitunter auch auf eine fehlende Ausbildung zurückführen.“ Viele Quereinsteiger hätten nicht einmal eine Verwaltungsausbildung, in denen sie unter anderem in der Gleichbehandlung der Bürger geschult würden. Dafür sei nicht allein das Sozialgesetzbuch II verantwortlich, sagt Sondermann. „In anderen Ämtern werden die Menschen ja auch besser behandelt.“

Was also tun? Die Diakonie fordert die Einführung einer unabhängigen Beschwerdestelle, an die sich Betroffene wenden können. „Eine solche Ombudsstelle hätte die Aufgabe, solche negativen Behandlungen öffentlich darzustellen und den Betroffenen zu helfen, sie zu revidieren“, sagt Wolfgang Völker. „Wir wären schon mal weiter, wenn das Sozialgesetzbuch eingehalten würde“, ergänzt Wissenschaftlerin Englert. Denn das sei derzeit häufig nicht der Fall. „Eine freundliche Behandlung auf Augenhöhe“ wünschen sich die Betroffenen. „Ziel muss es sein“, schließt die Studie, „dass sich ALG-II-Beziehende wieder konkreter als Personen mit Bürgerrechten und als Rechtssubjekte behandelt fühlen können, als dies aktuell in Hamburg der Fall ist.“

Zunächst sollte mit den Behörden das Gespräch gesucht werden. Die wollten aber nicht, zumindest nicht öffentlich: „Die Vertreter der Arbeitsagentur und der Sozialbehörde haben leider kurzfristig abgesagt“, sagt Gabi Brasch bei der Vorstellung der Studie. Behördensprecherin Nicole Serocka begründet das damit, dass die Studie nicht repräsentativ ist und verweist ansonsten an das Jobcenter Team Hamburg. Dessen Geschäftsführer Friedhelm Siepe hat aus terminlichen Gründen abgesagt. Und aus inhaltlichen: „Ich habe Probleme habe mit einem eher pauschalierendem Vorwurf aus einer auch selbst eingeräumten nicht repräsentativen Befragung“, sagt er auf Nachfrage von Hinz&Kunzt. Schließlich habe das Jobcenter nicht nur 19, sondern 180.000 „Kunden“. „Wichtig ist mir, das kein Pauschalurteil über meine Kolleginnen und Kollegen gefällt wird.“ Er bot dem Diakonischen Werk aber an, nach der Veranstaltung „auch über strukturelle Dinge zu sprechen.“ Die Diakonie will die Behörden auch nicht aus der Pflicht entlassen, sich mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen. Es wäre an der Zeit.

Download der Studie unter www.diakonie-hamburg.de

Text und Foto: Benjamin Laufer
Mitarbeit: Beatrice Blank